Dass Elon Musk mit seinem Gastbeitrag in der "Welt" und seinem AfD-Schmusekurs Einfluss auf den deutschen Wahlkampf genommen hat, ist bekannt. Weniger bekannt, weil viel subtiler, ist eine andere Form der Beeinflussung: Microtargeting. Dabei wird auf Facebook und Co. nicht nur von außen Einfluss auf Wahlen genommen – es werden auch bestimmte Parteien bevorzugt, wie das "ZDF Magazin Royale" am Freitagabend zeigte.

Christian Vock
Eine Kritik
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Ein Gastbeitrag in einem ausländischen Medium? Am 20. Februar zeigte ZDF-Satiriker Jan Böhmermann, dass auch er kann, was Elon Musk vor ein paar Wochen in der "Welt" getan hat. In einem Video für die angesehene "New York Times" erklärte Böhmermann, was sich wirklich hinter der AfD verbirgt, für die Amerikas nicht gewählter Präsident, Elon Musk, wirbt, mit welchen Methoden die Partei die Geschichte verdreht und dass das "nie wieder", das 80 Jahre lang Konsens in Deutschland war, nicht mehr gilt.

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Selbst wenn sich nur die Rechten Amerikas über dieses Video geärgert haben, ist die Aktion doch ein ziemlicher Coup Böhmermanns gewesen, vor allem ein unerwarteter – sofern Böhmermanns regelmäßige Coups überhaupt noch unerwartet sein können. Am Freitag war nun wieder Alltag angesagt für den Satiriker, doch auch hier geht es um die AfD.

"Da kennt wohl jemand die DSGVO ganz genau"

Für den Blick auf die Gegenwart wirft Böhmermann zuerst einen Blick in die Vergangenheit: "2021 haben wir beobachtet, wie Facebook unsere Daten sammelt, uns ausspäht und uns dann in extrem spezifische Werbezielgruppen einsortiert im Internet. Auch in politische Werbezielgruppen. Und wie deutsche Parteien im Wahlkampf dann diese Facebook-Werbezielgruppen nutzen, um uns Wählerinnen und Wähler gezielt anzusprechen und uns genau das zu versprechen, was wir hören wollen. Microtargeting nennt man das."

"Grundsätzlich nicht verboten", erklärt Böhmermann und schränkt dann ein: "Bei einer Bundestagswahl sollen wir ja nicht irgendwas kaufen. Es geht ja nicht um Unternehmen, die werben, sondern es geht um Politik, nicht um Kommerz. […] Wenn aber jetzt Parteien im Wahlkampf im Internet anfangen, mit Microtargeting Werbung an einzelne, spezifische Zielgruppen auszuspielen, als wären sie Unternehmen – dann wird es gefährlich."

Warum es gefährlich wird, lässt Böhmermann im Anschluss den Medienforscher Simon Kruschinski erklären: "Weil die Parteien immer Menschen aus ihrer Kommunikation ausschließen und sie hier ihre Kommunikationsmacht an undurchsichtige Algorithmen und Plattformen abgeben." Alle Parteien, so Böhmermann, sollten allen Menschen erzählen, was sie politisch vorhaben, "und zwar allen das Gleiche".

Jan Böhmermann buddelt tiefer

Wenn die Daten zu detailliert sind, dann sei Microtargeting laut Artikel 9 der Datenschutz-Grundverordnung verboten, zum Beispiel "wenn man daraus eine politische Meinung ableiten kann". Deshalb sei politisches Microtargeting in vielen Fällen verboten, so Böhmermann. Aber genau das habe die CDU 2021 bei der Bundestagswahl gemacht – SPD, Grüne, die Linke und die AfD aber auch, "illegal, haben wir herausgefunden". Allerdings werde das alles noch geprüft. Aber wie sieht es bei der Bundestagswahl 2025 aus? Das haben Böhmermann und sein Team untersucht.

"Wir haben herausgefunden: Die Jugendorganisation der FDP, die jungen Liberalen, wollten im Online-Wahlkampf mit ihrer Werbung Menschen erreichen, die sich unter anderem interessieren für 'Galileo' und 'Flying Uwe'. Das sei erlaubt, "aber buddeln wir mal ein kleines bisschen tiefer", kündigt Böhmermann an und das sind die Ergebnisse seiner Buddelei.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Macit Karaahmetoglu habe im Januar bei Facebook und Instagram gezielt Menschen mit Interesse an der Türkei angesprochen; die hätten dann Wahlwerbung erhalten, "aber nicht von dem Abschiebekanzler Olaf Scholz, sondern von dem Einwanderungskanzler Olaf Scholz". "Hat die SPD verbotenerweise eine spezifische ethnische Gruppe von Wählerinnen und Wählern angesprochen mit ihrer Wahlwerbung im Internet?", fragt dementsprechend Böhmermann.

Die Antwort von Karaahmetoglu auf die Anfrage der Redaktion: "Ich möchte keine ethnische Zugehörigkeitsgruppe erreichen, sondern die Breite der türkischstämmigen Menschen in Deutschland." "Da kennt wohl jemand die DSGVO ganz genau", so Böhmermanns Reaktion darauf. Damit wäre die Geschichte eigentlich zu Ende und die Story dieser Ausgabe hinfällig, aber Böhmermanns eigentliche Geschichte kommt erst noch, denn "wir glauben, die Parteien können in diesem Bundestagswahlkampf einen kleinen Workaround benutzt haben, ein Schlupfloch".

Die AfD profitiert am meisten

Die Parteien stünden beim Thema Microtargeting nämlich "hüfttief im Graubereich", denn sie würden aktiv um die DSGVO herum arbeiten. Als Beispiel führt Böhmermann den AfD-Politiker Klaus Herrmann an. Die Werbung von Herrmann sei adressiert an die Liebhaber von Rotwein, Wiener Schnitzel, Wurst, Dieter Nuhr und Schweinefleisch. "Kein Witz", erklärt Böhmermann und sagt über die Schweinefleisch-Zielgruppe: "Damit erreicht er wahrscheinlich eher weniger jüdische und muslimische Wählerinnen und Wähler." Herrmanns Werbung schließe also Menschen mit bestimmten religiösen Ansichten aus.

Herrmann habe auf eine Anfrage der Redaktion nicht geantwortet, andere Parteien schon, und zwar mit dem Hinweis, alles sei gemäß der Datenschutzgrundverordnung abgelaufen. Da fragt Böhmermann zuerst "Was soll dieser ganze Eiertanz?" und zitiert dann den Meta-Konzern: "Ab dem 19. Januar 2022 werden wir detaillierte Targeting-Optionen entfernen, die […] in Bezug stehen auf Gesundheit, Race oder Ethnie, politische Zugehörigkeit, Religion oder sexuelle Orientierung."

"Die Parteien", so Böhmermann, "sind nicht plötzlich brav geworden und achten den Datenschutz, nee, in diesem Bundestagswahlkampf wurden sie gezwungen, sich ein kleines bisschen mehr an Recht und Gesetz zu halten, weil: Mark Zuckerberg hat das so entschieden."

Metas neue Werberichtlinien, so Böhmermann, hätten die Parteien gezwungen, sich mehr an die Regeln zu halten und das zeige das eigentliche Problem: "Unsere politischen Parteien und unsere Demokratie sind abhängig von Plattformen im Internet. Im Guten wie im Schlechten." Was "im Schlechten" bedeutet, würden aktuell die Grünen merken.

"Die Algorithmen von Meta bevorzugen offenbar Inhalte […] Die Grünen bilden das Schlusslicht und bekamen die wenigsten Impressionen für ihr Geld. Am besten schnitt hingegen die rechtspopulistische AfD ab – ihre Werbung war fast sechsmal so kosteneffizient wie die der Grünen", zitiert Böhmermann die Ludwig-Maximilians-Universität München.

Wie abhängig ist unsere Demokratie?

Am Ende dieser doch recht technischen Ausgabe zieht Böhmermann das Fazit: "Meta ist keine politisch neutrale Plattform", ähnliches gelte für Elon Musks X, auf dem ebenfalls die AfD bevorzugt werde. Unabhängig davon, ob das nun eine krasse Bevorzugung ist, es ist ein nicht weniger krasser Weg, Einfluss auf Wahlen zu nehmen. "Man könnte jetzt sagen: Ist doch bloß Internet, ist doch scheißegal. Man könnte auch sagen: Ey, das ist Wahlmanipulation! Wahlmanipulation aus dem Ausland. Gegen unsere Interessen."

In einer Demokratie entscheide eigentlich das Volk für sich selbst, erklärt Böhmermann und fügt hinzu: "Dabei entscheiden aber inzwischen ein paar Tech-Milliardäre in den USA und China, wie wir zu unseren Entscheidungen kommen." Das ist zum einen natürlich eine entscheidende Schwächung der Demokratie, zum anderen eine nicht weniger entscheidende Ungerechtigkeit im Wahlkampf und das, wo sich die AfD doch gerne als Opfer der Medien stilisiert.

Daher ist es gut, dass Böhmermann diese Art der Wahlbeeinflussung öffentlich gemacht hat – gerade noch rechtzeitig vor der Wahl. Gleichzeitig kommt er in dieser Ausgabe nicht auf die zu sprechen, die auch zu der Geschichte gehören: die User von Instagram und Co. Denn die haben gleich zwei Möglichkeiten, auf diese Einflussnahme zu reagieren. Zum einen, indem sie überlegen, ob sie solche Plattformen weiterhin als Nutzer bedienen möchten und zum anderen am Sonntag in der Wahlkabine.