Unfug oder Pflicht?: CDU und FDP in Wiesbaden fordern, den "Schildbürgerstreich" verschärfter Tempolimits in der Innenstadt zurückzunehmen – vergebens. Der Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Die Grünen) pocht auf mehr Lärmschutz.

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Es bleibt dabei: Die Autofahrer in der Wiesbadener Innenstadt müssen sich daran gewöhnen, dass auf einigen Straßen Tempo 30, auf anderen Tempo 40 und nur auf den Hauptrouten weiterhin Tempo 50 gilt. Der Antrag von CDU und FDP, den "Schildbürgerstreich" verschärfter Tempolimits wieder zurückzunehmen, fand erwartungsgemäß nicht die Zustimmung des regierenden Linksbündnisses aus SPD, Grünen, Linke und Volt.

Dabei hat sich laut CDU-Fraktionschefin Daniela Georgi schon nach wenigen Wochen erwiesen, dass die Kombination aus Tempo 30 und 40 in der City den Anwohnern dieser Straßen keineswegs weniger Lärm beschere, den Verkehrsfluss aber zusätzlich behindere. Es gebe beim Lärmschutz keine hörbare Verbesserung für die Bürger. "Irrsinnige Ampelschaltungen" trügen zum Stillstand in Wiesbaden bei, sagte Georgi und warf Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Die Grünen) "eine völlig falsche Verkehrspolitik" vor. "Niemand braucht Tempo 30/40 auf Hauptverkehrsstraßen", ergänzte FDP-Fraktionschef Christian Diers, der eine nutzlose "Gängelung der Bürger" und einen immens teuren "Schilderwald" kritisierte.

Siebte Auflage der unergiebigen Diskussion

Beim Linksbündnis stieß diese Kritik auf wenig Verständnis. Der Grünen-Stadtverordnete Martin Kraft positionierte in Anspielung auf einen Hollywood-Film ein Plüsch-Murmeltier auf dem Rednerpult, um auf die nach seiner Zählung schon siebte Auflage der unergiebigen Diskussion über eine keineswegs "revolutionäre" Strategie der Verkehrssteuerung hinzuweisen. Verschärfte Tempolimits hätten sich in vielen anderen Kommunen längst bewährt.

Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Die Grünen) nannte den Antrag der Opposition ebenso wie Rechtsdezernentin Milena Löbcke (Linke) rechtlich unzulässig, weil das Straßenverkehrsrecht nicht in der Zuständigkeit der Stadtverordneten liege.

Eine andere Einschätzung vertrat der FDP-Stadtverordnete und Jurist Alexander Winkelmann. Er kündigte an, die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der "Bitte" der Stadtverordnetenversammlung an den Magistrat um Rücknahme einer Regelung dem Verwaltungsgericht vorlegen zu wollen.

Wirkung wird in 18 Monaten evaluiert

Zur Begründung des verschärften Tempolimits berief sich Kowol auf den Lärmaktionsplan des Landes Hessen und die starke Lärmbelastung der Bürger in der City, vor allem in der Nacht. Die Stadt sei gefordert, aktiv gegenzusteuern. Andere Mittel gebe es nicht. "Flüsterasphalt" helfe nur bei hohem Tempo, sei teuer und nur auf lange Sicht realisierbar. Es sei mit dem Temporegeln ein "maximal ausgewogenes System" entwickelt worden.

Auch das kommunale Busunternehmen Eswe Verkehr sei fortlaufend eingebunden worden, sagte Kowol mit Blick auf die Kritik, dass es seither mehr Verspätungen im Fahrplan gibt. Das gesamte Konzept sei intensiv mit vielen Behörden, Ämtern und Beteiligten abgestimmt worden. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Silas Gottwald hielt der CDU vor, dass ihre Ortsverbände in vielen Ortsbeiräten Anträge auf "Tempo 30" gestellt hätten. Darauf hätten auch die Bürger in die Innenstadt einen Anspruch. In 18 Monaten werde die Wirkung der neuen Regelung evaluiert.

"Grüne Welle" nicht überall möglich

CDU-Fraktionschefin Georgi nutzte die Debatte über das Tempolimit, um den Nutzen der mehr als 30 Millionen Euro teuren, digitalen Verkehrssteuerung (Digi-V) in Wiesbaden grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Technik erweise sich im Verkehrsalltag der Bürger als nutzlos, sagte Georgi. Kowol gab zu, dass es trotz der digitalen Verkehrssteuerung "noch nicht überall eine grüne Welle" gebe, doch die Programmierung des Systems laufe weiter. Kowol sprach von einer "herausragenden technischen Leistung". Von Oktober an werde es wieder eine "grüne Welle" auf dem ersten Ring geben.

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Nicht möglich sei das auf der Schwalbacher Straße, sehr schwierig auf der Wilhelmstraße. Das System Digi-V werde dennoch in den nächsten Wochen und Monaten seine Stärken zeigen, so Kowol. Am Ende werde der Verkehr in Wiesbaden "weiterhin fließen". Christian Hill (FWG/ Pro Auto) widersprach energisch: "Digi-V funktioniert nicht." Alle Versprechen hätten sich als haltlos erwiesen. Der Verkehrsdezernent vertröste die Bürger immer weiter in die Zukunft. Für die FDP kündigte Winkelmann kündigt an, der erste Antrag seiner Fraktion in der nächsten Kommunalwahlperiode werde die Abwahl von Kowol sein.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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