• Sie kam als Lehrling und geht als Medaillengewinnerin: Alexandra Burghardt hat in China ihr Bob-Märchen erlebt und sich einen Traum erfüllt.
  • Die Weltklassesprinterin setzt sich für 2024 ein neues Medaillenziel, räumt mit einer Falschmeldung mancher Medien auf und erzählt im exklusiven Interview mit unserer Redaktion, warum sie trotz guter Form auf die Deutschen Hallen-Meisterschaften in der Leichtathletik verzichtet.
Ein Interview

Sprinterin Alexandra Burghardt ist zurück von den Olympischen Winterspielen. Sie hat eine Silbermedaille mitgebracht - und ganz viel Motivation, diesen Moment 2024 bei den Spielen von Paris auch in ihrer Kernsportart zu realisieren. Denn aus der Auszubildenden im Bobsport wird nun wieder eine Vollzeit-Leichtathletin.

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Ihre Konkurrentinnen auf der Tartanbahn aber haben zunächst noch das Glück, dass Burghardt an den Winterspielen teilgenommen hat. Sonst wäre sie gerne in Leipzig deutsche Hallenmeisterin im Sprint geworden.

Davon, und von aufregenden vier Monaten in einem ihr bis dahin fremden Teamsport, erzählt Burghardt im exklusiven Interview mit unserer Redaktion.

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Frau Burghardt, Ihre Fahrt zu Olympia-Silber in Peking hat viele Menschen in Deutschland begeistert. Und die Freude darüber war Ihnen auch deutlich anzusehen.

Alexandra Burghardt: Mariama (Jamanka, Anm. d. Red.) und ich haben uns mit der Medaille für den Mut belohnt, den wir beide hatten. Mariama hatte den Mut, sich für eine im Bobsport unerfahrene Athletin wie mich zu entscheiden. Und für mich war das Risiko, dass ich nicht wusste, ob es so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt hatten. Silber war die Belohnung für die Risiken und die Reise, die wir zusammen gemacht haben.

Wäre mit einer perfekten Fahrt sogar Gold drin gewesen?

Schwer zu sagen, aber Laura (Nolte, Anm. d. Red.) und Debbie (Deborah Levi, Anm. d. Red.) waren die ganze Saison über eigentlich immer besser als wir und in jedem Weltcup vor uns. Es ist also überhaupt keine Schande, dass wir Zweite geworden sind, ganz im Gegenteil. Wir haben auf jeden Fall Silber gewonnen und nicht Gold verloren. Wir sind mit der Medaille überglücklich. Laura und Deborah sind auch besser gestartet als wir. Und wir sind vor Elana Meyers Taylor gelandet, die ja auch sehr sehr gut in ihrem Sport ist.

Wie sehr hat Sie der Dreifachsieg der deutschen Männer zuvor im Zweierbob motiviert?

Sehr. Das hat uns die Sicherheit gegeben, dass wir wussten: die Schlitten sind gut, das Material ist perfekt auf die Bahn abgestimmt. Wir wussten, dass wir dadurch schon einen kleinen Vorteil haben. Und, entgegen der Meldungen in den Medien, sind die Männer eigentlich mit unseren Schlitten gefahren. Alle dachten immer, die Mädels hätten sich bei den Männern die Schlitten ausgeliehen. Aber es war andersherum. So wussten wir, dass unsere Schlitten schnell sind. Wir konnten uns auf unseren Job konzentrieren, schnell zu laufen und gut zu fahren.

Wie kam es denn zu dem von Ihnen beschriebenen Schlittentausch?

Die FES (Abkürzung für das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, Anm. d. Red.) hatte uns zwei Modelle bereitgestellt. In den Trainings hat sich dann herausgestellt, dass das eine Modell auf der Bahn besser funktioniert. Die Zeiten waren in diesem Modell einfach viel, viel schneller. Die Männer wollten aber auf diesen schnellen Schlitten natürlich nicht verzichten. Pro Modell gab es drei Schlitten. Durch den Zeitplan war es möglich, die Schlitten untereinander zu tauschen. In unserem ersten Training sind wir ein anderes Modell gefahren, weil der Männer-Wettbewerb noch nicht abgeschlossen war. Das war für Mariama aber kein Problem. Sie ist es gewohnt, sich umzustellen.

Sie haben nur ein paar Monate im Bob verbracht und jetzt schon Silber um den Hals hängen. Begreifen Sie das schon?

Es ist ein bisschen wie ein Märchen. Es war natürlich mein Traum, dass es im besten Fall so ausgeht. Es ist schön, dass sich die Mühen gelohnt haben. Ich habe in diesen Monaten versucht, so viel wie möglich zu lernen. Ich nehme nicht nur sportlich, sondern auch menschlich sehr viel mit und habe für das Leben einiges gelernt.

Was zum Beispiel?

In erster Linie war es für mich eine Umstellung, dass das Bobfahren ein Teamsport ist. Und es gibt im Bobsport viel Drumherum, was niemand sieht, der die Wettbewerbe nur im Fernsehen verfolgt. Für mich war es etwas Neues, dass am Erfolg mehrere Leute beteiligt sind und es nur funktioniert, wenn die Stimmung passt und wir uns einander vertrauen. Das ist ja auch allgemein im Leben sehr wichtig. Auch handwerklich habe ich mich ein bisschen verbessert. Ich bin dankbar für viele tolle Erfahrungen.

Handwerklich heißt: Sie schleifen und reparieren in Zukunft zu Hause mehr?

Das müssen wir noch vereinbaren. Ich hoffe, dass ich drumherum komme. Denn ich möchte mich ja jetzt auch wieder auf die Leichtathletik konzentrieren. In meinem Umfeld gibt es Leute, die es handwerklich besser können als ich.

Ist es nicht kurios, dass Sie eigentlich Leichtathletin sind, dort über Jahrzehnte an einem möglichen olympischen Erfolg arbeiten, und dann steigen Sie in einen Bob ein, und es klappt?

Das war aber nicht selbstverständlich. Man muss beim Start vorne dabei sein, und die Pilotin muss annähernd fehlerfrei fahren. Wir haben natürlich in Deutschland den Vorteil, dass wir beim Material durch die FES sehr, sehr gut versorgt sind. Es war für mich aber ein Jahrzehnt Arbeit, und nicht nur die vier Monate, die man vermeintlich von außen sieht. Mein Job war es, schnell zu laufen. Und das habe ich nicht erst seit September versucht, zu erlernen, sondern schon viele Jahre vorher. Eine Olympia-Medaille zu holen, mag im Wintersport vielleicht ein bisschen einfacher sein, aber ich hoffe, dass wir mit der 4x100-Meter-Staffel in Paris 2024 endlich mal die Chance haben, uns den Medaillenrängen zu nähern.

Jetzt haben Sie sich in den letzten Monaten an das Team und den Bob gewöhnt. Wie sehen Sie Ihre Zukunft als Bob-Anschieberin?

Für mich ist das Projekt erstmal abgeschlossen. Es war ein perfekter Abschluss für mich. Ich werde mich jetzt wieder voll auf die Leichtathletik konzentrieren. Vielleicht gebe ich in vier Jahren ein Comeback im Bob. Vorerst aber liegt mein Fokus voll und ganz auf Paris 2024.

War das auch Ihr Plan, wenn es keine Medaille gegeben hätte?

Ja, das war von vorneherein klar. Das Anschieben des Bobs macht mir unheimlich viel Spaß und sehr viel mehr, als ich ursprünglich gedacht habe. Aber beide Sportarten dauerhaft auf einem so hohen Niveau auszuüben, ist über längere Zeit nicht auf professionelle Weise möglich. Man muss, meiner Meinung nach, seine 100 Prozent auf eine Sportart fokussieren. Früher oder später hätte es in einer Verletzung oder in schlechteren Ergebnissen geendet. Deshalb bin ich froh, dass wir die vier Monate so gut überstanden haben. Aber ich muss mich für eines entscheiden, um es sehr gut ausüben zu können.

Und was macht Mariama Jamanka ohne Sie?

Das weiß ich noch nicht. Sie hat sich noch nicht zu 100 Prozent entschieden, wie es für sie weitergeht. Sie wird sich ein bisschen Zeit nehmen und den Erfolg genießen. Das hat sie sich auch verdient. Es waren auch für sie keine einfachen Monate. Sie hatte sehr viele Unsicherheiten mit ihrem Team, mit ihren Anschieberinnen, mit deren Verletzungen. Auch für sie war es mit mir nicht ganz einfach. Sie wusste nicht, inwieweit wir das hinkriegen, in Peking in Weltklasseform aufzulaufen.

Sie gehörten jetzt zu diesem wahnsinnig erfolgreichen deutschen Team im Eiskanal, das ohne Ende Medaillen geholt hat: 60 Prozent der deutschen Ausbeute, genau 16 von 27 Medaillen holten Bobfahrerinnen und -fahrer, Rodlerinnen und Rodler und Skeletonis. Haben Sie eine Erklärung für diese deutsche Dominanz gefunden?

Alle Athletinnen und Athleten sind sehr, sehr gut versorgt und werden unterstützt. Viele haben Sportförderstellen beim Bund oder auch bei der Polizei. Das Material ist sehr gut, und die deutschen Athletinnen und Athleten zeichnet ihre Detailarbeit aus. Auf jedes Puzzleteil wird geachtet. Wir hatten in Peking auch einen Biomechaniker dabei, Athletikcoaches natürlich. Gerade die Skeletonis haben sich im Sprintbereich weiterentwickelt. Es wird versucht, in jedem Bereich besser zu werden. Diesmal wurden alle mit Edelmetall belohnt. Das hebt uns vom Rest der Welt ab.

Im Langlauf gab es eine sensationelle Goldmedaille im Sprint der Frauen. Nachher kam der absurd klingende Vorwurf auf, die Deutschen hätten beim Wachs betrogen. Ist Ihnen so etwas im Eiskanal auch begegnet? Der Vorwurf, Unerlaubtes zu tun?

Gegen uns ist mir noch kein Vorwurf aufgefallen. Da habe ich nichts mitbekommen. Natürlich gibt es unterschiedlichste Optionen, sein Material zu behandeln. Wir schleifen unsere Kufen und polieren sie anschließend mit einer Paste. Das ist aber alles im erlaubten Bereich. Ich kann aber nicht sagen, was andere Nationen machen. Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es in diesem Bereich Betrug gäbe, dann könnte man den auch aufdecken. Klar aber ist: Es ist ein Materialsport, und entscheidend ist nicht nur die Kufenwahl, sondern auch der Schlitten und die Technik dahinter. Wir sind in Deutschland in der privilegierten Situation, dass uns die FES gut unterstützt, mit Steuergeldern finanziert. Da wird viel Forschung reingesteckt, viel Technik. Das hat auch nicht jede Nation. Am Ende aber muss der Schlitten gut gefahren werden.

Außerhalb Ihres eigenen Erfolgs: Was ist Ihnen von diesen Spielen in Peking besonders in Erinnerung geblieben?

Es waren sehr, sehr positive drei Wochen. Durch die Corona-Maßnahmen war es natürlich von Anfang an bis zum Schluss anstrengend. Wir waren alle immer sehr vorsichtig. Das zehrt an den Kräften. Oberstes Gebot war, keinen positiven Coronatest zu bekommen. Wir haben uns alle sehr bemüht, die Konzepte umzusetzen. Wir haben aber sehr freundliche Volunteers getroffen, die Organisation war sehr, sehr gut. Die Sportstätten waren fantastisch. So eine Bobbahn gibt es kein zweites Mal auf der Welt, und es wird sie wohl auch nicht mehr geben. Aus sportlicher Sicht waren es mega Spiele. Natürlich hat das Publikum gefehlt, aber wir waren einfach froh, dass die Spiele stattgefunden haben und dass wir unsere Wettkämpfe so gut über die Bühne bringen konnten.

Sie haben jetzt im Abstand weniger Monate Sommer- und Winterspiele erlebt, noch dazu zwei Pandemiespiele. Wie sind Tokio und Peking vergleichbar?

Sehr vergleichbar, beide Spiele waren sich am Ende sehr, sehr ähnlich. Vom ganzen Konzept her, von der Vorbereitung, wie sie stattgefunden haben. Ich hoffe aber, dass die nächsten Spiele nicht mehr so sind, dass wir wieder viele Zuschauer und Kontakt mit den Fans haben, um wieder überall diesen olympischen Geist zu versprühen und spüren zu können.

Auf Instagram haben Sie Ihren Respekt vor der alpinen Abfahrtstrecke betont, an der Sie waren. Es gibt aber bestimmt auch Menschen, die fragen: "Wie kann man sich in einen Bob setzen?"

Das kann sein. Aber im Bob habe ich Mariama vertraut und wusste, dass sie gut steuert und eine gute Pilotin ist. Da hatte ich immer wenig Bedenken. Wir sind ja auch nie gestürzt. Wir hatten immer sehr angenehme Fahrten. In der Abfahrt ist man der Strecke so ausgeliefert. Man hat im Notfall keinen schützenden Bob. Die Piste war so steil, das habe ich so noch nie gesehen. Das war so krass! Hut ab vor denen, die sich von da oben herunterstürzen. Das war für mich sehr, sehr beeindruckend.

Angesichts der in Peking - nicht nur bei den Alpinen - herrschenden Kälte und dem Wind mochte man meinen, Sie müssten sich zumindest erkälten, wenn schon kein Corona bekommen.

Was Krankheiten betrifft, war Peking in diesen drei Wochen der sterilste Ort der Erde. Es gab nicht mal Erkältungsviren, gar nichts. Trotz des Frierens und der Kontakte sind wir gesund durchgekommen. Wir hatten natürlich auch ein tolles medizinisches Team dabei, das uns bei orthopädischen Problemen super schnell geholfen hat. Wir haben die Kälte gut bezwungen.

... mit mehreren Schichten am Körper.

Es waren sehr, sehr viele Schichten. Drei Hosen waren Standard.

Da muss man mit dem Anziehen früh anfangen, um rechtzeitig fertig zu werden.

Das stimmt. Das hat Zeit gekostet. Aber niemand wollte frieren, gerade bei dem starken Wind. Deswegen hat es sich gelohnt, diese Zeit zu investieren und genügend Hosen dabei zu haben.

Können Sie noch asiatisches Essen sehen?

Es geht. Das Essen war eigentlich sehr abwechslungsreich. Ich habe mich wenig asiatisch ernährt. Es gab in der Mensa viele verschiedene Dinge, die man essen kann: international, asiatisch, halal, koscher, man kann sich da durchprobieren. Mir hat es gut geschmeckt. Ich habe mich relativ gleich ernährt, wie ich es auch zu Hause mache. Erst am letzten Tag habe ich mir eine Peking-Ente gegönnt. Und jetzt freue ich mich auf die Menschen, die ich monatelang vernachlässigt habe, natürlich auch wegen Corona, und dass ich allen meine Medaille zeigen kann.

Wie lange gönnen Sie sich Ruhe? Wann steigen Sie wieder ins Leichtathletik-Training ein?

Die Deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig am Wochenende werde ich nicht bestreiten. Ich habe mich dagegen entschieden. Gerne würde ich zwar meine Hallen-Bestleistung nach unten schrauben. Grundsätzlich fühle ich mich dazu in der Lage. Mein Bauchgefühl aber sagt mir, dass ich mit meinen Energien haushalten sollte, weil der Sommer auch sehr anstrengend wird. Und ich möchte meine Medaille auch genießen. Es gibt am Wochenende auch den einen oder anderen Empfang, von meinem Verein, von der Stadt (Burghausen, Anm.. d. Red.). Das möchte ich gerne mitnehmen.

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