Neue Rektorin: Sie hat schon immer Kuratieren, Forschen und Lehren verbunden, und Hochschulmanagement kann sie auch: Barbara Clausen kommt aus Montreal nach Frankfurt und will der Städelschule Raum und Zeit verschaffen.

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Die Tugenden der Städelschule sind Barbara Clausen nicht unbekannt gewesen, als sie am 1. Oktober ihr Amt als Rektorin angetreten hat. Schließlich ist sie im Frühjahr 2023 Chillida-Gastprofessorin am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt gewesen. Und die Städelschule, "top of the tops", wie sie sagt, kennt sie seit Jahrzehnten. Aber nun ist sie voll und ganz eingetaucht. Sie weiß die Dienstage zu schätzen, wenn nach den Gastvorträgen an der Städelschule alle gemeinsam das in der Filmküche der Schule zubereitete Essen teilen und Zeit haben, für Gespräche, für den Austausch.

Gerade in dieser Zeit, die zur Blasenbildung und zu extremen Tendenzen neigt, ist er für Clausen essenziell. Den Dialog aufrechtzuerhalten, selbst angesichts extrem auseinanderliegender Meinungen, sieht sie im Grunde als einzigen Weg, Demokratie zu schützen und zu erhalten. Das gilt im Großen. Aber auch im überschaubareren Terrain der Kunsthochschule.

Die Warmherzigkeit, mit der die 1970 in Salzburg geborene und in Wien aufgewachsene Clausen an der Städelschule und in Frankfurt aufgenommen worden sei, hat sie sichtlich beeindruckt. Dass wiederum sie gut vernetzt ist, wurde schon anlässlich ihrer ersten öffentlichen Auftritte deutlich. Viel Kunst, viel Dialog, eine ideale Lage im Herzen Europas, mit einer der wichtigsten Hochschulen – es sei ein bisschen "honeymoon", was sie empfinde, sagt Clausen lachend über ihre erste Frankfurter Zeit.

Mit Spürsinn für Trends

Seit 2010 gibt es den gemeinsam von Goethe-Universität und Städelschule getragenen Masterstudiengang "Curatorial Studies". Diese Kooperation dichter zu verweben und Synergien zwischen den 120 jungen Künstlerinnen und Künstlern und den Kurationsstudierenden zu ermöglichen ist eines ihrer Ziele für die Städelschule.

Schließlich ist Clausen selbst international als Kuratorin tätig und will Kuratieren weiter lehren, ein Fach, das neben ihr an der Städelschule auch ihr Vor-Vorgänger im Rektorat, Philippe Pirotte, vertritt. Auch Clausens Vorgängerin, Yasmil Raymond, die ihr Amt vorzeitig niedergelegt hat, ist Kuratorin.

Dass das Berufsbild der Kuratoren sich in Richtung einer Begleitung von Künstlern entwickelt, was einen sensiblen Umgang erfordere, ohne dass man sich selbst auflöse, sieht sie als eine Tendenz. Und den Spürsinn für Trends, den vor allem die Studenten hätten, beansprucht sie auch für sich. Ohne weiter jede Nacht unterwegs zu sein, wie sie es früher tat, als sie in Clubs Projektionen und Musikprogramme gestaltet hat, ist sie dicht am Heute – und am Morgen. "Ich bin Kuratorin, mein Medium ist die Zeit", erklärt sie.

"Dass man der Kunst ihren eigenen Raum und Zeit gibt" – aber sich eben diese Zeit auch nimmt, ist ein wesentlicher Grundsatz, den sie früh in ihrer Karriere verinnerlicht hat und nun an der Städelschule anwenden möchte. Zeit und Ruhe sind Begriffe, die Clausen, die schnell und lebhaft spricht und ihre Sätze mit ausdrucksstarken Gesten unterstreicht, oft verwendet. Ganz in Ruhe Dinge zu überlegen und zu entwickeln, das bedeute auch, dem Spontanen eine Bühne zu bieten. "Man kann nur improvisieren, wenn man das Stück gut kennt."

"Ich habe immer gute Gelegenheiten gehabt"

Da ist es wieder, das Theater, mit dem ihr Weg einst begonnen hat. Es hätte wohl wenig gefehlt, sie wäre an einer Bühne gelandet. "Als Künstlerin habe ich mich nicht gesehen", sagt sie – aber als Teenager ist sie unentwegt ins Burgtheater gegangen, "das hat mir alles bedeutet".

Bühnenbild, das wäre vielleicht etwas für sie gewesen, hätte die Aussicht auf eine Lehre und ein anschließendes Studium nicht eine so lange Zeitspanne bedeutet. So kam sie zur Kunstwissenschaft und hat früh, womöglich dank der Prägung in der darstellenden Kunst, einen Schwerpunkt auf Performance und performative Kunstpraktiken gesetzt.

Ihre Dissertation hat sie parallel zu und nach zahlreichen beruflichen Stationen beendet, die sie früh nach New York geführt haben, wo sie als Assistentin von Lynne Cook an der DIA Art Foundation geprägt worden ist. Im Jahr 2000 wechselte sie an das Ausstellungszentrum De Appel in Amsterdam und konnte 2002 an der Documenta 11 unter der Leitung Onkwui Enwezors arbeiten – auch das eine prägende Erfahrung.

Clausen ist sich der Schwierigkeiten bewusst, die Frauen auf ihrem Karriereweg begegnen. Weshalb sie das Wort "Glück" nicht verwenden will. "Ich habe immer gute Gelegenheiten gehabt", sagt sie lieber. Und die haben sich auch ergeben, weil ihr neben der fachlichen Leistung die Kommunikation, die Beziehungen mit Menschen enorm wichtig seien.

Die Nähe ist ihr wichtig

Die Verbindung von Kuration, Forschung und Lehre hat sie für sich früh gefunden, bei Daniela Hammer-Tugendhat in Wien wurde sie 2010 promoviert, mit einer Arbeit über die fotografische Repräsentation von Performancekunst vor allem der Siebzigerjahre. Darin und später auch kuratorisch hat sie sich mit dem Werk von Babette Mangolte auseinandergesetzt.

Schon ein Jahr später, 2011, wurde sie im kanadischen Montreal an der Université du Québec Professorin für zeitgenössische Kunst und Performance am Institut für Kunstgeschichte, hat Erfahrung in der Lehre sowohl für Künstler als auch Kunstwissenschaftler. Bis zu ihrem Wechsel ist sie in Montreal Vizedekanin für Forschung und Entwicklung gewesen.

Erfahrungen in Hochschulmanagement zu haben sei nützlich, sagt sie – schließlich weiß sie, dass enorme Herausforderungen vor der Städelschule liegen. Die finanzielle Ausstattung zählt dazu, der Hochschulpakt, auch Vorhaben wie das DFG-Forschungsprojekt, mit dem das Archiv der Städelschule derzeit erforscht wird, nennt sie. Und auch die Meinungsverschiedenheiten, die es immer wieder gibt an der Kunsthochschule. "Wer mitdiskutiert, kann auch mitbestimmen. Damit gebe ich aber nicht meine Verantwortung als Rektorin ab", stellt sie klar.

Dank ihrer Erfahrungen an vielen verschiedenen Häusern und Hochschulen sieht sie ihre jetzige Aufgabe als enorm spannend an. Umgezogen ist sie allein, die Tochter beendet die Schule, ihr Mann kommt im Lauf des Jahres nach Europa. Eine Wohnung hat Clausen dicht am Schulgebäude in der Dantestraße gefunden, arbeiten wird sie sowohl dort als auch im Schulstandort Daimlerstraße im Industriegebiet des Frankfurter Ostends. Die Nähe ist ihr wichtig.

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Und entgegen anderslautender Kritik, die immer wieder einmal laut geworden ist, sieht sie die auch in der Professorenschaft. Die Zuwendung zur Städelschule sei "unglaublich", die Präsenz sei physisch sehr stark und die Nähe dank digitaler Medien auch dann eng, wenn die Professoren nicht hier lebten. Was sie besonders beeindruckt hat? "Die Liebe der Leute zu dieser Schule. Wenn man das hat, kann man alles machen."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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