Blick ins All: "Mission completed" beim Glashersteller Schott: Das letzte von 949 Elementen für das weltgrößte Spiegelteleskop ist vollendet. Von 2028 an soll damit der Blick in Galaxien möglich sein, die so nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

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Dass ein Kochfeld etwas mit dem größten Spiegelteleskop der Welt, das gerade in der chilenischen Atacama-Wüste entsteht, gemein haben könnte, ist nicht unbedingt der erste Gedanke, der einem beim Kochen am heimischen Herd kommt. Und doch ist es so, wie die Glasexperten von Schott in Mainz jetzt berichtet haben, als sie feierlich den letzten von 949 Spiegelträgern des "Extremely Large Telescope" (ELT) aus Zerodur-Glaskeramik auf die Reise nach Südamerika geschickt haben.

Denn eine der entscheidenden Qualitäten dieses in Mainz entwickelten und hergestellten Werkstoffes ist es, bei Temperaturveränderungen thermisch extrem stabil zu bleiben. Zerodur schrumpft praktisch nicht und dehnt sich auch nicht aus, die Fachleute sprechen von einem Ausdehnungskoeffizienten nahe null. Ähnlich unempfindlich gegen solche Schwankungen ist auch ein Kochfeld aus Ceran. In beiden Fällen handelt es sich um eine Lithium-Aluminium-Glaskeramik. Ceran sei gewissermaßen "der kleine Bruder" von Zerodur, sagt Schott-Vorstandschef Frank Heinricht.

Was die Präzision des Endproduktes betrifft, sind die Anforderungen an die Trägerkeramik für das gewaltige Teleskop natürlich viel höher als an Kochfelder. Denn am Ende sollen die daraus gefertigten Spiegelsegmente, poliert und mit Silber beschichtet, Licht aus den tiefsten Tiefen des Universums einfangen und Bilder in bisher nicht gekannter Schärfe liefern. Da Zerodur mechanisch sehr stabil ist, kann es so bearbeitet werden, dass eine hoch präzise geglättete Oberfläche entsteht, die Voraussetzung für genaueste optische Anwendungen ist.

In vier Jahren soll das Megateleskop zum ersten Mal Licht sehen

Funktioniert alles wie geplant und berechnet, werden die allesamt in Mainz gefertigten Spiegelträger Astronomen neue Möglichkeiten eröffnen, den Ursprung ferner Galaxien zu erforschen und nach unbekannten Planeten zu suchen. 2028 soll das Teleskop "zum ersten Mal Licht sehen", wie die Experten es nennen, wenn ein Teleskop zum ersten Mal das Licht des Weltalls einfängt. Im Vergleich zum menschlichen Auge wird das ELT-Observatorium acht Millionen Mal mehr Licht sammeln.

Im Hauptspiegel des Teleskops mit seinen 39 Metern Durchmesser werden 798 der hexagonalen Spiegelelemente von jeweils anderthalb Meter Durchmesser verbaut. Darüber hinaus dienen 133 von den in Serie hergestellten 949 Spiegelträgern aus der Glaskeramik als Ersatzsegmentrohlinge, weitere 18 sind als sogenannte Validierungsrohlinge vorgesehen.

Die Entscheidung, ein solches Megateleskop zu bauen, fiel Ende 2014. Auftraggeber ist die Europäische Südsternwarte (ESO). Die zwischenstaatliche Organisation für astronomische Forschung in Europa betreibt einige der modernsten Teleskope der Welt, einige davon auch schon in der trockenen und wolkenfreien Atacama-Wüste. Die ESO mit Hauptsitz in Garching bei München betreibt dort bereits mehrere Observatorien, etwa das La-Silla-Observatorium, das Very Large Telescope und das Atacama Large Millimeter Array. Bei der ESO arbeiten Wissenschaftler aus 16 Staaten, darunter Deutschland, Italien, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Spanien und Großbritannien, auf dem Gebiet der Astronomie zusammen. Ursprünglich gab es sogar die Überlegung, ein Teleskop mit einem 100-Meter-Spiegel zu bauen, für den nicht 798, sondern 3264 der hoch präzisen Trägerelemente nötig gewesen wären. Diesen Plan verwarf die ESO jedoch, nachdem eine Studie die Kosten und die gewaltige technische Komplexität eines Teleskops dieser Dimension offengelegt hatte.

Aber auch mit dem Spiegeldurchmesser von knapp 40 Metern ist das ELT ein Teleskop der Superlative. Denn neben dem Hauptspiegel hat Schott drei weitere Spiegel gefertigt, die alle bisherigen Dimensionen sprengen: Der konvexe Sekundärspiegel ist mit einem Durchmesser von 4,2 Metern den Angaben zufolge der größte optische Sekundärspiegel, der jemals eingesetzt wurde. Hinzu kommen zwei weitere Spiegel von 4,0 und 2,4 Metern Durchmesser. Die Gesamtkosten des Teleskops werden derzeit auf 1,45 Milliarden Euro geschätzt.

Weltweit arbeiten für Schott gut 17.000 Menschen in mehr als 30 Ländern. Alles in allem gut 100 der etwa 3000 am Stammsitz in Mainz beschäftigten Männer und Frauen sind mit der Entwicklung und Verarbeitung von Zerodur befasst. Die wohl schweißtreibendste Aufgabe haben dabei diejenigen, die eine Mischung aus Quarz, Aluminiumoxid und Lithiumcarbonat einschmelzen und sie später aus der Schmelzwanne als 1400 Grad heiße, leuchtende Masse in eine Form fließen lassen. Aus dieser werden dann nach Tagen des genau überwachten Erkaltens die Rohlinge entnommen. Es handelt sich allerdings immer noch um Glas, noch nicht um die Glaskeramik, mit der erwähnten Temperaturbeständigkeit und mechanischen Festigkeit, die Zerodur auszeichnet.

132 Tonnen Glaskeramik allein für den Hauptspiegel

Um die besondere thermische Stabilität zu erzeugen, muss der Rohling noch einmal erhitzt werden, diesmal sehr langsam auf rund 800 Grad. Allein für den Hauptspiegel mussten die Mainzer alles in allem 132 Tonnen des Ausgangsmaterials einschmelzen und dann mit allergrößter Präzision verarbeiten. Rechnet man nur die Stunden zusammen, die für das Einschmelzen der Grundmasse für alle Glasrohlinge aufgewendet werden mussten, kommen 25 Jahre zusammen, wie die Mainzer Glasexperten vorrechnen.

Sind die Rohlinge gelungen, werden sie dann zu Spezialbetrieben transportiert, die sich auf extrem präzises Schleifen und Polieren von Glaskeramikoberflächen verstehen. Eine Glaskeramik mit den speziellen Eigenschaften des geschützten Zerodur gibt es nicht noch einmal auf dem Weltmarkt, wie Schott-Chef Heinricht sagt. Gleichwohl schlafe die Konkurrenz nicht.

Die Spiegelträger für das ELT sind der bisher größte Auftrag für Zerodur. Mit der Entwicklung eines solchen Werkstoffes haben die Forscher von Schott schon in den Sechzigerjahren begonnen und mit Zerodur bereits 1968 den Qualitätsstandard für Teleskopspiegelträger setzen können. Als etwa im Teleskop auf dem Calar Alto in Spanien im Jahr 1984 ein 3,5-Meter-Spiegel verbaut wurde, kam auch dieser schon von Schott.

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Mit dem Mainzer "Mission completed"-Tag in Sachen ELT ist die Karriere der Glaskeramik bei Schott nicht beendet – im Gegenteil. Die Arbeit für das Megateleskop sieht Heinricht als Leuchtturmprojekt für viele weitere Anwendungen von Zerodur. In Sparten, in denen ein thermisch wie mechanisch besonders stabiles und zugleich hoch präzise zu verarbeitendes Material gebraucht wird, ist Zerodur auch bereits etabliert, wie Janina Krieg sagt, die bei Schott die Vermarktung von Zerodur verantwortet. So kommt die Glaskeramik bei der Herstellung von Mikro- und Nanochips zum Einsatz oder auch in Navigationsgeräten für die Luftfahrt. Aber auch in alltäglichen Geräten und Anwendungen ist der Werkstoff etabliert, so etwa in Smartphones und in Flachbildschirmen.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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