Waldorfschule in Frankfurt: Weil er 2010 eine Sechzehnjährige vergewaltigt hatte, wurde ein ehemaliger Pfarrer nun vom Landgericht Frankfurt verurteilt. Neben einer Freiheitsstrafe verhängte das Gericht auch eine hohe Geldstrafe.
Ein Satz der Vorsitzenden Richterin während der Urteilsverkündung zeigt, welche Folgen die Tat hat: "Man weiß gar nicht, ob die Geschädigte jemals damit abschließen kann." 14 Jahre ist es nun her, dass der damalige Religionslehrer ein Mädchen nach dem Unterricht im Klassenraum der Frankfurter Waldorfschule vergewaltigte. Bereits im Jahr davor kam es zu einem sexuellen Übergriff, bei dem er ihre Hand mit Gewalt an seinen Penis legte.
Auch wenn es sieben Jahre dauerte, bis sie jemandem davon erzählte, merkten Freunde und Familienangehörige danach eine Wesensänderung, die sie auch in dem Prozess gegen den Mann am Landgericht Frankfurt schilderten. Die heute Neunundzwanzigjährige habe sich immer mehr zurückgezogen, eine Essstörung entwickelt und statt des angestrebten Jurastudiums die Schule frühzeitig verlassen und eine Ausbildung gemacht. Noch heute ist sie in therapeutischer Behandlung.
Lange Zeit schwieg die Frau, bis sie sich 2017 ihrem Lebensgefährten anvertraute. Drei Jahre danach stellte sie Strafanzeige gegen ihren Vergewaltiger, einen ehemaligen Pfarrer einer freikirchlichen Gemeinde. Doch bis zur Urteilsverkündung dauerte es vier Jahre: Der erste Prozess, der im Juni 2023 begann, musste ausgesetzt werden. Bis zum abermaligen Beginn im Oktober dieses Jahres hieß es immer wieder, der Angeklagte sei nicht verhandlungsfähig.
Angeklagter gibt Amnesie vor
Auch am ersten Verhandlungstag dieses Prozesses ging es ganz zu Beginn bereits um die Frage, ob der Mandant sich dem Verfahren aussetzen muss. Auf die Fragen der Vorsitzenden Richterin nach seinem Namen, Alter und Wohnort antwortete er immer wieder nur: "Weiß ich nicht."
Ein eigens vom Gericht beauftragter Sachverständiger kam jedoch zu dem Ergebnis, der 65 Jahre alte Angeklagte ist "prinzipiell verhandlungsfähig". Der Mann leide zwar an mehreren Vorerkrankungen, doch eine Amnesie lasse sich nicht erklären, sagte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie noch vor der Anklageverlesung. Doch bis zuletzt versuchte die Verteidigung eine Aussetzung des Verfahrens zu erzielen, weil ihr Mandant nicht verhandlungsfähig sei.
Für die Kammer, das sagt die Vorsitzende am Mittwoch deutlich, steht die Verhandlungsfähigkeit des Mannes fest. Die Kammer habe auch nicht wie von der Verteidigung behauptet das Gefühl, dass sich sein Zustand im Laufe des Prozesses verschlechtert habe.
Am Ende dieses sich seit Jahren ziehenden Verfahrens entscheidet das Gericht: Der Mann hat sich der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, schuldig gemacht. Vier Jahre und zwei Monate soll der Mann dafür nun in Haft. Außerdem soll er 30.000 Euro Schmerzensgeld an die Frau zahlen.
Die Kammer stützt ihre Überzeugung größtenteils auf die Aussage des Opfers, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit und des Angeklagten stattfand. Die Frau sei "überaus glaubwürdig" gewesen und habe die Geschehnisse ohne Belastungseifer geschildert, sagte die Vorsitzende bei der Urteilsverkündung.
Nach der Urteilsverkündung sagte die Opfer-Anwältin, die die Frau vor Gericht vertrat, für ihre Mandantin sei es sicherlich eine Erleichterung, dass dieser Prozess nun zu Ende sei. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Verteidigung und Staatsanwaltschaft wollten an diesem Tag noch keine Angaben dazu machen, ob sie Revision einlegen werden. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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