• Bei den Bundesliga-Top-Klubs stehen nur zwei Deutsche zwischen den Pfosten.
  • Müssen wir uns Sorgen machen um unsere Torhüter-Zukunft?
  • Darüber hat Ex-Nationalspieler Timo Hildebrand mit unserer Redaktion gesprochen - was ihm Hoffnung macht, wo er Verbesserungsbedarf sieht und warum Torwart zu sein, immer noch genug Sexappeal hat.
Ein Interview

Herr Hildebrand, Fußball lebt neben seinen Emotionen auch von seinen Klischees. Eines davon war schon immer, dass die Deutschen die besten Torhüter haben. So rosig sieht’s derzeit aber gar nicht aus, oder?

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Timo Hildebrand: (lacht) Ist das nicht mehr so?

Nach unserer Einschätzung hat Deutschland zwar in Person von Manuel Neuer den derzeit besten Torwart der Welt, aber in der Breite fehlt die Weltklasse.

Ich sehe es nicht ganz so dramatisch. Wir haben hinter Neuer Torhüter, die zwar schwierige Phasen hatten - wie derzeit Bernd Leno beim FC Arsenal oder Marc-André ter Stegen zuletzt beim FC Barcelona -, aber es gehört dazu, dass es nicht immer rund läuft. Andere Länder wären vermutlich froh, so viele gute Torhüter zu haben.

Blicken wir mal auf die Bundesliga: Bei den etablierten Top-Teams stehen nur zwei Deutsche zwischen den Pfosten. Neuer beim FC Bayern, Kevin Trapp in Frankfurt. Fehlt die Qualität in der Spitze?

Wahrscheinlich schon. Es ist Fakt, dass viele Torhüter aus dem Ausland die Nummer eins in der Bundesliga besetzen. Bei den Torhütern ist es meistens so, dass sie über mehrere Jahre in einem Verein spielen und auf ihrer Position weniger gewechselt wird als bei den Feldspielern. Deswegen muss man die Situation bei den Top-Klubs akzeptieren - aber ich hoffe und glaube, dass wir viele Torwart-Talente haben, die nachkommen. Ich habe allerdings zu wenig Einblick in den Nachwuchsbereich, um da Genaueres sagen zu können.

Alexander Nübel galt als das nächste große Torwart-Talent in Deutschland. Er musste sich nach seinem Wechsel vom FC Schalke zu den Bayern aber erst einmal hinter Neuer anstellen und spielt inzwischen auf Leihbasis für die AS Monaco. Seither ist wenig nachgerückt: Die jüngste deutsche Nummer eins in der Bundesliga ist – mit Ausnahme von Florian Müller (24) in Stuttgart – 26 Jahre alt. Wo liegen die Probleme?

Das Kernkompetenzfeld von Torhütern ist das Verhindern von Toren. Im Gegensatz zu früher wird das Augenmerk – und da auch zu sehr - aber auf das Spielerische gelegt. Es ist inzwischen Standard, dass ein Torwart richtig gut Fußball spielen können muss – das ist zwar notwendig, jedoch seine Kernaufgabe eine andere.

Ist das Torwartspiel vielleicht auch nicht mehr so "cool" wie früher? Wollen die Kids von heute lieber wie Messi, Ronaldo oder Neymar sein als Neuer?

Das kann ich natürlich nicht zu einhundert Prozent beantworten, aber zumindest kann ich den Eindruck nicht teilen. Klar ist es cool, Tore zu schießen, das sehe ich bei meinem eigenen Sohn, aber es gibt auch immer Kinder und Jugendliche, die es super finden, im Tor zu stehen.

Ich glaube, dass Kinder und Jugendliche heute viel mehr Möglichkeiten haben, sich auszuprobieren als früher und dass das Angebot an anderen Aktivitäten in den vergangenen Jahren enorm zugenommen hat und dadurch die Geilheit auf Fußball vielleicht ein Stück weit verloren gegangen ist.

Was oder wer lässt sie denn positiv in die Zukunft blicken? Auch, wenn Sie die Situation nicht so negativ einschätzen wie wir.

Ich glaube, dass Torhüter immer eine große Tradition gehabt haben und haben werden in Fußball-Deutschland. Sich ins Tor zu stellen, hat immer noch Sexappeal.

Es ist aber auch für Torhüter schwieriger, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und genügend Spielpraxis zu sammeln. Wenn Neuer die Nummer eins ist und noch ein paar Jahre spielen möchte, dann ist das einfach so. Aber als Nummer zwei brauchst du auch Spielpraxis.

Aber genau vor diesem Hintergrund: Warum ist denn Nübel dann zum FC Bayern gewechselt? Es war doch jedem bekannt, dass dort Neuer die Nummer eins ist.

Der Transfer wurde schon oft diskutiert. Ich habe es auch nicht verstanden, aber hier ist auch wichtig zu erwähnen: Er wusste, was auf ihn zukommt, vielleicht wurden ihm auch andere Sachen versprochen, die Hintergründe kenne ich nicht. Jetzt spielt er aber in Monaco, sammelt dort seine Erfahrung und kann die hoffentlich bald wieder in der Bundesliga verwenden.

Welche drei Torhüter würden Sie Stand heute, wenn Sie Bundestrainer wären, für die deutsche Nationalmannschaft nominieren?

Neuer, Trapp und ter Stegen.

Ter Stegen musste aber zuletzt, wie von Ihnen bereits angesprochen, massive Kritik einstecken in Barcelona.

Der FC Barcelona hatte zuletzt keine einfache Situation, aber jetzt läuft es wieder und schon hört man auch nichts Negatives mehr über ter Stegen. Er hat in dem Gesamtbild ein bisschen gelitten, das Barça abgegeben hat, aber er hat definitiv nicht an Qualität verloren.

Also müssen wir uns um die deutsche Torhüter-Zukunft keine Sorgen machen?

Nein, wir sind noch gut bestückt.

Zur Person: Timo Hildebrand (42) ist ehemaliger deutscher Nationaltorwart. Er spielte unter anderem für den FC Schalke und den FC Valencia. Mit dem VfB Stuttgart feierte er 2007 die deutsche Meisterschaft. Für die deutsche Nationalmannschaft stand er siebenmal zwischen den Pfosten.

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