Zu langsam und zu wenig: Das war bislang das Urteil der Union mit Blick auf die Ukraine-Unterstützung der Ampel. Doch zuletzt waren von den Christdemokraten vermehrt Rufe nach Friedensverhandlungen zu hören. Johann Wadephul sieht darin keinen Widerspruch – ganz im Gegenteil. Für ihn sind die Standpunkte zwei Seiten einer Medaille.

Ein Interview

"Hätten wir früher mehr getan, wäre dieser Krieg früher zu Ende gewesen", sagte CDU-Chef Friedrich Merz vor kurzem in einem Interview. Lange hat die Union die Ampel in der Frage der Ukraine-Unterstützung vor sich hergetrieben. Doch zuletzt sind diese Stimmen leiser geworden. Der Fokus der Union scheint sich rund um die Landtagswahlen im Osten auf das Thema Migration verschoben zu haben.

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Bei CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul ist das nicht der Fall – daran lässt er im Gespräch mit unserer Redaktion keinen Zweifel. In ruhigem und höflichen Ton spricht er über die militärisch angespannte Situation in der Ukraine. Er wirkt norddeutsch, gelassen. Nur als die Rede auf den Kanzler kommt, ist ein Hauch von Ungehaltenheit zu spüren.

Denn mit Blick auf die Lage im Ukraine-Krieg fordert Wadephul mehr von Olaf Scholz: mehr Waffen, mehr Diplomatie und mehr Druck auf Putin.

Herr Wadephul, mit der Kursk-Offensive ist der Ukraine ein Überraschungsschlag gegen Russland gelungen. Jetzt steht sie aber sowohl auf dem russischen Gebiet als auch am Donbass unter Druck. Hat sich Kiew mit der Offensive übernommen?

Johann Wadephul: Beide Seiten spielen ein Hochrisikospiel. Die Ukraine, indem sie nicht alle ihre Kräfte im Donbass bündelt, um die Angriffe dort zurückzuschlagen. Russland, indem es lieber den Druck im Donbass erhöht, statt seine Truppen nach Kursk zu verlegen. Es war von vornherein klar, dass die Ukraine mit Start der Offensive seine Kräfte nicht in dem Umfang wie bisher im eigenen Land einsetzen kann. Dass sich die Lage für Kiew dort nun problematischen entwickelt, kommt insofern nicht überraschend.

Aber?

Trotzdem muss man feststellen: Stand jetzt hält die Ukraine das Gebiet in Kursk. Russland ist derzeit nicht in der Lage, das eigene Land von fremden Truppen zu befreien. Deswegen sehe ich die Offensive als einen relativen Erfolg. Für welche der beiden Seiten das Spiel besser ausgeht – das wird sich erst zeigen, wenn wir in der nächsten Phase des Konflikts sind.

Was genau meinen Sie?

Dass es zu Friedensverhandlungen kommt. Indem sie die Kursk-Region als Faustpfand gegenüber Russland hält, will die Ukraine genau diese Phase schneller herbeiführen.

Angesichts der Lage drängt Kiew seine Verbündeten darauf, gelieferte Langstreckenraketen auch auf Ziele auf russischem Staatsgebiet abfeuern zu dürfen. Die USA und Großbritannien ziehen das in Betracht. Aus Ihrer Sicht ein richtiger Schritt?

Russland greift das gesamte ukrainische Staatsgebiet an. Insofern ist es nicht nachvollziehbar, dass die Ukraine die ganze Zeit mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen soll. Nachdem das völkerrechtlich zulässig ist, sollten sich alle westlichen Verbündeten diese Sache noch einmal überlegen und der Ukraine mehr Spielraum geben.

Es ist bemerkenswert, dass der Kanzler und Wladimir Putin hier dieselbe Argumentation haben.

Johann Wadephul, CDU-Politiker

Der Kanzler bleibt bei dem Thema hart. Er will, selbst wenn die USA und Großbritannien in der Frage umschwenken, keine Taurus-Marschflugkörper liefern. Haben Sie Verständnis dafür?

Das ist weder vernünftig noch überlegt – das ist Starrsinn. Obwohl eine Mehrheit in seiner Koalition einer Meinung mit der Union ist, dass wir Taurus-Raketen liefern sollten, kann er sich daraus nicht lösen. Seine Unterstützung kam bislang immer zu spät und fiel dann zu gering aus. Olaf Scholz hat deshalb eine Mitverantwortung für die Schwäche der Ukraine.

Der Kanzler befürchtet eine Eskalation. Eines seiner Argumente gegen die Lieferung ist, dass man etwa die Zielsteuerung der Taurus-Raketen für die Ukraine bereitstellen müsste. Darin sieht er die Gefahr, dass Deutschland zur Kriegspartei wird. Keine unberechtigte Sorge, oder?

Diese Herleitung ist falsch. Das hat das abgehörte Gespräch der Bundeswehr- und Luftwaffenoffiziere schon im März gezeigt. Dort ist klipp und klar gesagt worden, dass ein Einsatz deutscher Soldaten auf dem Gebiet der Ukraine und beim Einsatz der Waffensysteme nicht notwendig ist. Es ist bemerkenswert, dass der Kanzler und Wladimir Putin hier dieselbe Argumentation haben. Schon daran sollte man merken, dass etwas faul ist.

Putin sagt, dass die Nato direkt in den Krieg gezogen würde, weil Kiew zum Einsatz der Raketen "Aufklärungsdaten von Satelliten" der EU oder der Nato bräuchte.

Wir sollten Putin nicht auf den Leim gehen. Es ist bedenklich, dass der Bundeskanzler immer wieder Gedanken des russischen Präsidenten übernimmt, der nur Verwirrung und Angst bei uns erzeugen will. Diese Rechnung darf nicht aufgehen.

Heißt: Sollte die Union nach der Bundestagswahl 2025 den Kanzler stellen, dann bekommt die Ukraine definitiv Taurus-Raketen?

Heute beantworte ich die Frage mit Ja. Aber bis zur Wahl und bis die neue Regierung gebildet ist, ist es noch über ein Jahr. Wie ich die Frage in der dann herrschenden Situation beantworte, kann ich heute nicht seriös sagen.

Sollten Großbritannien und die USA sich dazu durchringen, die Langstreckenwaffen freizugeben, inwiefern würde das Ihrer Meinung nach die Dynamik in dem Krieg verändern?

Die Ukraine würde jedenfalls gestärkt. Sie wäre in der Lage, weit im russischen Hinterland Nachschublinien und Munitionslager anzugreifen. Russland müsste diese dann weiter nach hinten verlegen, was seine Kriegsführung erschweren würde. Damit hat die Ukraine den Krieg nicht gewonnen, aber sie könnte sich viel besser verteidigen. Und es würde die Möglichkeit, endlich zu sinnvollen Friedensverhandlungen zu kommen, vergrößern.

Forderungen, Deutschland müsse sich mehr für eben solche Verhandlungen einsetzen, gab es zuletzt vermehrt aus Ihrer Partei. Doch als sich der Kanzler jüngst genau dafür ausgesprochen hat, gab es scharfen Gegenwind aus der Union. Was denn nun?

Ich habe ihn unterstützt.

Deutschland ist das größte und wirtschaftlich stärkste Land in Europa und hat deshalb eine besondere Verantwortung

Johann Wadephul, CDU-Politiker

Sie haben ihm gegenüber der Süddeutschen Zeitung "Wunschdenken" vorgeworfen. Klingt nicht gerade nach Unterstützung.

Es ist insofern Wunschdenken, als wenn man sich kurzfristige Erfolge erhofft. Was der Kanzler in dem Interview gesagt hat, klang danach, als stünden man kurz vor Verhandlungen.

Also stört Sie die Wortwahl, aber nicht die eigentliche Forderung?

Der Bundeskanzler ist Teil der Exekutive: Anders gesagt der ausführenden Staatsgewalt. Er handelt aber nicht, sondern redet und fabuliert an allererster Stelle. Denken Sie an Angela Merkel, die damals die Minsk-Verhandlungen initiiert hat. Die in Berlin eine große Konferenz veranstaltet hat, um im Libyen-Krieg zu vermitteln. Das war eine Kanzlerin, die diplomatische Initiativen ergriffen hat. Von Scholz kommt hier nichts.

Diesen Vorwurf könnten Sie auch jeder anderen westlichen Regierung machen. Selbst nach mehr als zwei Jahren seit Beginn der russischen Invasion hat man innerhalb der EU keine gemeinsame Ukraine-Linie.

Ja könnte man. Aber Deutschland ist das größte und wirtschaftlich stärkste Land in Europa und hat deshalb eine besondere Verantwortung in dieser Frage. Deswegen fordere ich Scholz auf, gemeinsam mit den anderen Verbündeten dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen für eine Friedenskonferenz geschaffen werden.

Was braucht es dazu?

Hier gilt die alte Regel: Zuckerbrot und Peitsche. Heißt zum einen müssen die Gesprächskanäle nach Moskau wieder geöffnet werden. Denn so sehr ich Russland kritisiere, man kann nur Friedensverhandlungen führen, wenn beide Konfliktparteien sich daran beteiligen. Auf der anderen Seite muss der militärische Druck auf Putin steigen. Sonst wird er sich nicht auf Verhandlungen einlassen. Das geht nur, wenn die Ukraine wirkungsvoller unterstützt wird.

Die Ukraine hat Verhandlungen lange abgelehnt. Zuletzt schlug sie allerdings neue Töne an. Sind wir schon auf dem Weg in die nächste Phase dieses Kriegs?

Ich denke die Offenheit in der Ukraine für Verhandlungen oder Friedensinitiativen wächst. Selenskyj hat schließlich auch angekündigt, dass er der Öffentlichkeit einen Plan präsentieren will, wie man Frieden erreichen kann. Dieses schreckliche Sterben möglichst schnell zu beenden, das muss unser gemeinsames Ziel sein.

Über den Gesprächspartner

  • Johann David Wadephul wurde 1963 in Husum (Schleswig-Holstein) geboren. Nach dem Abitur ging er als Zeitsoldat zur Budneswehr und studierte anschließend Rechtswissenschaften. Der Bundeswehr gegenüber ist er noch heute als Oberstleutnant der Reserve verbunden. In die CDU trat der Jurist 1982 ein. Von 2005 bis 2009 saß er als Abgeordneter im Landtag von Schleswig-Holstein. Von 2010 bis 2021 war er zudem Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Seit 2021 sitzt er für die CDU im Bundestag. Dort ist er unter anderem stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion für die Bereiche Auswärtiges, Verteidigung, Interparlamentarische Konferenz, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
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