Wolf Biermann: Wolf Biermann erinnert an seinen Freund Arno Lustiger, den bedeutenden Chronisten des jüdischen Widerstands – mit Gedichten, Liedern und Geschichten.

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Am Schluss des Programms steht das Lied "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu". Wolf Biermann hat es Arno Lustiger gewidmet, doch es handelt von ihm selbst. Biermann erzählt darin von seiner Geburt, wie er durch das Blut ins Licht schwamm, von seinem Weg aus Hamburg in die DDR, wo die "roten Götter" auch nur "Menschen Schweine Hunde" waren, und wieder zurück in den Westen. Er singt davon, dass er immer "halb Judenbalg und halb ein Goi" geblieben ist, singt vom kommenden Tod.

Warum, will der Schweizer Journalist Yves Kugelmann von dem Dichter und Liedermacher wissen, warum hat er ausgerechnet dieses Lied seinem Freund Lustiger gewidmet? "Das ist einfach", antwortet Biermann. "Weil ich ihm zeigen wollte, dass ich ihn liebe und verehre, weil ich mich bei ihm beliebt machen wollte." Im Grunde sei es wie bei einem Kind. Einem Kind schenkt man Schokolade, damit es einen mag. Dem erwachsenen Freund Lustiger hat Biermann "ein paar Verse" geschenkt.

"Sing mit Schmerz und Zorn"

2012 ist Arno Lustiger, der nach dem Holocaust, nach der Zeit in Auschwitz, in Buchenwald und den Todesmärschen in Frankfurt gestrandet war, der im Lager für Displaced Persons im Stadtteil Zeilsheim gelebt und den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in der Stadt unterstützt hatte, gestorben. In diesem Jahr wäre Lustiger 100 Jahre alt geworden. Mit einer Mischung aus Lesung und Konzert erinnern Biermann und Kugelmann am Donnerstagabend in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst an ihn.

Das Jüdische Museum hat den Abend unter dem Motto "Sing mit Schmerz und Zorn" organisiert, aus Anlass des Jubiläums hat es außerdem eine Onlineausstellung bei Google Arts & Culture über den Historiker eingerichtet. Lustigers großes Verdienst war es, den jüdischen Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus zu erforschen. Biermann sagt es so: "Arno wollte beweisen, dass die Juden sich nicht alle haben abschlachten lassen wie die Kälber."

Ein Widerstandskämpfer war auch Biermanns Vater, Arbeiter auf einer Hamburger Werft, Jude und Kommunist. Er verteilte die illegale kommunistische "Hamburger Volkszeitung", sammelte heimlich Informationen über Waffenlieferungen an die Franco-Truppen in Spanien und gab sie weiter an die republikanischen Kämpfer. Ein Gestapo-Spitzel deckte die Spionage auf, Dagobert Biermann wurde nach Auschwitz deportiert und getötet. "Mein Vater hatte das Privileg, von den Nazis ermordet zu werden und nicht von seinen Genossen in Moskau", kommentiert es sein Sohn.

Erinnerung an den Widerstand

Als Biermann und Lustiger sich 1988 kennenlernten, anlässlich einer Lesung in einer Buchhandlung in Hamburg, wurden sie schnell Freunde. "Wie in einer Liebesbeziehung, nur ohne Sex", beschreibt der Liedermacher ihr Verhältnis. Lebendig erzählt er aus Lustigers Leben, von den Zusammentreffen der beiden, von den jiddischen Gedichten von Jizchak Katzenelson, die der Freund ihm nahebrachte und die der Liedermacher ins Deutsche übersetzte – "zwei Jahre meines Lebens hat mich das gekostet".

Interessieren Sie die Artikel der F.A.Z.?
Uneingeschränkter Zugriff auf diesen und alle weiteren zahlungspflichtigen F+ Inhalte auf FAZ.NET. Jetzt Abo abschließen.

Biermann reißt die Faust in die Luft, er geht vor an den Rand der Bühne, schaut die Menschen im Saal direkt an. Und er spielt Gitarre. Singt die Lieder, die ihn mit seinem Freund Lustiger bis heute verbinden. "Sol sajn", ein jiddisches Gewerkschaftslied von Yosef Papiernikov, und seine eigene, "sehr freie" Übersetzung dieses Stücks, der er den Titel "Mag sein, dass ich irre" gab. Oder "Klein-Abraham, der schnellste krumme Finger": ein Song über einen Schurken, der eigentlich ein guter Kerl war. Dieses Stück, erzählt Biermann, war das Lieblingslied von Arno Lustiger.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.