• Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist für ihre deutlichen und häufig auch kritischen Einlassungen gegenüber der Bundesregierung und Kanzler Olaf Scholz bekannt.
  • Die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ärgert sich im Interview mit unserer Redaktion über den Umgang und den "schnoddrigen Ton" des Kanzleramts als Reaktion auf ihren Offenen Brief mit der Forderung nach einer "Nationalen Ukraine-Konferenz".
  • Außerdem kritisiert sie den Politikstil von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und verrät, was sie an Stelle von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) anders machen würde.
Ein Interview

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Frau Strack-Zimmermann, Sie haben Bundeskanzler Olaf Scholz einen Offenen Brief geschrieben, in dem Sie die Einrichtung einer "Nationalen Ukraine-Konferenz" fordern. Was genau soll das sein und warum brauchen wir das?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Mich bewegt, dass aufgrund der Sommerferien das Thema Ukraine und die Kämpfe, die dort zunehmen, in Vergessenheit geraten könnten. Wenn man sich jeden Tag mit dem Kriegsverlauf beschäftigt, dann sieht man, dass der Druck auf die Ukraine enorm zunimmt. Die Angriffe werden heftiger. Das bedeutet, dass unser Engagement – das deutsche, das europäische, das der Nato – auch zunehmen muss, bevor die Ukraine, wie von Putin verfolgt, von der Landkarte verschwindet.

Aber wozu eine Konferenz?

Eine solche Ukraine-Konferenz wäre geeignet, um die verschiedenen Interessen innerhalb Deutschlands einmal gleichzeitig zusammenzubringen, das Bundeskanzleramt, die betreffenden Ministerien, die Bundeswehr, die Rüstungsindustrie und die Gewerkschaften und die parlamentarischen Entscheidungsträger. Dann können gemeinsam die Fragen geklärt und angegangen werden: Was wurde bisher an Waffen an die Ukraine geliefert? Was können wir noch realistischerweise in welchem Zeitraum liefern? Was kann die Industrie unmittelbar tun? Es wäre von großer Bedeutung, mal einen Gesamtüberblick zu haben, um auch ehrlich damit umzugehen.

Warum haben Sie das Mittel eines Offenen Briefes gewählt, statt den Kanzler direkt anzusprechen?

Ich habe an den Kanzler geschrieben und den Brief am 14. Juli dem Bundeskanzleramt überstellt, damit er dort schon mal in den richtigen Händen ist und sich die Betreffenden darauf einstellen können. Öffentlich wurde er erst drei Tage später. Der Kanzler hat den Inhalt also nicht aus der Zeitung erfahren. Eine Reaktion oder wenigstens eine Bestätigung des Briefeingangs habe ich, wie sonst üblich, allerdings nicht bekommen.

Dafür sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag öffentlich, man werde auf Ihren Brief nicht reagieren. Ziemlich brüsk, oder?

Eine Antwort sagen wir mal in einem ziemlich schnoddrigen Ton über eine Pressesprecherin zu bekommen, und zwar nur auf Nachfrage eines ARD-Journalisten, nach dem Motto, man würde auf öffentliche Briefe nicht reagieren, weil man davon ausgehe, dass die Veröffentlichung des Briefes der eigentliche Zweck sei, finde ich angesichts der Ernsthaftigkeit und Dramatik des Themas schon bemerkenswert. In der Ukraine tobt seit fünf Monaten ein Krieg. Jeden Tag kommen Hunderte Ukrainerinnen und Ukrainer ums Leben. Das ist wohl Grund genug, um auf einen solchen Vorschlag seriös zu antworten und nicht lediglich darauf hinzuweisen, das Kanzleramt würde sich doch mit allen Akteuren ausreichend austauschen. Also die Informationen, die uns als Parlamentarier im Detail erreichen, sind überschaubar bis widersprüchlich.

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Und wie geht es jetzt weiter?

Ich hoffe, dass nicht nichts passiert. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass meine FDP-Kolleginnen und -Kollegen in der Fraktion und speziell im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss dranbleiben. Der Begriff der Zeitenwende, den der Kanzler ja zu Recht geprägt hat, bedeutet ja nicht nur mehr Geld für die Bundeswehr bereitzustellen, sondern auch eine Antwort darauf zu finden, was Putin und seine Schergen mit der Welt veranstalten. Tschetschenien, Syrien, Georgien, die Krim, die Ostukraine und jetzt der Überfall auf die gesamte Ukraine – das hat seit Jahren Methode. Wir müssen diesem brutalen Vorgehen ein für alle Mal einen Riegel vorschieben, sonst wird die wertebasierte Ordnung, die wir uns bewusst nach dem grausamen Zweiten Weltkrieg gegeben haben, auf den Kopf gestellt und die freie friedliche Welt in Zukunft nicht mehr zur Ruhe kommen.

Was meinen Sie damit?

Ich prophezeie Ihnen: Wenn Putin militärisch in der Ostukraine Erfolg haben sollte, wird er zunächst eine Pause einlegen, um ein paar Jahre später mit einer wieder erstarkten Armee weiterzumachen. Dann kommt der westliche Teil der Ukraine dran, dann Moldawien. Und die baltischen Staaten werden dann noch gefährdeter sein, als sie es ohnehin schon sind. Die Lage ist also sehr ernst.

"Nur mit dem erhobenen Zeigefinger und weißen Tauben braucht man Putin nicht zu kommen"

Aber was genau verstehen Sie unter "ein für alle Mal klären"? Soll der Westen in Russland einmarschieren?

Wladimir Putin muss realisieren, dass er mit seiner brutalen Methode, andere Länder zu überfallen, um Gebiete zu annektieren und Grenzen zu verschieben, Städte zu zerstören und gnadenlos Menschenleben auszulöschen, keinen Erfolg haben wird. Nur mit dem erhobenen Zeigefinger und weißen Tauben braucht man Putin nicht zu kommen. Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren und Putin muss wissen, was es ihn kostet, wenn er diesen Krieg als legitimes politisches Mittel versteht. Der Einsatz und die Geschlossenheit Europas und die um Schweden und Finnland erweiterte Nato sind Signale, die Putin so nie erwartet hätte. Wenn wir militärisch stark sind und in Europa auch verteidigungswillig, dann wird er verstehen, vor allem, wenn aufgrund der Sanktionen auch die russische Volkswirtschaft auf Jahre daniederliegt.

Sie haben auf Twitter angekündigt, Sie und Ihre FDP-Kolleginnen und -kollegen wollten den Kurs der Regierung in Sachen Unterstützung der Ukraine und der Kommunikation dazu nicht weiter mittragen. Wollen Sie etwa die Koalition aufkündigen?

Wir werden einen passiven Kurs nicht mittragen, sondern so lange die notwendigen Gespräche führen, bis wir einen gemeinsamen Weg gefunden haben, den wir auch mittragen können. Dass wir innerhalb der Ampelkoalition angesichts dieser Herausforderungen wie Krieg in Europa, Energiekrise und Inflation auch manchmal heftig über die richtigen Lösungen diskutieren, finde ich in einer Demokratie nicht dramatisch. Ich habe dem Bundeskanzler diesen Brief geschrieben, weil im Kanzleramt alle Fäden zusammenlaufen. Der Kanzler hat seine Sicht der Dinge und wir als Freie Demokraten unsere. Da bin ich mit meinen Parteifreundinnen und -freunden übrigens ganz und gar nicht alleine.

Wer ist noch auf Ihrer Seite?

Viele Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der Grünen und durchaus auch Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion sehen das genauso. Wir müssen bedauerlicherweise den Druck hinter und vor den Kulissen offensichtlich aufrechterhalten, weil einige sozialdemokratische Kollegen – bei allem Respekt – die russische Bedrohung und als Folge daraus die dramatische Lage offensichtlich immer noch nicht ganz verdaut haben.

Wladimir Putin warnt Westen: Haben in der Ukraine noch nicht einmal richtig angefangen

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Westen zeitgleich zum Außenministertreffen der G20 mit Blick auf den Ukraine-Krieg vor einer direkten militärischen Konfrontation gewarnt. "Heute hören wir, dass sie uns auf dem Schlachtfeld schlagen wollen. Was soll man dazu sagen? Sollen sie es nur versuchen", sagte er im Kreml in Moskau bei einem Treffen mit den Chefs der Parlamentsfraktionen. Russland habe in der Ukraine noch nicht einmal richtig angefangen, meinte er.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie die Bundesregierung attackieren. Hat Kanzler Olaf Scholz Sie schon mal zur Seite genommen und mit Ihnen ein "ernstes Wörtchen" geredet?

Ich habe ihm das in dem Brief selbstverständlich angeboten, dass ich jederzeit mit ihm, in welchem Kreis auch immer, darüber diskutieren würde. Wir kommunizieren grundsätzlich respektvoll und höflich miteinander, daher bedauere ich, dass der Eingang des Briefes nicht einmal bestätigt worden ist. Auch wenn ich dem Kanzleramt – mit Verlaub – tierisch auf den Keks gehe, sollte das ein Minimum an Reaktion sein.

Fürchten Sie nicht um Ihre eigene Karriere, wenn Sie als Mitglied der Regierungskoalition die Autorität des Kanzlers öffentlich so infrage stellen?

Es geht hier doch nicht um individuelle Karrierepläne. Es geht um die grundsätzliche Frage, wohin steuert Europa und welche Rolle wird Deutschland in Zukunft darin spielen. Ich weiß viele Menschen hinter mir, die das ganz genauso sehen. Darüber hinaus bin ich auch im Austausch mit den anderen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, die das auch alles ganz und gar nicht lustig finden. Michael Roth und Anton Hofreiter sind prominente Beispiele.

Dass Sie mit Ihrer direkten Art nicht bei allen Kolleginnen und Kollegen gut ankommen, ist aber einkalkuliert, oder?

Wenn man deutliche Worte wählt, dann polarisiert man natürlich. Manche finden das gut, manche vermutlich zum Würgen. Ich habe seit Ende der 1990er politische Mandate inne und habe viel erlebt. Ich möchte vieles nicht sein, vor allem nicht everybody’s darling , denn everybody’s darling ist für gewöhnlich everybody’s Depp. Diese Art der Politik, ausschließlich auf Stimmungen zu reagieren, habe ich übrigens bei Angela Merkel immer als besonders unangenehm gefunden.

Was genau?

Die Bundeskanzlerin hat häufig vor wichtigen Entscheidungen lediglich darauf geschaut, woher der gesellschaftliche Wind weht und ihre Lösungsvorschläge danach ausgerichtet. Ich habe das nie nachvollziehen können. Ich bin der Meinung, dass es in der Politik wichtig ist, einen Standpunkt und ein Ziel vor Augen zu haben. Die demokratische Diskussion über den richtigen Weg, Probleme zu lösen, finde ich spannend. Deswegen nehme ich auch politische Angriffe auf meine Person sportlich, zumal ich durchaus reflektiere, wie andere einen Sachverhalt einschätzen. Was ich an mir vorbeiziehen lasse, sind Unverschämtheiten, und wer mich mit Gewalt bedroht, findet eine Anzeige im Briefkasten.

Sie sind Verteidigungspolitikerin. Haben Sie schon mal selbst eine Waffe abgedrückt?

Bei Informationsveranstaltungen der Bundeswehr. Pistole liegt mir weniger. Mit einem Gewehr kann ich besser umgehen, auch wenn ich noch sehr viel üben müsste. Aber um das auch mal klarzustellen: Ich habe keine Affinität zu Waffen und gehöre nicht zu denjenigen, die auf der Kirmes die Schießbude belagern. Es geht mir um den Kern einer wirkungsvollen Sicherheitspolitik. Eine wehrfähige Bundeswehr, entsprechend moderne Waffen und professionelle Ausbildung und Ausrüstung, das sehe ich im Ganzen als Teil von Prävention. Damit wir und die Generationen, die nach uns kommen, auch in Frieden und Freiheit leben können.

Sind Sie auch schon mal in einem Panzer gefahren?

Häufiger. Ich war vor einigen Wochen gerade am Standort in Regen in Bayern, um mir den Puma 2, den hochmodernen Nachfolger des Schützenpanzers Marder, anzuschauen. Das ist modernste Technik, gepaart mit hoher Geschwindigkeit.

Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses gehört es zu Ihren Aufgaben, die Regierung zu kontrollieren, vor allem das entsprechende Ministerium. Was würden Sie anders als Frau Lambrecht machen, wenn Sie Verteidigungsministerin wären?

Ich arbeite mit Frau Lambrecht vertrauensvoll zusammen und schätze sie auch persönlich sehr. Die oft harte Kritik an ihr halte ich im Detail für gänzlich überzogen. Ich sitze ja nicht am Kabinettstisch, aber wenn Sie mich so fragen, würde ich in dieser dramatischen Situation das, was die Bundeswehr möglicherweise an die Ukraine noch liefern könnte, deutlicher einfordern. Möglicherweise würde ich vom Generalinspekteur (General Eberhard Zorn, Anmerk. d. Red.) erwarten, dass er natürlich als erster Soldat Verantwortung für die Bundeswehr hat, aber dass auch ein Generalinspekteur über den Tellerrand der eigenen Armee hinausschauen sollte. Das ist meine persönliche Meinung. Ich weiß aber, wie hart die Aufgabe der Bundesministerin der Verteidigung ist. Das Ministerium ist ein riesengroßer Apparat und da sitzen auch durchaus Leute, die auf Fehler seitens der Ministerin nur warten.

Warum gehen Sie mit Frau Lambrecht wesentlich unkritischer um als mit dem Kanzler?

Beide Persönlichkeiten haben verschiedene Rollen inne. Die Fäden in dieser Krise laufen letztlich beim Kanzler zusammen. Dort wird grünes Licht gegeben oder die Ampel auf Rot geschaltet. Mir hat die Ministerin einmal gesagt, sie sei sehr loyal dem Kanzler gegenüber. Das ist sie tatsächlich, und das spricht wahrlich nicht gegen sie. Aber etwas mehr eigene Vorschläge, um Antworten auf die Krise zu finden, fände ich wichtig.

Stichwort Loyalität: Es gibt viele Menschen, die Sie als total sympathisch bezeichnen würden, mit der FDP aber gar nichts anfangen können. Wie passt das zusammen?

Das bedaure ich sehr, weil ich seit 32 Jahren überzeugtes FDP-Mitglied bin. So ganz verstehe ich es offen gestanden auch nicht. Vielleicht kann das jemand von außen besser erklären als ich, weil ich mich mit den Freien Demokraten durch und durch identifiziere. Ich habe es in den 32 Jahren, bei allen politischen Erfolgen und Niederlagen, nie bedauert, Mitglied dieser Partei zu sein, und es gibt auch keine andere Partei, die mein Interesse hätte wecken können.

Zur Person: Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Mitglied des FDP-Bundesvorstandes und des Vorstands der FDP-Bundestagsfraktion. Von 2008 bis 2014 war sie 1. Bürgermeisterin von Düsseldorf, 2017 zog sie erstmals in den Bundestag ein. Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses wirbt sie vehement für die Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine und wirft der Bundesregierung von Kanzler Scholz in der Frage Zögerlichkeit vor. Anfang April war sie mit Michael Roth (SPD, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses) und Anton Hofreiter (Grüne, Vorsitzender des Europa-Ausschusses) in die Ukraine gereist, um sich mit Vertretern des ukrainischen Parlaments zu treffen.
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