Die Bundesregierung kommt zur Kabinettsklausur zusammen. Auf Schloss Meseberg will sich die Ampel mit der schwächelnden Konjunktur beschäftigen. Doch es dürfte auch um die Atmosphäre in der zerstrittenen Koalition gehen.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von F. Busch, F. Hartmann und J. Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein Blick zurück: Vor einem Jahr traf sich das Bundeskabinett zur Klausursitzung auf Schloss Meseberg. Die Stimmung in der Ampel-Koalition war damals mäßig bis schlecht: Politikerinnen und Politiker von SPD, Grünen und FDP warfen sich "handwerkliche Fehler" und "schlechte Performance" vor.

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Und heute? Das zwiespältige Bild der Koalition ist geblieben. Auf der einen Seite: Die Bundesregierung hat in den vergangenen zwölf Monaten eine drohende Energiekrise abgewendet und milliardenschwere Entlastungspakete geschnürt. Sie hat ein Bürgergeld eingeführt und sich nach monatelangem Streit auf Eckpunkte für eine Kindergrundsicherung geeinigt.

Auf der anderen Seite: Der Streit ist nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Vor der Sommerpause hat sich die Koalition im Krach um das sogenannte Heizungsgesetz fast zerlegt. Und um die Kindergrundsicherung durchzusetzen, hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) das Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) blockiert.

Am Dienstag und Mittwoch trifft sich die Bundesregierung erneut in Meseberg. Zwischen harmonischen Bildern vor der barocken Schlosskulisse wird sich die Koalition über neue und alte Streitthemen beugen – und wohl auch darüber sprechen, wie das Koalitionsklima nachhaltig besser wird. Eine Übersicht.

Konjunktur: Es droht ein Wirtschaftseinbruch

Die wirtschaftliche Lage lässt sich in diesen Tagen am besten mit einem Wort beschreiben: trist. Das Wachstum liegt nahe null, die hohe Inflation hält sich hartnäckig, die Energiepreise belasten Unternehmen ebenso wie das von ihnen beklagte Übermaß an Bürokratie.

Was also tun?

Grüne und Teile der SPD würden der Industrie gerne mit einem subventionierten Strompreis unter die Arme greifen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt das ab – noch. Ausgang: ungewiss.

Beschlossen werden dürfte in Meseberg Lindners Wachstumschancengesetz. Es enthält Steuererleichterungen für Firmen in einem Volumen von rund 6,5 Milliarden Euro jährlich. Jetzt soll der Weg dafür endgültig freigemacht werden. Es gehe in Meseberg darum, "wirtschaftliche Impulse zu setzen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken", sagte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour unserer Redaktion. "Mit dem Wachstumschancengesetz wollen wir Unternehmen im Land zielgerichtet unterstützen."

Aus Sicht von Wirtschaft und Gewerkschaften kann das aber nur ein erster Schritt im Kampf gegen die aufziehende Wirtschaftskrise sein. So sieht es auch Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). "Das Fördervolumen ist sehr klein. Angesichts der Herausforderungen, vor denen das Land steht – etwa der klimagerechte Umbau der Wirtschaft –, ist das nicht genug", sagte der gewerkschaftsnahe Ökonom im Interview mit unserer Redaktion.

Auch die Opposition drängt auf eine aktivere Wirtschaftspolitik. Von "einem Sommer der verpassten Chancen" spricht der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn. "Deutschland wird wirtschaftlich nach hinten durchgereicht", sagte er unserer Redaktion. Als Gegenmaßnahme fordert Spahn, die Steuern auf Strom zu senken und Bürokratie abzubauen. "Es darf kein 'Weiter so' von Streit und Blockade geben", so der CDU-Politiker. "Das schadet dem Wirtschaftsstandort und damit zig Millionen Arbeitnehmern in Deutschland nachhaltig."

Dass das Wachstumschancengesetz allein nicht reicht, um die konjunkturelle Wende einzuleiten, sieht man auch im Regierungslager so. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat angekündigt, in Meseberg Eckpunkte für ein Bürokratieentlastungsgesetz vorzulegen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte unserer Redaktion: "Von Meseberg muss ein klares Signal ausgehen: Wir werden die Wirtschaft und das Land entfesseln." Aus Sicht der Liberalen heißt das: geringere Steuern, weniger Regulierung, mehr Raum für private Investitionen – dies könnten aber nur die ersten Schritte sein. Forderungen nach mehr Staatseingriffen erteilte Djir-Sarai eine Absage.

Streit ums Geld: Wie umgehen mit der Schuldenbremse?

Der Umgang mit Geld ist ein Dauer-Konflikt in der Ampel. Dabei scheint die Sache auf den ersten Blick klar. Die Schuldenbremse steht in der Verfassung und die Ampel bekennt sich im Koalitionsvertrag dazu. Darauf beruft sich auch Finanzminister Lindner. Für die Liberalen ist das Festhalten an der Schuldenbremse genauso elementar wie die Ablehnung von Steuererhöhungen.

"Wenn wir gezwungen werden würden, die Schuldenbremse auszusetzen oder die Steuern zu erhöhen, dann würde sich die Koalitionsfrage stellen. Aber niemand tut das", sagte der FDP-Chef am Sonntag im ZDF-"Sommerinterview".

Nun: Natürlich zwingt Lindner niemand, von seinen Versprechen abzurücken. Doch die Liberalen stehen mit ihrer Position zunehmend allein da. Selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht sich dafür aus, den strikten Sparkurs zu lockern.

IW-Chef Michael Hüther sagte zuletzt im Spiegel-Interview (Bezahlinhalt), dass Deutschland eine "strategische Antwort" auf die Herausforderungen der Demografie und des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft brauche. "Darauf mit der stereotypen Feststellung zu antworten, wonach staatliche Schulden immer schlechte Schulden sind, ist ökonomisches Denken der Neunzigerjahre."

Wer damit gemeint sein dürfte, ist klar: Linder und seine FDP.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Haushalt: Die Wünsche sind zahlreich, die Mittel endlich

In Zeiten des Umbruchs sind die Ansprüche an den Staat besonders groß – und viele Fragen noch ungeklärt. Beispiel 49-Euro-Ticket. "In Meseberg müssen auch die Weichen für die Zukunft des Deutschlandtickets gestellt werden", sagte Linken-Co-Chefin Janine Wissler am Montag. Die Finanzierung sei nur bis Jahresende gesichert und Preiserhöhungen bereits im Gespräch. Das lehnt Wissler vehement ab: "Der Bund muss handeln und die Mehrkosten übernehmen, ohne Wenn und Aber."

Es ist nur ein Punkt unter vielen. Der Wohnungsbau lahmt, die Infrastruktur bröckelt, es sollen Milliarden in Straße und Schiene fließen. Auch bei Digitalisierung und Breitbandausbau kommt das Land nur schleppend voran. Allesamt Projekte, die viel Geld kosten. Hinzu kommt: Ab 2028 muss der Bund die angehäuften Corona-Schulden zurückzahlen. Teuer sind auch die sozialpolitischen Versprechen der Ampel. Das Rentenniveau wurde auf Druck der SPD bei 48 Prozent festgeschrieben, die FDP bekam dafür den Einstieg in die Kapitaldeckung. Kostenpunkt: zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Das interne Klimaproblem

Ihre vergangenen Klausuren in Meseberg hat die Koalition stets für schöne Bilder genutzt: Das Gästehaus der Bundesregierung bietet die passende Kulisse für harmonische Fotos von gut gelaunten Ministern und Ministerinnen.

Doch noch weniger als in der Vergangenheit können die zu erwartenden Fotos dieses Mal darüber hinwegtäuschen, dass die Koalition ein internes Klimaproblem hat: Sie wirkt notorisch zerstritten und trägt ihren Krach in der Öffentlichkeit aus. Vor der Sommerpause hatte Bundeskanzler Scholz seinem Kabinett eigentlich mehr Harmonie verordnet. Doch damit war es spätestens vorbei, als Familienministerin Paus zwischenzeitig das Wachstumschancengesetz ihres Kollegen blockierte. Vizekanzler Robert Habeck seufzte danach im "heute-journal": "Wir versauen es uns permanent selbst, und das ist auf die Dauer kein Erfolgsgeheimnis."

Nach den vergangenen Kabinettsklausuren hielt die Ampel-Harmonie stets nur kurz. Immerhin: Inzwischen drängt die Zeit. Die Hälfte der Wahlperiode ist bald vorbei, und zahlreiche Versprechen hat die Ampel in den kommenden zwei Jahren noch umzusetzen – vom Kampf gegen steigende Mieten bis zum Dauerthema Digitalisierung. Um erfolgreich zu sein, dürften neue Wege in der Konfliktlösung hilfreich sein.

Verwendete Quellen:

  • Stellungnahmen von Bijan Djir-Sarai, Omid Nouripour und Jens Spahn
  • Pressekonferenz der Linken
  • spiegel.de: IW-Chef Hüther über Bundeshaushalt: "Lindners Sparkurs ist verfehlt"
  • zdf.de: "Wir versauen uns es permanent selbst"
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Teaserbild: © dpa/Kay Nietfeld