Für die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist klar: Die gemeinsame Asyl-Abstimmung von Union und AfD im Bundestag ist ein Dammbruch. Rehlinger hält es für möglich, dass sich Schwarz und Blau weiter annähern.
Anke Rehlinger (SPD) ist gerade aus dem Saarland angereist. Es steht ein langer Tag in der Hauptstadt an: Erst eine Gedenkfeier an die Opfer des Holocausts, an der die saarländische Ministerpräsidentin teilnimmt, dann wird sie im Bundestag sprechen. In den Nachrichten, auf Social Media und im politischen Berlin ist später von einem historischen Tag die Rede – nicht nur wegen des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes.
Es ist der Tag, an dem die Union einen Antrag zur Begrenzung der Migration im Bundestag zur Abstimmung stellt und eine Mehrheit durch die Stimmen der AfD in Kauf nimmt. Am Ende wird diese Mehrheit knapp erreicht, eben dank der selbsternannten Alternative.
Frau Rehlinger, Sie regieren im Saarland mit absoluter Mehrheit. Was kann
Anke Rehlinger: Olaf Scholz ist ein sehr erfahrener Regierungschef und auch Wahlkämpfer. Im Übrigen gehört er selbst zu denen, die schon mal eine absolute Mehrheit gewonnen haben, in seiner Zeit in Hamburg. Er braucht also keine Ratschläge von mir.
Von einer absoluten Mehrheit ist die SPD im Bund weit entfernt. Die Umfragewerte stagnieren bei 15 bis 17 Prozent.
Das hat auch mit der schwierigen Regierungszeit der Ampel zu tun. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass sich das ändert, je näher der Wahltermin rückt. Dann schauen die Menschen weniger in den Rückspiegel. Sie wollen dann wissen: Welche Partei hat die richtigen Konzepte für die Zukunft? Da ist die SPD gut aufgestellt. Und am Ende entscheidet nur eine Umfrage: die am 23. Februar.
Der Wahlkampf ist zugespitzt. Wirtschaft und Migration sind die bestimmenden Themen. Beides Bereiche, in denen der SPD nicht viel Kompetenz zugesprochen wird.
Für die SPD sind die Themen wichtig, die die Menschen am Abendbrottisch diskutieren. Das ist kein Wünsch-Dir-Was. Wirtschaft und Arbeitsplätze sind das wichtigste Thema. Und die SPD ist die Partei, die sich für Arbeitsplätze in Industrie und Mittelstand starkmacht. Wir haben da Kompetenz und übrigens auch seriös finanzierte Vorschläge. Was das Thema Migration angeht:
In der Wirtschaftspolitik setzt die SPD bei der Ansiedlung von Unternehmen auf staatliches Geld. Haben Intel in Magdeburg oder Wolfspeed bei Ihnen im Saarland nicht gezeigt, dass Subventionen keine Jobs schaffen?
Wir brauchen einen starken Staat, um die Transformation in der Wirtschaft zu begleiten. Es gibt Parteien, die meinen: Der Markt regelt alles und wir schauen hinterher, wer noch übriggeblieben ist. Das ist die falsche Antwort. Es geht auch nicht um Subventionen für nicht-wettbewerbsfähige Unternehmern – wir sprechen von hochproduktiven Arbeitsplätzen. Die wollen wir bei uns. Dass das klappt, zeigen eine ganze Reihe von erfolgreichen Ansiedlungen.
Eine andere Form der Wirtschaftspolitik wäre: Für alle Unternehmen die Investitionsbedingungen verbessern, Steuern senken. Also mehr Angebotspolitik.
Das will auch die SPD. Es geht um beides. Die SPD will zum Beispiel steuerlich begünstigen, wenn Unternehmen hier im Land investieren. Wir haben Vorschläge gemacht, wie wir die Energiepreise für alle auf ein vernünftiges Maß senken. Die Union blockiert das – obwohl die Unternehmen das schnellstmöglich brauchen. Der Bundeskanzler hat den Pakt für Genehmigungs- und Verfahrensbeschleunigung vorangetrieben. Hier geht es um Bürokratieabbau.
In Sachen Migration fährt die Union einen harten Kurs. CDU-Chef
Die SPD-geführte Bundesregierung hat die irreguläre Migration massiv zurückgeführt. Bund und Länder gehen gemeinsam bis an die Grenzen dessen, was rechtlich möglich ist. Auch jetzt liegen Gesetzentwürfe in Bundestag und Bundesrat, die weitere Verbesserungen bringen würden. Die Union blockiert das und sucht stattdessen die Stimmen der teilweise rechtsextremen AfD. Friedrich Merz spaltet damit die Mitte der Gesellschaft.
Wie meinen Sie das?
Weil die demokratische Mitte sich an Recht und Gesetz halten will, ist er bereit, auf zweifelhafte Mehrheiten zu setzen. Das ist ein Tabubruch in der demokratischen Tradition unseres Landes. Friedrich Merz hat stets beteuert, das niemals zu tun. Jetzt hat er es getan. Deshalb, noch schlimmer: Es ist ein Dammbruch.
Inwiefern?
Ich kann mir kaum vorstellen, wie ein Parteivorsitzender in Ländern und Kommunen darauf drängen will, auf Mehrheiten mit der AfD zu verzichten, wenn er das im Bundestag als legitimes Mittel ansieht.
Sie können sich also vorstellen, dass das eine künftige Annäherung der Union an die AfD darstellen könnte?
Wem egal ist, wer für seine Anträge stimmt, dem ist vielleicht auch egal, wer ihn zum Bundeskanzler wählt.
Sie und die anderen SPD-Landeschefinnen und -chefs haben einen Brief an die Kollegen von Union und Grünen geschrieben. Sie appellieren, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die mehr innere Sicherheit ermöglichen. Was stellen Sie sich da vor?
Wir haben in der Ministerpräsidentenkonferenz schon oft gezeigt, dass es über Parteigrenzen hinweg möglich ist, sachgerechte Lösungen zu finden. Wer Verantwortung trägt, schafft sowas. Ich hoffe, dass das so bleibt.
Migration und Asyl sind in großen Teilen Sache der Länder. Immer wieder steht der Vorwurf im Raum, dass Behörden im Umgang mit möglichen Gefährdern versagt haben – so wie in Solingen, in Magdeburg und jetzt auch in Aschaffenburg. Wie kann das besser werden?
Wir müssen bei uns selbst überprüfen, ob wir genug Personal haben, ob die Abläufe funktionieren, wo es hakt und wo Notwendigkeiten bestehen, etwas an der Rechtslage zu verändern. Ganz häufig ist es aber so, dass Verschärfungen gefordert werden – obwohl es ausreichen würde, alles im bestehenden Rechtsrahmen auszunutzen. Die aktuellen Vorschläge sind nicht mit höherrangigem Recht – also unserer Verfassung, EU- und Völkerrecht – vereinbar. Die Anschläge müssen Konsequenzen haben – aber doch nicht so, dass wir in der EU plötzlich alleine mit Viktor Orbán stehen.
Trotzdem ist das Unsicherheitsgefühl in der Gesellschaft vorhanden. Die Union macht jetzt immerhin Vorschläge, wie der Missstand angegangen werden kann. Aus den Reihen der SPD hört man hier wenig.
Es ist nicht die Aufgabe von Politik, in Schnellschüssen Vorschläge zu machen, die nicht funktionieren, und dann wieder zurückrudern. Das führt zu Enttäuschung. Politik muss Probleme lösen und dafür vernünftige, durchdachte Vorschläge machen.
Der Bundesrat hat im vergangenen Jahr das Sicherheitspaket der Ampel in Teilen platzen lassen. Welche Verantwortung tragen die Länder an der jetzigen Situation?
Das waren die unionsgeführten Länder. Es steht jedem frei zu sagen, man hätte sich an der einen oder anderen Stelle mehr gewünscht. Aber in Zeiten, in denen alle Umstände beklagen, die es zu beseitigen gilt, kann man den Menschen schwer erklären, einen solchen Vorschlag abzulehnen.
Das Sicherheitspaket
- Im sogenannten Sicherheitspaket hat sich die damalige Ampel-Regierung im Herbst 2024 auf eine Reihe von Maßnahmen geeinigt, die die innere Sicherheit verbessern sollten. Darunter etwa die Verlängerung von Grenzkontrollen um sechs Monate und Verschärfungen im Asyl- und im Waffenrecht. Außerdem sollten die Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse bekommen, etwa die Möglichkeit, in bestimmten Fällen biometrische Daten im Internet abzugleichen. Dieser Teil des Gesetzes war zustimmungspflichtig – also auf das Okay der Länder angewiesen. Der Bundesrat hat diesen zweiten Teil des Sicherheitspakets allerdings blockiert. Der Grund: Den unionsgeführten Ländern haben die Maßnahmen nicht ausgereicht. (ras)
Es wirkt zeitweise so, als würden die Länder je nach Parteizugehörigkeit Blockadehaltungen gegenüber der Regierung einnehmen. Ist der Bundesrat nur ein verlängerter Arm des Bundestages?
Der Bundesrat ist gerade der Ort, wo es nicht darum geht, aufgrund von Parteilinien Dinge abzulehnen oder auf den Weg zu bringen. Das ergibt sich schon daraus, dass bis auf das Saarland alle Bundesländer von Koalitionen regiert werden. Hinzu kommen die verschiedenen Eigenheiten der Regionen. Wir tun, wozu wir verpflichtet sind: Wir sorgen dafür, dass die Dinge im Sinne unserer Länder auf den Weg gebracht werden können.
Über die Gesprächspartnerin
- Anke Rehlinger ist seit 2022 Ministerpräsidentin des Saarlandes und regiert dort mit absoluter Mehrheit. Zuvor war sie unter anderem Wirtschaftsministerin des Saarlandes und Vize-Ministerpräsidentin. Rehlinger ist seit 1998 Mitglied der SPD, seit 2018 ist sie Landesvorsitzende ihrer Partei im Saarland, 2019 wurde sie stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. Die 48-Jährige hält mit Stand Oktober 2024 den saarländischen Rekord im Kugelstoßen.
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