Politische Überzeugung oder reine Symbolpolitik? Diese Frage stellt sich angesichts der aktuellen Manöver der CSU. Politikwissenschaftler Werner Patzelt und Wahlkampfexperte Johannes Hillje erklären die Strategie dahinter. Einig sind sie sich aber nicht.
Ankerzentren, Kreuz-Vorstoß, Asylstreit, Familiengeld: Die Themen, die aktuell die politische Agenda bestimmen, kommen auffällig häufig aus den Reihen der CSU. Zufall?
Ein Blick in den Kalender legt etwas anderes nahe: Im Oktober stehen in Bayern die Landtagswahlen an. Wie stark prägt das die aktuelle Politik der CSU?
Für SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen war auf dem Landesparteitag in Weiden klar: "Die CSU betreibt ein schmutziges, populistisches Spiel für die vermeintlich schnelle Wählerstimme."
Wurden anfangs noch Sätze von CSU-Chef und Innenminister Horst
Für die CSU ist das Wahlergebnis existenziell
"Die bevorstehenden Landtagswahlen haben tatsächlich Druck hervorgebracht, ohne den eine Entscheidung so grundlegender Art in Sachen Migrationspolitik nicht erfolgt wäre", sagt der Politikwissenschaftler Werner Patzelt, der an der TU Dresden lehrt. Für die CSU sei das Abschneiden bei der Landtagswahl von existenzieller Bedeutung - für ihre bundes- und landespolitische Rolle.
"Die CSU weiß genau, dass ihre politische Überzeugungskraft davon abhängt, dass sie in Bayern die absolute Mehrheit hat und Bayern als Bundesland gut dasteht", erläutert Patzelt. Unter dem beschriebenen Druck habe die CSU nicht länger akzeptieren können, dass sich die CDU tot stelle oder auf Zeit spiele.
Auch Wahlkampfexperte Johannes Hillje sieht den Einfluss der anstehenden Wahlen. "Im Grunde zieht die CSU den Landtagswahlkampf auf die bundespolitische Ebene", lautet seine Einschätzung.
Das zeigten allein die Akteure, die sich die Bälle zuspielten: Markus Söder als Spitzenkandidat und Ministerpräsident von Bayern und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer als Innenminister in Berlin.
Patzelt: "CSU bleibt ihrer Linie treu"
Horst Seehofer beteuerte im Gespräch mit der "Bild am Sonntag", es gehe nicht um Symbolpolitik, sondern darum, "endlich eine zukunftsfähige Lösung für die Zurückweisung von Flüchtlingen an unseren Grenzen" zu bekommen.
Politikwissenschaftler Patzelt findet: "
In seinen Augen bleibt die CSU einfach ihrer Linie treu. Konkret: "Die CSU hat seit Beginn der Massenzuwanderung im Jahr 2015 immer gesagt, dass sie
CSU hat andere Machtposition inne
Die Situation hat sich für Patzelt lediglich dahingehend verändert, dass die CSU aktuell eine andere Machtposition auf dem bundespolitischen Parkett hat: "Vor der Bundestagswahl war die CSU für die große Koalition unerheblich. Nun ist sie ausschlaggebend dafür, ob die Koalition eine Mehrheit hat."
Die Strategie der CSU erklärt der Politikwissenschaftler wie folgt: "Nachdem das Nicht-Verfolgen der CSU-Linie die AfD stärker gemacht hat, ist der Zeitpunkt gekommen - zumindest in den Augen der CSU - es hier auf den großen Konflikt ankommen zu lassen und von der CSU für vernünftig gehaltene Grundsatzentscheidungen zu treffen."
Die CSU habe sich lange gescheut, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) - über eine symbolische Standpauke beim CSU-Parteitag hinaus - konfrontativ gegenüber aufzutreten.
"Man hat sich deshalb daran gewöhnt, dass bayerische Positionen nicht ernst zu nehmen sind", vermutet Patzelt. Das Gegenteil wolle die CSU nun mit allen Mitteln klarstellen.
Wortwahl entlarvt Strategie
Wahlkampfexperte Hillje ist anderer Meinung. Er erkennt in dem Agieren der CSU deutlich die Symbolpolitik: "Der Kreuz-Vorstoß war im höchsten Maße Symbolpolitik, ist aber nur ein Beispiel von vielen."
Hillje lenkt den Fokus auf die Wortwahl der CSU. "Sie spricht immer wieder von Dauerbelastung und Migrantenströmen und zeichnet damit ein Bild, das im Widerspruch zur Realität steht", unterstreicht der Politikberater.
Ein Blick auf die Zahlen zeige: In den vergangenen Monaten habe es im Schnitt jeweils 10.000 neue Asylanträge gegeben. "Die Krisenszenarien trafen vielleicht auf die Situation 2015 zu, aber bilden nicht die aktuelle Lage ab", betont der Experte.
Hillje sieht Entmenschlichung der Debatte
Vor wenigen Tagen twitterte Markus Söder: "Der Asyltourismus muss beendet werden." Für Hillje ist das eine Entmenschlichung der Debatte.
"Dieses Framing vernachlässigt völlig, dass unsere Asylpolitik rechtlich auf humanitären Grundsätzen beruht - nämlich Menschen Schutz zu bieten, die vor großem Leid fliehen", argumentiert der Experte. Jene als Touristen - und damit Erholungssuchende - zu bezeichnen oder sie mit Naturkatastrophen gleichzusetzen, sei klar entmenschlichend.
Der Kommunikationsexperte erklärt den Trick: "Gegen Naturkatastrophen erscheint Abschottung als sinnvolle Maßnahme, weil es sehr schwer ist gegen ihre Ursachen etwas zu tun. Die CSU will diese Lösungsstrategien auch in der Migrationspolitik nahelegen und von der Diskussion über die Ursachen von Flucht und Migration ablenken."
Angesprochen würden damit besonders die Wähler, die von der Union zur AfD gewechselt seien.
Vor knapp einem Monat hatte die CSU in einem Strategiepapier die AfD heftig kritisiert. Hillje glaubt: "Das war ein Blendwerk für die Öffentlichkeit. Die CSU wendet selbst die zugespitzte Sprache der AfD an, um die Wähler anzusprechen, die weiter nach rechts gerückt sind."
Strategie der CSU: Handlungsfähigkeit
Die Strategie der CSU betitelt der Wahlkampfexperte mit dem Schlagwort Handlungsfähigkeit.
Dafür gebe es internationale Vorbilder: "Donald Trump hat mit dem Ausstieg aus dem Weltklimaabkommen oder schnellen Dekreten zum Einreisestopp für Muslime den gleichen Ansatz verfolgt, und auch Emmanuel Macron war nach seiner Wahl bemüht darum, rasch viele Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen - egal wie ausgereift der Entwurf war", sagt Hillje.
Im Vordergrund stehe, Ergebnisse zu liefern und zu beweisen, dass man politische Probleme lösen könne. "Darin haben nämlich viele Bürger das Vertrauen verloren", ergänzt der Experte. Das Zurückweisen von Migranten an der Grenze sei eine schnelle Problemlösung - ob nachhaltig oder nicht stehe auf einem anderen Blatt.
In Hilljes Augen versucht die CSU, Seehofer als Führungsperson in dem Konflikt darzustellen. "Er soll den Ton angeben - Seehofer als Koch, Merkel als Kellnerin", illustriert er.
Diverse Medien hätten etwa berichtet, Seehofer wolle Merkel im Asylkonflikt eine Zwei-Wochen-Frist gewähren. "Dabei war es ihr Vorschlag", erinnert Hillje - es handle sich also um eine von Medien übernommene falsche Rollenzuschreibung.
Streit als Teil der Demokratie
Patzelt sieht den Streit zwischen Merkel und Seehofer als Ausdruck repräsentativer pluralistischer Demokratie. "Davon lebt das System", betont er.
Aus Sicht der CSU hätten die Wahlergebnisse gezeigt, dass die CDU-Positionen nicht auf große Wählerzustimmung gestoßen seien. "Die CSU hat sich daher entschlossen, nicht wieder kleinbeizugeben, sondern ihre Linie über einen heftigen bundespolitischen Konflikt durchzuziehen." Das schade der Bundespolitik nicht - ihr schade vielmehr falsche Politik.
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