"Sabotage", "Unverschämtheit", "Tünkram": Der Tag der Vertrauensfrage hat einen Vorgeschmack auf 53 Tage Wahlkampf im neuen Jahr gegeben. Wie heftig wird es, und was bedeutet das für die Zeit danach?
Sie hatten es sich und den Wählerinnen und Wählern eigentlich ganz fest versprochen: Fair und respektvoll solle der Wahlkampf werden, verkündeten die drei aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten
Es sei das Wesen der Demokratie, um die besten Lösungen zu ringen, ohne sich gegenseitig herabzusetzen oder zu verletzen. "Trotz aller nötigen Zuspitzung, trotz allem Ringen um Unterschiede müssen wir ehrlich und fair bleiben", sagte Scholz.
Dieser Schwur hielt nur vier Tage. Die historische Debatte im Bundestag zur Vertrauensfrage des Bundeskanzlers war nicht von Würde, Demut und Respekt geprägt, sondern von Krawall. Der Kanzler richtete die Vertrauensfrage in seiner Rede nicht wie es die Verfassung vorsieht an den Bundestag, sondern an die Wähler. Den FDP-Abgeordneten
"Zum Fremdschämen" – der Sound eines Turbo-Wahlkampfs
Merz nannte das eine "blanke Unverschämtheit" und ging in den Gegenangriff. Scholz' passives Agieren in Brüssel sei "zum Fremdschämen", sagte er. Darauf reagierte der Kanzler wiederum am Abend in einem ZDF-Interview mit einem Satz, der in die Geschichte dieses Wahlkampfs eingehen wird: "Fritze Merz erzählt gern Tünkram."
Seine Übersetzung des plattdeutschen Worts ins Hochdeutsche lieferte Scholz am nächsten Tag bei der Vorstellung des SPD-Wahlprogramms nach: "Das ist einfach, wenn man dumm ...". Scholz machte eine kurze Pause, vollendete den Satz dann so: "Wenn man frei erfundenes Zeug zusammenredet." Auf die Frage, warum er Merz salopp "Fritze" genannt habe, sagte Scholz dann noch. "Das passte zum Tünkram."
CSU-Chef
Steinmeier will beschwichtigen
Damit ist der Ton für die Auseinandersetzung bis zur Wahl am 23. Februar gesetzt. Über die Weihnachtstage gibt es vielleicht noch eine Verschnaufpause. Aber wenn die letzten Silvester-Raketen verglüht sind, beginnen 53 Tage Turbo-Wahlkampf, die angesichts der aufgeheizten Stimmung nach dem Ampel-Crash heftig werden dürften.
Bundespräsident
Winterwahl und Fünfkampf: Was diesmal so besonders ist
Neben der durch den Koalitionsbruch aufgeheizten Ausgangslage und der Zeitknappheit gibt es noch weitere Faktoren, die diesen Wahlkampf besonders machen. Erstmals seit 1987 findet die Bundestagswahl mitten im Winter statt, die Wahlkämpfer müssen sich also auch im eigentlichen Wortsinn warm anziehen.
Und zum ersten Mal gibt es nicht nur zwei oder drei, sondern gleich fünf Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen. Neben Scholz, Merz und
Noch schlechter stehen sie für BSW-Kanzlerkandidatin Sahra Wagenknecht, die nun auch überraschend ihren Hut in den Ring geworfen hat. Ihr Bündnis liegt bei 4 bis 8 Prozent in aktuellen Umfragen. "Die aktuelle Kanzlerkandidaten-Inflation bringt auch das BSW in Zugzwang", sagt aber BSW-Generalsekretär Christian Leye.
Regierungsbildung: Bisher 23 bis 171 Tage
Egal, wie hart der Wahlkampf wird, am Ende müssen sich zwei oder drei Parteien finden, die Deutschland zusammen regieren. Die realistischsten Varianten sind nach den aktuellen Umfragen eine Koalition von Union und SPD oder ein Bündnis zwischen der CDU/CSU und den Grünen. Der Ruf von Dreier-Konstellationen ist nach dem Ampel-Aus und dem Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen 2017 gründlich ruiniert. Und ob die FDP überhaupt wieder in den Bundestag kommt, ist unsicher.
Wie lange es nach der Bundestagswahl dauern wird, bis Deutschland wieder eine funktionierende Regierung hat, mag niemand so richtig abschätzen. Die Erfahrungswerte helfen nur bedingt weiter. Nach den bisher 20 Bundestagswahlen seit 1949 dauerte es zwischen weniger als einem Monat bis zu fast einem halben Jahr bis zur Vereidigung der Regierung.
Am schnellsten ging es 1969 und 1983: In 23 Tagen zimmerte Kanzler Willy Brandt (SPD) die erste sozialliberale Koalition zusammen und länger dauerte es auch nicht, bis CDU-Kanzler Helmut Kohl nach einer vorgezogenen Neuwahl sein schwarz-gelbes Kabinett komplett hatte.
2017 brauchte Angela Merkel (CDU) dagegen 171 Tage, bis sie mit einer schwarz-roten Regierung in ihre vierte und letzte Amtszeit als Kanzlerin starten konnte. Der Grund war das zwischenzeitliche Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition.
Ruhe nach dem Sturm: Ein Jahr ohne Landtagswahlen
Das Gute für die neue Regierung ist: Sie kann ganz in Ruhe unbehelligt von Wahlkampfgetöse aus den Ländern in ihre Amtszeit starten. Eine Woche nach der Bundestagswahl findet am 2. März in Hamburg die letzte geplante Wahl auf Landesebene für mindestens ein Jahr statt. Zu diesem Zeitpunkt werden die Parteien in Berlin noch in den Sondierungsgesprächen stecken. Danach ist – abgesehen von Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September – wahlkampffreie Zeit bis Frühjahr 2026, wenn in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Landtage gewählt werden. (dpa/bearbeitet von fra)
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