Uraufführung von "Leaks": Auf das Stück "NSU 2.0" folgt "Leaks": Theaterregisseur Nuran David Calis geht im Frankfurter Schauspiel mit einer Clownssatire den Ursachen für rechte Attentate nach. Doch das Format ist zu klein für die großen Fragen.

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Soll man über Nazis lachen? Manche laden regelrecht dazu ein: Reichsbürger im Landhausstil, die wirre Theorien von sich geben, oder Verfasser von Tiktok-Thesen, wie der deutsche Mann zu sein habe. Aber Hanswurste soll man nicht unterschätzen. Charlie Chaplin hat es genial geschafft, seine Kritik an der nationalsozialistischen und jeder faschistoiden Ideologie in Komik und in einen Appell an Menschlichkeit und Demokratie zu verwandeln, als er "Der große Diktator" schuf.

Leider reicht "Leaks" trotz vieler wortreicher Appelle an so ein Vorbild nicht heran. Nuran David Calis hat am Schauspiel Frankfurt schon mit "NSU 2.0" ein aufarbeitendes Theaterstück zu rechter Gewalt in Deutschland und das von ihm attestierte mangelnde Verständnis für die Versäumnisse der Polizei und die Netzwerke hinter den Einzeltätern uraufgeführt. Jetzt ist in den Kammerspielen gewissermaßen der zweite Teil zu sehen.

Ein "Satyrspiel" nennt Calis seine als Fernsehshow verbrämte Revue mit Gesang, angelehnt an die Antike: Auf die Tragödien folgt zur Entlastung das dionysisch-komische Satyrspiel. Entlastend allerdings ist keineswegs gemeint, was da in Spielszenen, Videointerviews mit Fachleuten und Filmclips gezeigt wird.

Verfassungsschutz und BND statt Mölln und Hanau

Die vier Clowns Katharina Linder, Viktoria Miknevich, Christoph Bornmüller und Wolfgang Vogler, eine Mischung aus der Filmfigur Joker und historischem Ensemblekabarett mit beachtlichem Tanz- und Entertainment-Talent, legen es bunt kostümiert darauf an, das Lachen im Halse stecken bleiben zu lassen – nur wozu?

In "Leaks. Von Mölln bis Hanau" wird weder etwas geleakt, was nicht schon bekannt wäre, noch konzentriert sich der Abend auf Mölln, den Brandanschlag vom 23. November 1992, verübt von zwei Rechtsextremisten, und das Attentat von Hanau vom 19. Februar 2020. Wieder fragt Calis vehement, ob man wirklich von "Einzeltätern" reden könne und wo die Verbindungen der Ideologien und Personen liegen.

Auf der Suche nach dem Netzwerk ist er da fündig geworden, wo unter anderem auch die ARD-Fernsehserie "Bonn" 2023 auf Historiker-Recherchen jüngeren Datums zurückgegriffen hat: die Anfangsjahre des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes, in denen braune Täter und Schreibtischtäter wieder in hohe Ämter gekommen waren, um ein antikommunistisches Bollwerk zu errichten.

Von Kubricks "Dr. Seltsam" zum Pädagogentheater

Am Ende stehen der hessische NSU-Untersuchungsausschuss und die Rolle des damaligen Innenministers und späteren Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). Das Clowneske schlägt sich bei ihm wie anderen Politikern der jüngsten Geschichte in Fotos nieder, die sie lachend zeigen, oder gleich mit roter Clownsnase verbrämt.

Denn Clowns, sagt das, sind sie alle und die Oberclowns ebenjene vier aus der Zeit gefallenen, die für die Nachrichtendienste als Staat im Staat stehen, eine Horde Wichtigtuer, die fast 80 Jahre lang die Bevölkerung in ihrem antikommunistischen und stramm rechten Sinne indoktrinieren und denen in der jüngeren Vergangenheit, zauberlehrlingsgleich, die Kontrolle über hasserfüllte Täter entglitten ist. Die dozierenden Clowns haben ein paar gute Pointen, und einiges erinnert an Stanley Kubrick, auch jene rechte Hand, die reflexhaft zum Hitlergruß hochschnellt und mühsam heruntergedrückt wird, wie in "Dr. Seltsam".

Die Form der Satireshow aber ist zu klein für die großen Fragen, die immer noch der Aufarbeitung und der Reformen harren. Der Punkt, an dem die lustig gemeinten Glotzaugen und die Imitationen nicht mehr reichen, um ein produktives Befremden auszulösen, ist arg schnell erreicht. Die Fragen, die gestellt werden, erinnern, je länger der eindreiviertel Stunden lange Abend vorangeschritten ist, immer mehr an schlechtes Pädagogentheater.

Die Talsohle scheint erreicht, als die vier, stets zwischen den Geheimdienstclowns und theatralem Ich switchend, einander Fragen stellen wie "Wann habe ich mal mit einem Türken, einem Syrer oder einem Afghanen gesprochen?".

Ein Appell an den Widerspruch des Publikums

Am Ende scheint dem Team die Erkenntnis gekommen zu sein, dass die Fake-Fernsehshow nicht einfach aufhören kann mit dem Postulat, den Verfassungsschutz aufzulösen für etwas Neues. Das wäre eine Geste gewesen, nach all diesen Wortkaskaden.

Aber es fehlte das Warum. Und so folgt, wie angeklebt, das von Schuld und Zweifel orchestrierte Bekenntnis, das defätistisch klingt: Womöglich, sagen die vier Clowns, könne man gegen diese destruktiven Rechten gar nichts mehr machen. Also gelte es wohl, an der Freiheit und der Aufklärung bis zur Selbstaufopferung festzuhalten?

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Ein einziger Appell an den produktiven Widerspruch des Publikums. Wäre diese Aufopferungsfloskel nicht so pathetisch und banal, dass man fast lachen müsste – nähme man die Sache nicht ernst.

Leaks, Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele, nächste Vorstellungen am 18. und 30. Dezember.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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