Ungewöhnliches Autohaus: Stefan Göbel ist im Familienbetrieb groß geworden. Mittlerweile betreibt seine Autohaus-Gruppe zehn Standorte, darunter einen ganz besonderen.

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Freitagvormittag, Darmstädter Landstraße: Stefan Göbel sitzt an einem Hochtisch, vor ihm eine Tasse Kaffee, daneben steht ein rotes Auto der Marke Mitsubishi – eines der Fahrzeuge, die potentielle Kunden hier bei einer Tasse Kaffee der Marke Gorilla entdecken können. Doch nicht alle tun das.

Ein Mann mit Umhängetasche betritt den Raum, bestellt einen Kaffee und geht wieder. Für Göbel ist das Alltag. "Die Leute holen sich schnell einen Kaffee und verschwinden wieder", erzählt er. Dabei hat das Autohaus mehr zu bieten: In entspannter Atmosphäre können Kunden nicht nur Heißgetränke genießen, sondern sich auch Fahrzeuge anschauen – wenn sie es denn wollen.

Dieser Standort der Heinrich-Göbel-Autohausgruppe ist anders. Die meisten ihrer neun weiteren Filialen sind klassische Autohäuser. Doch hier verbindet Göbel Tradition und Innovation. "Früher war das hier mal Porsche", erzählt der Kfz-Mechanikermeister und erinnert sich an Kindheitstage, als er mit seinem Vater hier vorbeifuhr, als sie Ersatzteile holten.

Eines der bekanntesten Autohäuser in und um Frankfurt

Heute nutzt er genau das Gebäude, das für ihn so viele Kindheitserinnerungen birgt. Denn 2013 wagte Göbel an diesem Ort ein Experiment: Gemeinsam mit seinem Freund Andreas Hühsam, einem der Köpfe hinter der Marke Gorilla-Kaffee, machte er Autos und Kaffee zum gemeinsamen Erlebnis. Mitsubishi war die einzige Marke, die sich auf dieses Konzept einließ – ein gewagter Schritt. Schließlich ist die Erfolgsgeschichte seiner zehn Standorte umfassenden Mehrmarken-Autohausgruppe doch schon lange sehr eng mit Mercedes verknüpft.

In diesem Jahr hat Göbel viele Gelegenheiten, auf die bewegte Geschichte des Autohauses zu blicken, schließlich jährt sich die Gründung des Betriebs zum hundertsten Mal.

1924 startete Heinrich Göbel in Neu-Isenburg als Motorradhändler, heute ist der Betrieb eines der bekanntesten Autohäuser in und um Frankfurt. In all den Jahren, weiß Stefan Göbel, Enkel des Gründers Heinrich, hat sich das Leben und Arbeiten in dem Unternehmen geändert. Viele Jahre fuhr das Haus eine Strategie, die sich allein auf Mercedes fokussierte.

Heutige Größe des Unternehmens nicht von Anfang an geplant

Doch diese Zeiten sind vorbei. "Man muss das Grundrauschen erhöhen", sagt Göbel und meint damit die Vielfalt, die nötig ist, um den Herstelleranforderungen zu entsprechen. Heute reparieren und verkaufen Göbels Mitarbeiter Fahrzeuge von Mercedes, Mitsubishi, Smart, Ford und anderen Marken.

Selbst Halter von Nutzfahrzeugen würden von seinen Mitarbeitern nicht weggeschickt. Diese Strategie hat ihm zufolge unter anderem den Vorteil, dass man Schwankungen in der Beliebtheit einzelner Anbieter besser ausgleichen könne.

"Früher hat es in jeder 20.000-Einwohner-Stadt ein Autohaus einer Marke gegeben", sagt Göbel, heute habe sich diese Spezialisierung aufgeweicht, seien die meisten Betriebe für mehrere Hersteller unterwegs. Seine etwa 300 Mitarbeiter arbeiten an zehn Standorten, wo sie jährlich 1000 Fahrzeuge verkaufen und über 100.000 Stunden in den Werkstätten leisten.

Die heutige Größe des Unternehmens war nicht von Anfang an geplant. Als Stefan Göbel 1991 mit nur 22 Jahren die Geschäftsführung übernahm, stand er vor einer gewaltigen Aufgabe. Sein Vater Heinz war überraschend im Alter von nur 55 Jahren verstorben, und Göbel musste das Autohaus, das damals aus zwei Standorten in Neu-Isenburg und Langen bestand, weiterführen. "Ich wollte eigentlich noch studieren", erzählt er. Aber einen Monat vor Studienbeginn musste er mit dem Tod des Vaters ins kalte Wasser springen.

"Für mich zählt das Soziale mehr als der Umsatz"

Die Belegschaft, die zuvor mit seinem Vater zusammengearbeitet hatte, war deutlich älter als Göbel. "Ich musste Leuten, die zehn Jahre älter waren, sagen, wo es langgeht", erinnert er sich. 2008 übernahm er die GmbH offiziell von seiner Mutter, mit seiner Frau Stefanie, die ihn in der Geschäftsführung unterstützt, baute er das Unternehmen kontinuierlich aus.

Das sei häufig mit Schmerzen und Erkenntnissen verbunden gewesen, die er gern noch von seinem Vater oder im Studium gelernt hätte, sogar einen eventuell daraus entstehenden Generationenkonflikt hätte er als Bereicherung empfunden, sagt er.

Trotzdem hat Göbel das Haus weiterentwickelt, heute erzielt das Unternehmen einen Umsatz von rund 50 Millionen Euro im Jahr. Man habe nur wachsen können, weil man stets gute Mitarbeiter gehabt habe, beeilt sich Göbel zu sagen. "Für mich zählt das Soziale mehr als der Umsatz."

Trotz der Erfolge bleibt Göbel geerdet. Sein Ziel ist es, das Unternehmen so aufzustellen, dass es auch ohne ihn funktionieren kann. Seine Kinder Gina und Patrick sollen die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, ob sie das Familienunternehmen eines Tages übernehmen möchten. "Wir setzen jetzt nach und nach Geschäftsführer ein, damit die beiden in Ruhe überlegen können, was sie tun wollen", sagt er.

Standort ein Symbol für Tradition, die sich verändert

Gleichzeitig will Göbel sicherstellen, dass die "hundertjährigen Strukturen", wie er sie nennt, modernisiert werden. Mit einem Mix aus klassischen Dienstleistungen, innovativen Angeboten wie der Kaffeehausidee und einer breiten Markenvielfalt möchte er den Autohandel zukunftsfähig machen.

Während Göbel diese Gedanken teilt, betritt abermals eine Kundin das Café im Autohaus an der Darmstädter Landstraße. Sie bestellt ein Kilo Gorilla-Kaffee, zahlt und geht sofort wieder. Auch sie wird heute kein Auto näher betrachten, geschweige denn eines kaufen. Doch das stört Göbel nicht. Das Konzept, bei dem Kaffee und Autos zusammenfinden, ist für ihn längst ein Erfolg, für ihn ist der Standort ein Symbol für Tradition, die sich verändert, und für Innovation, die sich mit Geschichte verbindet.

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Die altgedienten Konzepte bedürften nun mal gelegentlich einer Auffrischung, sagt Stefan Göbel. Dass der Ansatz mit Kaffee, Snacks und Kuchen auch in seinem eigenen Fall funktioniert, muss dann auch der Chef zugeben. "Ich bin fast jeden Mittag hier."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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