Nach dem Wahlsieg der AfD in Thüringen drückte sich ein CDU-Politiker bei "Hart aber fair" um die Frage, wie seine Partei die Mehrheit organisieren will. SPD-Minister Karl Lauterbach machte das AfD-Ergebnis betroffen – und er packte gegenüber Björn Höcke einen Nazi-Vergleich aus.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Einen Tag nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen dreht sich bei "Hart aber fair" alles um den großen Erfolg der AfD – sowie die schlechten Ergebnisse der Ampel – in beiden Bundesländern.

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Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

Einen Tag nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen lud Louis Klamroth bei "Hart aber fair" gleich acht (!) Gäste zur Wahlnachlese ein. Die Runde diskutierte über den Erfolg der AfD, die in Thüringen erstmals in einem Bundesland stärkste Kraft geworden ist – obwohl sie dort wie auch in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.

Welche Folgen hat das für die beiden Länder und die gesamte Bundesrepublik und welche Konsequenzen zieht die Ampel aus dem Wahldesaster? Das Thema bei "Hart aber fair": "Stunde der Wahrheit: Verändern die Wahlen in Thüringen und Sachsen das Land?"

Das sind die Gäste

  • Beatrix von Storch: Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion sprach nach dem Sieg in Thüringen von einer neuen Phase der AfD-Parteigeschichte. "Die Grünen haben dafür 30 Jahre gebraucht." Sie konterte Anti-AfD-Äußerungen aus der Wirtschaft mit dem Verweis auf die reale "katastrophale Wirtschaftspolitik" der Regierung: "Daran ist nicht die AfD Schuld." Ihr Rezept gegen den Fachkräftemangel ist langfristig eine "aktive Bevölkerungspolitik", also die Bedingungen fürs Kinderkriegen deutlich zu verbessern.
  • Veronika Grimm: Die Ökonomin und eine der "Wirtschaftsweisen" konterte, dass die AfD gar nichts im Angebot habe, um das Potenzial an einheimischen Arbeitskräften zu vergrößern. Dazu gehören Frauen in Teilzeit als eine große Gruppe, die mehr arbeiten könnte. Um das attraktiver zu machen, so Grimm, bräuchte man mehr Ganztagsschulen und Betreuungsangebote. Alles "keine Forderungen der AfD", wie sie feststellte. Den Erfolg der Partei nannte sie "für den Osten eine große Herausforderung. Denn das, was man braucht, um Wirtschaftswachstum zu generieren, ist eigentlich genau das, was die AfD nicht fordert." Hinzu kämen ihre "teilweise menschenverachtenden Positionen gegenüber Zuwanderern". Es brauche eine Willkommenskultur für Fachkräfte und keine feindliche Stimmung. Auch die EU-feindliche Politik der AfD nannte Grimm "total problematisch" für die deutsche Wirtschaft.
  • Karl Lauterbach: Der SPD-Bundesgesundheitsminister zerpflückte Thorsten Freis Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der Linken in Thüringen. Den noch amtierenden linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow lobte er über den grünen Klee. Der sei gemäßigt, ein Christ, ein konservativer Vertreter seiner Partei, und wäre ihm in einer Koalition "hundertmal lieber" als Sahra Wagenknecht, eine ehemalige Kommunistin, die Putins Öl kaufen wolle.
  • Thorsten Frei (CDU): Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion machte die Ampel-Politik verantwortlich für das schlechte Ergebnis der Parteien der Mitte bei den Landtagswahlen. So weit, so erwartbar. Beim Thema Koalition mit der Linken verwies Frei auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der Union aus dem Jahr 2018, der eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken verbietet – wobei die CDU in Thüringen in den vergangenen fünf Jahren die Ramelow-Regierung ja gestützt hatte. Frei hofft auf einen Übertritt aus der Landtagsfraktion der Linkspartei zum BSW, was einer CDU-SPD-BSW-Koalition eine Stimme Mehrheit verschaffen würde.
  • Jana Hensel: Für die Autorin von "Die Zeit" und "Zeit-Online" sind die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen "keine Zäsur, aber ein weiterer Schritt in einer besorgniserregenden Entwicklung". Hensel glaubt, dass es das Beste wäre, "man würde Bodo Ramelow in Thüringen in das Bündnis aus CDU, SPD und BSW hineinnehmen". Den Erfolg des BSW erklärt sich die Autorin auch mit dem großen Friedenswunsch im Osten im Ukraine-Krieg. Diese Perspektive adressiere das BSW.
  • Christian Leye: Der BSW-Generalsekretär bekräftigte, dass seine Partei schon die Strukturen für eine Regierungsbeteiligung geschaffen habe und bereit für Sondierungsgespräche sei. Die Gerüchte um mögliche Linken-Überläufer in Thüringen kommentierte er belustigt. "Das würde mich auch interessieren, tatsächlich", sagte er grinsend unter Gelächter im Publikum. Dass das BSW nun aus der Kalten zwei Koalitionen mit CDU-Beteiligung eingehen könnte, sorgt bei Leye nicht für Freudentänze. "Ich habe nicht nachts wach gelegen und von einer Koalition mit der CDU geträumt", sagte er.
  • Hendrik Bolz: Der Podcaster ("Springerstiefel") und Schriftsteller war angesichts der Wahlergebnisse nicht geschockt. "Ich war eher geschockt darüber, wie geschockt manche Leute waren." Seine Prognose für die AfD: "Wenn sich nichts ändert, wird in fünf Jahren eine 40 oder 50 (auf dem Wahlbalken. d. Red.) stehen." Er hofft, dass das begriffen wird auf der großen Bühne, also von der Union und den Ampelparteien.
  • Markus Feldenkirchen: Der "Spiegel"-Journalist hat Zweifel, dass der Warnschuss durch die AfD-Erfolge bei den etablierten Parteien wirklich angekommen ist. Feldenkirchen weigerte sich, die Wahl routinemäßig einzuordnen. Er nannte es "wichtig in die eigene Geschichte zu blicken, um die Tragweite eines solchen Wahlergebnisses für uns zu sehen". 1932 war in Thüringen die NSDAP im Deutschen Reich erstmals an einer Regierung beteiligt. Dass durch den Unvereinbarkeitsbeschluss der Union der Rechtsextremist Björn Höcke mit Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gleichgesetzt werde, nannte er eine "Unverschämtheit" und "Stuss".

Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"

Björn Höcke, der gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden darf, hatte Kinder mit Behinderungen 2023 im MDR zu Belastungsfaktoren für das Schulsystem erklärt. SPD-Mann Karl Lauterbach griff den Thüringer AfD-Landeschef dafür bei "Hart aber fair" scharf an. "Das sind Äußerungen, die erinnern mich noch am ehesten an Äußerungen von Goebbels, wenn ich ehrlich sein darf."

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Das ist das Rede-Duell des Abends

Karl Lauterbach machte in seinem Eingangsstatement einen geradezu niedergeschlagenen Eindruck. Er finde das Ergebnis der Wahlen "schockierend", weil sich die AfD in den letzten Jahren weiter radikalisiert habe. "Da haben wir einen erheblichen Anteil als Ampel. Das kann man nicht kleinreden." Er sprach von einem "wirklich bestürzenden Ergebnis, was mir für die beiden betroffenen Länder auch leid tut".

Dieser Betroffenheits-Monolog verfing bei Jana Hensel kein bisschen: "Die AfD ist während Ihrer Regierungszeit um zehn Prozent gestiegen!", warf sie Lauterbach vor. Dann kritisierte sie sein Interview, in dem er Olaf Scholz als den "besten Bundeskanzler, den wir je gehabt haben" bezeichnete. Hensel: "Ich habe schon das Gefühl, dass die Realitäten extrem auseinander driften. Warum geben Sie sich jetzt so bestürzt?", fragte sie Lauterbach. Er hätte mehr gegen den Aufstieg der AfD kämpfen müssen.

Lauterbach rechtfertigte sich für seine Scholz-Aussagen: "Es ist ganz genau meine Meinung. Ich finde, dass Olaf Scholz ein sehr guter Bundeskanzler ist, weil er mit Bedacht und Vorsicht Probleme angeht, die lange Zeit liegen geblieben sind. Das war kein Wahlkampfslogan."

Nun konnte auch Markus Feldenkirchen die Scholz-Aussagen des Ministers besser einordnen. Als er den Lauterbach-Satz zuerst gehört hatte, habe er gedacht. "Was hat der von den jetzt legalen Pflanzen auf seinem Balkon geraucht?"

So hat sich Moderator Louis Klamroth geschlagen

Der Gastgeber managte seine "Achter-Gang" ziemlich reibungslos. Erst AfD-Frau von Storch und die Wirtschaftsweise Grimm im Zweiergespräch, dann die große Sechserrunde mit drei Politikern und drei Experten. Bei von Storch wählte er einen sachlichen Gesprächszugang – was völlig okay ist, will man AfD-Vertreter nicht in die Opferrolle drängen.

Beatrix von Storch im Dialog mit Louis Klamroth
Beatrix von Storch im Gespräch mit Louis Klamroth. © WDR/Oliver Ziebe

Stattdessen war es offenbar die Strategie, die AfD-Frau mit den Experten-Aussagen aus der Wirtschaft in Bedrängnis zu bringen. Doch von Storch ließ sich nicht aus der Reserve locken, gab sogar zu, dass es ganz ohne qualifizierte Fachkräfte in Deutschland nicht gehe. Etwas billig waren ihre Versuche, Veronika Grimm als staatsnah und damit voreingenommen gegenüber der AfD zu brandmarken. Weil sie im Siemens-Aufsichtsrat sitzt und Siemens vom Staat mit einer Milliarden-Bürgschaft unterstützt wird.

Später brachte Klamroth zumindest CDU-Mann Frei in die Bredouille. E zeigte eine Grafik, nach der mehr als 50 Prozent der Wähler in Sachsen und Thüringen nur CDU gewählt haben, damit die AfD nicht so viel Einfluss bekommt. Klamroth bestand auf einer Antwort, wie er das interpretiere. Die kam dann – aber nur in Form einer Politiker-Phrase. "Ich glaube, das hilft uns am Ende nicht weiter." Das half vor allem der Debatte nicht weiter.

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

Die CDU muss sich in Thüringen zur Linken positionieren. Lässt sie sich dulden oder einigt man sich gar auf eine Koalition? CDU-Chef Mario Voigt und Ministerpräsident Bodo Ramelow haben eine weitere Minderheitsregierung vor der Wahl klar abgelehnt. Das Problem auf dem Weg zu einer stabilen Mehrheit ist nicht nur der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union, sondern auch die Wahl in Brandenburg in knapp drei Wochen. Eine Zusammenarbeit von Christdemokraten mit der SED-Nachfolgepartei wäre bestes Wahlkampffutter für die AfD. Ergo deuten sich in Thüringen wohl eher gemächliche Sondierungsgespräche an.

Thorsten Frei von der CDU
Thorsten Frei von der CDU. © WDR/Oliver Ziebe

Die SPD, so Karl Lauterbach, wolle in beiden Ländern "konstruktiv" und "bescheiden" mitreden. Mehr kann sich die Kanzlerpartei aufgrund ihrer Verzwergung im Osten auch gar nicht herausnehmen. Sie ist ja schon glücklich, überhaupt noch in den Parlamenten zu sitzen.

Dagegen strotzt die AfD derzeit vor Größe. Die Rechtsaußen-Partei befindet sich in den Augen von Markus Feldenkirchen womöglich auf dem Pfad zur Normalisierung. Dabei würde ihr der Posten des Landtagspräsidenten helfen, auf den sie nach demokratischen Gepflogenheiten als stärkste Partei in Thüringen den Anspruch hat. Torsten Frei macht sich Sorgen, wie die Höcke-Partei ihre Macht der Sperrminorität künftig im Landtag nutzen wird. Zudem könnte es laut Frei zum Problem werden, dass in Thüringen gegen den Willen der großen Mehrheit der Wähler, die eine AfD-CDU-Koalition wollen, nun ein Bündnis links der Mitte gebildet wird. Feldenkirchen fürchtet, dass "sich gegen dieses Konstrukt in Thüringen noch viel mehr polarisieren lässt" und Höcke in fünf Jahren womöglich regiert.

Für Jana Hensel liegt der Schlüssel bei den etablierten Parteien. Die dürften die Themen und Konflikte nicht einfach liegen lassen – wie die Dreiviertel-Mehrheit im Osten gegen die Raketenstationierung. Und sich dann wundern, "dass uns die Leute verloren gehen."

Entscheidend wäre auch eine bessere Politik in Berlin. Wahrscheinlicher ist ein Durchgewurschtel der Ampel bis zur Bundestagswahl im kommenden Herbst. Davon könnte wohl vor allem die AfD profitieren – und die Regierungsparteien würden eine herbe Niederlage einstecken. Wie in Sachsen und Thüringen.

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