Bei der DFB-Niederlage gegen Kolumbien bietet Das Erste eine souveräne Berichterstattung. Bernd Schmelzer zeigt, dass ein souveräner Reporter keinen Beistand an seiner Seite braucht. Und im Studio liefert besonders eine der Expertinnen Tiefgang.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Matthias Kohlmaier dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Gretchenfrage, die in diesem Fall eine Tabeafrage ist, lautet ja: Braucht eine Reporterin, braucht ein Reporter bei einem Fußballspiel Beistand? Muss denn, wie in vielen Fußballübertragungen mittlerweile üblich, neben dem hauptberuflichen Mikrofonmenschen noch ein Ex-Profi sitzen? Ist Doppelbeschallung für die Zusehenden daheim auf der Couch ein Mehrwert oder, naja, nur more of the same?

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Nach dem deutschen WM-Einstand im ZDF am vergangenen Montag ist die ARD mit ihrer ersten DFB-Übertragung ins Turnier gestartet. Bei der 1:2-Niederlage gegen Kolumbien hatte das Erste nach der mäßigen Vorlage aus Mainz die Chance, zu glänzen – und hat sie genutzt.

Die Expertinnen im Studio liefern echten Tiefgang

Über die Leistung der 3-1-Formation – Claus Lufen mit den Expertinnen Almuth Schult und Nia Künzer im Studio, Bernd Schmelzer am Mikrofon während des Spiels – lässt sich zusammengefasst sagen: mehr Tiefe, weniger Geplauder. Denn auch wenn sich Lufen vor dem Spiel auf Stürmerin Alexandra Popp freut und sie etwas unwitzig nach ihren zwei Toren zum Auftakt als "Tippi-Toppi-Poppi" ankündigt, bieten besonders die beiden Ex-Nationalspielerinnen an seiner Seite echten Tiefgang.

Die seit Jahren vor der Kamera arbeitende Künzer analysiert präzise und ohne unnötige Floskelei. Und die frühere Torfrau Schult klingt immer wieder, als würde sie gerade in ihrer Lieblingskneipe die deutsche Leistung locker aus der Hüfte erklären, ganz ohne TV-Kameras im Gesicht. Außerdem liefert sie Inhalte: Sie erklärt, wie die Kolumbianerinnen vor dem Siegtor einen klugen Block im Sechzehner stellen, wodurch die Torschützin erst frei zum Kopfstoß kommt. Solche Analysen will man von jemandem hören, der selbst auf dem Niveau gespielt hat.

Schmelzer kommentiert alleine – weil er kann

Damit zurück zu den drei Eingangsfragen, denn: Im Gegensatz zum ZDF spart sich Das Erste während des Spiels eine Position. Wo Claudia Neumann Ex-Spielerin Tabea Kemme als Verstärkung dabeihatte, kommentiert Bernd Schmelzer für die ARD alleine. Und auch wenn man die Fragen in Absatz eins natürlich nicht grundsätzlich beantworten kann, zeigt zumindest dieser Vergleich: Ein souveräner Reporter braucht niemanden neben sich.

Wo beim Duo Neumann/Kemme selten Ruhe einkehren konnte, steht bei Schmelzer zu jeder Zeit das Spiel im Vordergrund. Er lässt die Zusehenden mit dem Geschehen auf dem Platz alleine, wo es möglich ist; er wird laut, wo es Sinn macht; er liefert Statistiken – etwa die, dass Popp zwölfmal bei großen Turnieren getroffen hat, davon neunmal per Kopf – wenn das Spiel gar zu öde wird.

Es ist ein bisschen so, wie die Reporterlegende Marcel Reif mal im SZ-Interview über die andere Reporterlegende Rolf Kramer gesagt hat: "Rolf sagte nichts, wenn er meinte, es sei jetzt gerade alles gesagt. Gut, oder?"

Das ein oder andere Bonmot hat Schmelzer natürlich trotzdem im Ärmel: Die tapfer verteidigenden Südamerikanerinnen etwa formen zuerst ein kaum zu durchdringendes "kolumbianisches Unterholz", in Halbzeit zwei sogar ein "kolumbianisches Allerlei". Und die DFB-Offensive Lina Magull kennt laut Schmelzer das Stadion nach ein paar härteren Fouls "mittlerweile eher aus der Froschperspektive".

Doch auch Schmelzer bleibt bei seiner taktischen Analyse zumindest an einem Punkt etwas oberflächlich. Denn zwar benennt er das Problem, dass sich die DFB-Frauen schwertun, Chancen zu kreieren. Dass sie aber während des gesamten Spiels als massiv feldüberlegende Mannschaft nicht ein einziges Mal – wirklich, nicht einmal – im Abseits stehen, fällt Schmelzer nicht auf. Das liegt freilich auch an den tiefverteidigenden Kolumbianerinnen, zeigt aber: Vertikales Spiel findet beim DFB kaum statt. Bleibt zu hoffen, dass das zumindest die Bundestrainerin bemerkt hat.

Zwischenstand: Das Erste führt 1:0 gegen das ZDF

Zurück ins Studio: Dort versucht sich Moderator Lufen nach dem Spiel noch an einer kleinen Verschwörungstheorie. Doch auch wenn er sicher Recht hat damit, dass die Schiedsrichterin die Zweikampfhärte Kolumbiens etwas früher mit Gelben Karten hätte würdigen dürfen – auf seinen Vorstoß, ob eine Frau aus Honduras (Mittelamerika) nicht parteiisch beim Auftritt eines Teams aus Südamerika sein dürfte, reagieren die Expertinnen angemessen leidenschaftlos.

Am Ende bleibt das aber eine Randnotiz in dieser souverän vorgetragenen TV-Aufbereitung des zweiten DFB-Gruppenspiels. Fast ein bisschen schade, dass beim nächsten Einsatz der Deutschen am Donnerstag nicht Das Erste, sondern wieder das ZDF auf Sendung geht.

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