Tempolimit in Wiesbaden: Kein Wiesbadener Politikfeld ist so von Ideologie bestimmt wie die Verkehrspolitik: Die Leidtragenden sind erwartungsgemäß die Autofahrer.

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Immer mehr Parkplätze werden entfernt und immer mehr Fahrspuren für Busse und Radler reserviert. Pförtnerampeln hemmen den Verkehrsfluss, und die Kontrolldichte durch Blitzer ist enorm. Da passen die verschärften Tempolimits in der Wiesbadener City gut ins Bild einer Großstadt, die dem motorisierten Individualverkehr den Kampf angesagt hat. Dabei gibt es gute Gründe, in Wiesbaden mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs zu sein. Bei rund der Hälfte aller Fahrten vertrauen die Bürger auf das eigene Auto.

Im Bemühen, dem Auto öffentlichen Verkehrsraum zu nehmen, ist der Verkehrsdezernent allerdings deutlich erfolgreicher als bei der Bewahrung des kommunalen Busunternehmens Eswe Verkehr vor Kürzungen aus Etatzwängen. Zunächst Buslinien wegen Fahrermangel zu streichen, dann mithilfe teurer Subunternehmen das Angebot wieder auszuweiten, um es wenig später aus Kostengründen wieder einzuschränken: das zeigt das ganze Chaos des ÖPNV in Wiesbaden. Hier wird kurzfristig und hektisch agiert statt strategisch klug geplant.

Dass selbst Busfahrer die Tempolimits kritisieren, weil sie den Fahrplan durcheinanderbringen, ist bezeichnend. Dem Verkehrsdezernenten gelingt es zwar, den Autoverkehr immer weiter auszubremsen. Doch der Busverkehr liegt im Argen, und als Aufsichtsratsvorsitzender hat Andreas Kowol (Grüne) Eswe Verkehr nicht im Griff.

Auch im Sinne des Lärmaktionsplans ist die Verschärfung kaum gerechtfertigt. Schon bei der Vorstellung des Konzepts mussten Experten zugeben, dass Tempo 40 statt 50 eine kaum wahrnehmbare Verringerung des Lärms um ein Dezibel bringen wird. Erwartet wird, dass durch die Beschränkungen das durchschnittliche Tempo in Wiesbaden von jetzt schon 23 Stundenkilometern auf 20 Kilometer sinken wird. Bei flächendeckend Tempo 30 wären es nur noch 18 Stundenkilometer als mittleres Tempo in der Innenstadt.

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Gerade die Bürger aus dem Umland, auf deren Kaufkraft Wiesbaden angewiesen, werden sich genau überlegen, ob sie an der Pförtnerampel lange warten wollen, ehe sie gnädig in Richtung Innenstadt durchgelassen werden, um dann im Stau das nächste Parkhaus anzusteuern, dessen Gebühren in sozialen Medien regelmäßig scharf kritisiert werden. Kowols Zusage, die City bleibe mit dem Auto gut erreichbar, entspricht eher Wunschdenken als einer realistischen Einschätzung. Auf keinem Feld in der Wiesbadener Politik ist die Ideologie so bestimmend wie beim Verkehr. Das muss sich ändern.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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