Wegen Geschäftsentwicklung: Die Schweizer Mutter zieht bei ihrer verlustreichen Tochter die Reißleine und will sich von mehr als 30 Filialen trennen. Auch der Enkel des Gründers verlässt das Unternehmen.
Die Schweizer Regionalgenossenschaft Migros Zürich hat für ihre deutsche Handelstochter Tegut mit Sitz im osthessischen Fulda umfassende Sanierungsmaßnahmen beschlossen. Wie die eigenständige Gesellschaft des Migros-Konzerns am Donnerstag mitteilte, sollen 120 Vollzeitstellen "in den zentralen Diensten" abgebaut werden, für jede zehnte Tegut-Filiale werde ein neuer Betreiber gesucht. Wie Migros weiter mitteilte, verlässt der bisherige Geschäftsführer Thomas Gutberlet, Enkel des Firmengründers Theo Gutberlet, auf den auch der Firmenname zurückgeht, das Unternehmen. Tegut verkauft konventionell und ökologisch hergestellte Lebensmittel in 350 Filialen, vor allem in Hessen, aber auch in Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg.
Thomas Gutberlet steht seit 2009 als Geschäftsführer an der Spitze von Tegut. Allerdings waren ihm bereits im Frühjahr vier Geschäftsführer an die Seite gestellt worden. Gutberlet habe sich entschieden, das Unternehmen sofort zu verlassen, teilte die Muttergesellschaft mit. Anstelle von Thomas Gutberlet werden künftig Sven Kispalko, Karl-Christian Bay und Robert Schweininger die Geschäfte leiten.
Hintergrund der geplanten Restrukturierung bei Tegut ist laut Migros die "unzureichende Ergebnisentwicklung". Dem Unternehmen sei in den vergangenen Jahren nicht gelungen, das vorhandene Marktpotential abzuschöpfen. "Das Unternehmen weist eine unzureichende Umsatz- und Profitabilitätsentwicklung aus", schreibt die Muttergesellschaft.Die Nachricht dürfte in der Branche niemanden überraschen. Seitdem bekannt ist, dass der erfolgsverwöhnte Migros-Konzern, der in erster Linie Lebensmittel verkauft, aber auch Industrie- Handels-, Reise- und Logistikunternehmen in seinen Reihen hat, selbst Schwierigkeiten hat und alle Verlustbringer auf den Prüfstand stellt, steht auch die deutsche Tochter Tegut unter Beobachtung. Die Zürcher Migros-Genossenschaft hatte Tegut 2012 übernommen. Das Fuldaer Handelsunternehmen hatte sich damals mit der Übernahme von Tengelmann-Märkten verspekuliert.
50 Millionen Euro Verlust
Viel Freude hatten die Schweizer mit ihrem Ausflug auf den deutschen Lebensmittelmarkt, der aufgrund der geballten Marktmacht von Lidl, Aldi, Edeka und Rewe als besonders herausfordernd gilt, aber bislang nicht. Der Versuch, Tegut als hochwertigere und nachhaltigere Alternative zu präsentieren, hatte keinen durchschlagenden Erfolg.Ein Blick in die Bilanzen des Unternehmens zeigt, dass die Handelskette zwischen 2013 und 2022 nur vier Mal ein positives Ergebnis nach Steuern verbuchte, dabei fiel das Plus nur zwei Mal deutlich aus, nämlich in den Corona-Jahren 2020 und 2021. Insgesamt hat Tegut innerhalb von zehn Jahren rund 50 Millionen Euro Verlust angehäuft, im Jahr 2022 betrug das Minus knapp 16 Millionen Euro bei einem Umsatz von 1,25 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz leicht auf 1,28 Milliarden Euro gestiegen. Auch im laufenden Jahr soll Tegut in tiefroten Zahlen stecken.
Im Januar hatte Tegut noch 19 Märkte der Bio-Kette Basic übernommen, davon zwei in Frankfurt. Stark gewachsen war zuletzt auch das Angebot an kleinen, vollautomatischen Selbstbedienungsläden. Von diesen "Teo"-Märkten betreibt Tegut derzeit mehr als 40 Standorte.
Erst im Mai hatte die Muttergesellschaft Kapital nachgeschossen, ein Darlehen in Höhe von 225 Millionen Euro wurde in Eigenkapital umgewandelt. Mit spitzer Feder kommentierten Schweizer Medien das "Millionengrab", an dem Migros weiter schaufele, während der Konzern im eigenen Land alle unrentablen Geschäftsfelder "gnadenlos" durchleuchte.
Rewe und Edeka haben bereits Standorte geprüft
Der nun geplante Stellenabbau bei Tegut soll sich auf den Hauptsitz in Fulda konzentrieren. Alles in allem beschäftigt das Unternehmen nach eigenen Angaben 7700 Personen. Von den Filialschließungen seien Standorte betroffen, die zuletzt nicht die notwendigen Ergebnisse erwirtschaftet hätten, heißt es.
Die Konkurrenz steht offenbar schon bei Fuß. Nach einem Bericht der "Immobilien Zeitung" vom Oktober haben Rewe und Edeka bereits Standorte geprüft. Das Branchenblatt verweist auf "städtebaulich erstklassige" Lagen. So befänden sich viele Supermärkte in Gebäuden mit einem hohen Wohnanteil in neuen Quartieren. Für diese Lagen habe Tegut Marktteilnehmern zufolge zum Teil sehr hohe Mieten akzeptiert. Jüngstes Beispiel ist die Eröffnung eines Supermarktes in einem neuen Wohnblock an der Berger Straße in Frankfurt. Im Zuge der Basic-Übernahme hatte sich Tegut auch in München gute Standorte gesichert.
Man sei überzeugt, dass die Maßnahmen nötig seien, um die Zukunft von Tegut zu sichern, sagte Patrik Pörtig, Geschäftsführer der Genossenschaft Migros Zürich. Es sei bedauerlich, dass Mitarbeiter das Unternehmen nun verlassen müssten, "es ist uns ein großes Anliegen, den Abbau so sozialverträglich wie möglich umzusetzen". © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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