• Renata Alt ist Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag.
  • Im Interview mit unserer Redaktion kritisiert die FDP-Politikerin die Situation von Frauen und sexuellen Minderheiten im Gastgeberland der Fußball-Weltmeisterschaft.
  • Katar wolle wirtschaftlich und politisch in der Weltspitze mitspielen, sagt Alt. "Dann ist es wichtig, auch bei den Menschenrechten mit der Weltspitze mitzuhalten."
Ein Interview

Frau Alt, am Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Herren in Katar. Wie groß ist Ihre Vorfreude?

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Renata Alt: Ich bin ein bisschen zwiegespalten. Auf der einen Seite freue ich mich unglaublich für jeden Sportler, der an so einem großen Ereignis teilnehmen kann. Ich drücke selbstverständlich auch unserer Nationalmannschaft die Daumen. Aber wenn man sich anschaut, wie die Vergabe 2010 an Katar stattfand und unter welchen Bedingungen die Stadien und die Infrastruktur entstanden sind, betrübt mich das sehr. Hoffentlich ist jedem klar, dass die Fifa die WM-Vergabe neu ausrichten muss. Die Austragung einer WM muss an die Einhaltung der Menschenrechte und auch an Nachhaltigkeitsstandards geknüpft werden.

Es heißt immer wieder, die Menschenrechtslage in Katar habe sich durch die weltweite Diskussion immerhin verbessert.

Katar hat Fortschritte gemacht, besonders was die Verbesserung der Situation der rund zwei Millionen ausländischen Arbeitnehmer betrifft. Es darf nicht sein, dass Tausende Menschen sterben, weil sie unter unwürdigen Bedingungen zum Beispiel ohne Schutz in der Hitze arbeiten müssen. Bei den Rechten für die LGBTQ-Community oder bei den Frauenrechten hat sich zu wenig getan. Wenn sich ein Land bewirbt, um ein Ereignis mit einer solchen weltweiten Strahlkraft auszurichten, müssen die Frauenrechte respektiert werden. Frauenrechte sind Menschenrechte, und diese Rechte sind für mich nicht verhandelbar.

Wie beurteilen Sie die Lage der Frauen in Katar?

Wenn Frauen verboten wird, Interviews zu geben oder überhaupt mit Journalisten zu sprechen, zeigt das, dass sie immer noch unterdrückt werden. Katar möchte sich bei dieser WM mit modernen Hochhäusern und modernen Stadien präsentieren. Damit möchte es weltweit an der Spitze mitspielen. Dann ist es wichtig, auch bei den Menschenrechten mit der Weltspitze mitzuhalten. Da hat Katar noch unglaublich viel zu leisten. Ich finde es schon seltsam, dass die katarische Regierung der deutschen Innenministerin die Zusage geben muss, dass die Sicherheit der Gäste gewährleistet ist. Wenn dann der WM-Botschafter in Katar Homosexuelle als Menschen mit einem geistigen Schaden bezeichnet, muss man sich fragen, wie glaubwürdig solche Zusagen sind.

Renata Alt: "Es ist mir wichtig, mich auch nach der WM mit der Lage in Katar zu beschäftigen"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat bisher offengelassen, ob sie zur WM fährt. Wie sollten Politikerinnen und Politiker mit diesem Turnier umgehen?

Ich bin der Meinung, dass Politiker sich gut überlegen müssen, welche Signale sie mit einer Reise aussenden. Ich glaube, dass es unter diesen Bedingungen kein gutes Signal wäre, Präsenz zu zeigen. Das würde ja bedeuten, dass man vieles akzeptiert, was im Vorfeld passiert ist. Wenn Frau Faeser hinfährt, erwarte ich, dass sie die Menschenrechte im Land thematisiert.

Würden Sie hinfahren?

Ich persönlich fahre nicht zu dieser WM. Ich werde mich aber im nächsten Jahr sehr gerne davon überzeugen lassen, ob Katar sein Versprechen einhält, im Bereich der Menschenrechte mehr zu machen.

Warum erst im nächsten Jahr?

Es ist mir wichtig, mich auch nach der WM mit der Lage in Katar zu beschäftigen und die Entwicklungen im Land sehr intensiv im Auge zu behalten. Eine WM dient nicht nur der Bespaßung der Bevölkerung und der Fans für vier Wochen. Katar hat angekündigt, dass es an der Weltspitze mitspielen will – wirtschaftlich, aber auch politisch. Daher möchte ich mich selbst davon überzeugen, ob sich die Arbeitsbedingungen tatsächlich verändert haben, wie zufrieden die Bevölkerung mit der WM war und ob die Menschenrechte auch danach respektiert werden.

Immer wieder ist zu hören, Katar hätte diese WM gar nicht erst bekommen dürfen. Das ist aber nun geschehen. Welche Lehren müssen wir daraus für die Zukunft ziehen?

Menschenrechte geraten leider häufig erst kurz vor einem solchen Sportereignis in den Fokus. So war es auch bei den Olympischen Spielen in China in diesem Jahr. Es wäre angebracht, sich viel stärker schon bei der Vergabe mit den Bedingungen auseinanderzusetzen. Wir sind als Mitglieder des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im September nach Genf und Lausanne gereist und haben unter anderem das Internationale Olympische Komitee besucht. Das IOC hat tatsächlich die eigenen Richtlinien geändert und wird bei der Vergabe der Olympischen Spiele künftig anders vorgehen.

"Es muss auch in Katar gestattet sein, sich kritisch über Missstände zu äußern"

Die Bundesregierung kritisiert im Zusammenhang mit der Fußball-WM die Menschenrechtslage, will aber gleichzeitig von Katar Gas kaufen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war in diesem Frühjahr dort. Hat die katarische Regierung nicht recht, wenn sie Deutschland Doppelmoral vorwirft?

Es liegt an jedem Minister und jeder Ministerin, die Menschenrechte anzusprechen. Wir haben uns als Ampel-Koalition vorgenommen, das Thema mehr in den Fokus zu nehmen und wertebasierte Außenpolitik zu vertreten. Ich war selbst viele Jahre im Außenhandel tätig und weiß, dass man mit verschiedenen Ländern auf der Welt gut zusammenarbeiten kann. Aber es muss auch in Katar gestattet sein, sich kritisch über die Missstände zu äußern. Da darf niemand beleidigt sein. Das gilt übrigens auch für das Thema Nachhaltigkeit. Wenn viele Stadien nach der WM abgebaut werden und Fans mit 160 Shuttleflügen aus Dubai und anderen Ländern eingeflogen werden, hat das mit Nachhaltigkeit nichts zu tun.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Können wir wirklich erwarten, dass die ganze Welt unsere Werte teilt? Dem Demokratie-Index zufolge lebte 2021 weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung in "irgendeiner Form von Demokratie". Sind Demokratie und Menschenrechte weltweit ein Auslaufmodell?

Auf keinen Fall. Jeder Mensch erhält Rechte in dem Moment, in dem er geboren wird. Wir können es nicht akzeptieren und zuschauen, wenn Menschenrechte zum Beispiel im Iran, in Russland, Belarus oder Afghanistan mit Füßen getreten werden. Wenn Menschenrechte mehr und mehr verletzt werden, müssen unsere Stimmen umso lauter sein.

Gleichzeitig treiben wir aber mit Staaten wie China, die ebenfalls massiv Menschenrechte verletzen, sehr regen Handel.

Gerade wegen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist es wichtig, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Es ist die Verantwortung eines jeden Unternehmens, diese Themen bei Geschäftspartnern anzusprechen. Das liegt auch in ihrem eigenen Interesse.

Viele Unternehmen aus meinem eigenen Wahlkreis mit Niederlassungen in China beschweren sich über massiven Druck seitens der chinesischen Regierung. Sie sehen, dass die Unabhängigkeit und die Rechte nicht mehr auf dem Stand von vor zehn Jahren sind. Meiner Meinung nach wurden die Menschenrechte in den vergangenen Jahren zu wenig thematisiert. Das ändert sich jetzt. Auch die Außenministerin spricht jetzt mehr und mehr auf ihren internationalen Reisen die Menschenrechte an. Das muss noch intensiver geschehen. Hier dürfen wir nicht nachlassen.

Zur Person: Renata Alt wurde 1965 in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Sie studierte Chemie und arbeitete unter anderem für das Außenhandelsministerium in Prag, bevor sie als Attaché der Tschechoslowakei nach Deutschland kam. 2000 wurde sie deutsche Staatsbürgerin. 2017 und 2021 wurde die Nürtingerin für die FDP in den Deutschen Bundestag gewählt. Dort ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
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