Das Kind fährt morgen wieder nach Köln. Zum wievielten Mal? Die Antwort lautet: ständig. So fühlt es sich jedenfalls gerade an.

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Dass die Zimmersuche für Studenten in Berlin schwierig ist, haben wir gewusst. Dass die Suche für Berliner Abiturienten, die anderswo einen Studienplatz ergattert haben, vielleicht noch schlimmer, ergebnisloser, frustrierender sein kann, ist eine Erfahrung, die wir so nicht erwartet hatten.Wir, das ist eine Berliner Familie. Der Sohn ist 18 Jahre alt. Er hat gerade Abitur gemacht. Nun möchte er Biologie studieren. So weit, so übersichtlich.

Am 1. Oktober beginnt das neue Hochschulsemester. Ein Datum, an das die jungen Leute Erwartungen, Hoffnungen, Glücksgefühle und viel Neugier gekoppelt haben. Ist es doch für Tausende Schulabgänger der Ausdruck dafür, dass jetzt ein neues Leben beginnt. Findet ein Ortswechsel statt, ist dieser Auszug der entscheidende Schritt in die Selbstständigkeit.

Wenn es denn genug Untermietzimmer, kleine Wohnungen, WG- oder Wohnheimplätze gäbe. Das ist allerdings nicht im Entferntesten so. Im privaten Fall und ebenso sicherlich gerade jetzt in Tausenden Berliner Haushalten wie im ganzen Bundesgebiet führt das zu Frust, Verzweiflung und der Frage, ob der kostbare Studienplatz, auf den in vielen Fällen mit Ehrgeiz und Fleiß hingearbeitet wurde, überhaupt genutzt und das Studium angetreten werden kann. Ganz ohne Dach über dem Kopf geht es schließlich nicht.

Gerade ist eine Studie zum Thema veröffentlicht worden. Das Moses-Mendelssohn-Institut hat in Kooperation mit der Vermittlungsplattform WG-Gesucht.de ermittelt, was Zimmer in einer Wohngemeinschaft für Studenten derzeit kosten. Im Schnitt sind es 489 Euro im Monat. Aber das ist nur eine Zahl und auch nur der Durchschnitt.

In München, der Spitzenreiter-Stadt, liegt der mittlere Preis für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft bei 790 Euro – das sind 40 Euro mehr als vor dem vergangenen Wintersemester. Dahinter folgen Frankfurt mit 680 Euro (plus 50 Euro), Berlin mit 650 Euro (hier gab es keine Veränderung zum Vorjahr), Hamburg mit 620 Euro (plus 20 Euro). In Köln haben sich die Zimmer um 30 Euro auf 600 Euro monatlich erhöht.

Immer noch eine beliebte Methode bei der Zimmersuche: der Wandzettel
Immer noch eine beliebte Methode bei der Zimmersuche: der Wandzettel © Peter Kneffel/dpa

Das ist eine Menge Geld. Wenn man mehrere Kinder hat, ist so viel von einem durchschnittlichen Angestelltengehalt und auch aus dem üblichen Familienbudget kaum zu bezahlen.

Günstiger sind die kleineren Städte. So kosten die Zimmer etwa in Siegen im Schnitt 330 Euro, in Jena 328, in Wismar 325, in Chemnitz 290. Allerdings sei hier die Datenlage nicht so zuverlässig wie bei den viel größeren Standorten, schreiben die Studienmacher.

Für die Auswertung wurden mehr als 9000 Angebote analysiert, die in den letzten beiden August-Wochen online gestellt wurden. Berücksichtigt wurden Angebote für alle 88 deutschen Hochschulstandorte mit mehr als 5000 Studierenden (ohne Fern- und Verwaltungshochschulen). In die Auswertung genommen wurden ausschließlich Angebote für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft mit insgesamt zwei oder drei Bewohnern. Neugründungen wurden nicht berücksichtigt.

Aber auch das ist nur ein dürres Zahlenwerk – grobe Theorie. Und es spiegelt auch nur, wie überhitzt der Markt ist. Wer wissen will, wie sich die Realität anfühlt, muss selber suchen.

Wir, der Sohn der Autorin und seine Familie, suchen jetzt seit etwa vier Wochen quasi rund um die Uhr. Wir haben Freunde und Bekannte eingeschaltet. Jeder, der jemanden kennt, der jemanden kennt in Köln, muss helfen. Denn gerade jetzt suchen alle neuen Studenten gleichzeitig eine Bleibe.

Das liegt am System. Zwischen Anmeldung auf der zentralen Vergabeplattform für Studienplätze Ende Juni und der Zusage für den Studienplatz Ende Juli konnte man nichts tun. Wir wussten ja nicht, wo es hingehen würde. Geahnt haben wir natürlich, dass es schwierig werden könnte. Der Sohn hat sich also gleich in mehreren Städten für Wohnheimplätze beworben. Das hat nun den kuriosen Umstand zur Folge, dass er Zusagen für Wohnheimplätze in Städten bekommt, in denen er nicht studiert.

Ansonsten bewirbt er sich auf WG-Gesucht.de und anderen Plattformen, besichtigt Wohnungen und Zimmer und lernt, echte Angebote von falschen zu unterscheiden. Flugbegleiterin mit dauerhaftem Wohnsitz in Spanien bietet tolle Zweizimmerwohnung im schönsten Viertel am Rhein für 490 Euro – das klingt ja schon eigenartig. Aber es gibt wunderschöne Fotos, und der Mietvertrag wäre unbefristet. Eine kurze Inaugenscheinnahme per Google Maps lässt dann aber die Zweifel wachsen. An der Wohnungsadresse befindet sich eine Gaststätte für Touristen. Wenn dann aber Vertragsabschluss und Kautionszahlung noch vor dem Besichtigungstermin über eine dubiose Finanztransferplattform abgewickelt werden sollen, lässt man besser die Finger davon.

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Wir haben Zusagen für Wohnungen und Zimmer bekommen, die dann doch an jemand anderen gingen und natürlich jede Menge Absagen. Mit jeder stieg die Verzweiflung. "Ich habe überhaupt keine Lust mehr auf mein Studium", sagt der Sohn. "Das wird schon", antwortet die Löwenmutter, "komm, wir fahren zusammen zum nächsten Termin. Wir nehmen Gehaltsabrechnungen, Bürgschaftserklärung, Schufa-Auskunft mit und machen einen guten Eindruck." Sein Lächeln könnte man als mitleidig deuten. Mama hat keine Ahnung, wie sich das anfühlt.

In Berlin geht es auswärtigen Erstsemestern nicht besser. Das Studierendenwerk betreibt 9200 Wohnheimplätze. Aktuell befinden sich 4200 Studierende auf einer Warteliste. Es gibt zwar kontinuierlich Ein- und Auszüge. Rund 3700 Neuverträge werden pro Jahr abgeschlossen. Aber das reicht lange nicht. "Wo Studierende unterkommen, die weder bei uns einen Platz finden noch auf dem freien Markt eine Wohnung erhalten, dazu liegen mir keine Daten vor", teilt eine Sprecherin des Werks auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Es gibt weder einen Kriterienkatalog, nach dem Erstsemester aus anderen Städten bevorzugt würden, noch eine Art Auffangcamp für junge Leute mit Studienplatz, aber ohne Dach über dem Kopf. Die Hochschulen entziehen sich der Verantwortung, die Politik auch.

In Köln gibt es immerhin ein Notlager. Unser Sohn hat sich dort jetzt angemeldet: 30 Plätze, Matten auf dem Boden, Duschen in der Sporthochschule. Immerhin, vier Wochen sind gesichert. Wir hatten schon ernsthaft überlegt, einfach eine Wohnung zu kaufen. So weit sind wir jetzt.  © Berliner Zeitung

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