Müllproblem in Frankfurt: Der Müll auf den Straßen Frankfurts häuft sich. Viele sehen die Schuld bei der Stadt. Doch ist vor allem die Eigenverantwortlichkeit der Bürger gefragt.
Wer sich durch die Hinterlassenschaften menschlichen Daseins seinen Weg durch Frankfurt bahnt, findet so einiges, was dort nicht hingehört: überquellende Mülleimer am Straßenrand, leere To-go-Becher in den Rinnen, Zigarettenstummel auf dem Gehweg. Und beim wild abgestellten Sperrmüll an der Ecke kann man sich gleich noch seine Wohnung neu einrichten. Der Müll auf den Straßen der Mainmetropole häuft sich, das Stadtbild leidet. Dabei war Frankfurt einst Vorreiter in der Müllentsorgung. Die Stadt hat 1873 als erste in Deutschland eine kommunale Abfallentsorgung eingerichtet. Doch inzwischen gehören für die Frankfurter fehlende Sauberkeit und Kriminalität zu den drängendsten Problemen der Stadt. Das zeigt die aktuelle Bevölkerungsumfrage "Leben in Frankfurt" aus 2023. In der städtischen Befragung kritisierten zwölf Prozent die mangelnde Sauberkeit im öffentlichen Raum. Hinter teurem Wohnraum avancierte das Thema Stadtsauberkeit damit zum zweitwichtigsten Problem.
Claudia Gabriel von der Stabsstelle Sauberes Frankfurt beschwichtigt: Nicht selten werde die Verschmutzung im öffentlichen Raum als gravierender wahrgenommen, als sie tatsächlich sei. "Oft fallen schon kleine Müllansammlungen auf und prägen das Bild der gesamten Stadt", warnt Gabriel. Im Vergleich zum Vorjahr sei in 2023 die Restabfallmenge je Kopf gleich geblieben, da auch die Einwohnerzahl leicht angestiegen sei.
Ein Müllproblem kann man Frankfurt dennoch nicht absprechen. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man durch belebte Viertel der Stadt spaziert. An Orten wie der Kleinmarkthalle am Liebfrauenberg oder dem Mainufer spitzt sich die Verwahrlosung weiter zu. Besonders seit der Corona-Pandemie sind solche Hotspots beliebt. Ein verändertes Ausgehverhalten während des Lockdowns habe dazu geführt, dass der öffentliche Raum mehr genutzt werde, sagt Gabriel. Wildes Urinieren, sorgloses Müllwegwerfen und Sachbeschädigung seien die Folge an hochfrequentierten Plätzen. Wobei Alkohol auch seinen Teil beitrage: "Leute im nüchternen Zustand zeigen absolute Einsicht. Doch ab 1,6 Promille wird die Kinderstube schon mal schnell vergessen."
Aber woran liegt es, dass mit dem öffentlichen Raum so umgegangen wird? Ist das Entsorgen des selbst produzierten Abfalls nicht Teil unserer sozialen Norm? Warum sieht man nur allzu oft Mitmenschen, die bei der Abfahrt von der Autobahn hemmungslos ihre leere McDonalds-Tüte aus dem Autofenster werfen oder die ihre ausrangierten Elektrogeräte am Straßenrand platzieren?
Für den Soziologen Heinz Leitgöb, der in Frankfurt wohnt und an der Universität Leipzig lehrt, trägt auch das veränderte Konsumverhalten der Menschen zum wachsenden Müllproblem in den Städten bei. Er spricht von "Laufmüll", der zugenommen habe – und meint damit sogenannte To-go-Produkte wie Pizzakartons, Bowl-Verpackungen aus dem Supermarkt oder Kaffeebecher. Die zu kleinen Papierkörbe in den Innenstädten würden der zunehmenden Abfallmenge nicht mehr gerecht. "Wird ein überfüllter Mülleimer dann von Vögeln geplündert, verteilen sich die Essensreste in der Umgebung und vergrößern das Problem", sagt der Soziologe. Für die Stadt Frankfurt ist das ein bekanntes Ärgernis. Dementsprechend wurden in den vergangenen sieben Jahren rund tausend Papierkörbe im öffentlichen Raum und weitere tausend in den Grünflächen angebracht. Bedarfsorientiert mit einem erhöhten Mülleimervolumen.
Sperrmüllhaufen prägt das Bild Frankfurts
Ein weiterer Faktor, den Leitgöb zur Erklärung der Verschmutzung anführt, ist die erweiterte Fassung der Broken-Windows-Theorie. Sie geht auf ein sozialpsychologisches Experiment in den USA der Achtzigerjahre zurück und beschreibt einen Zusammenhang zwischen dem Verfall von Stadtteilen, der weiteren Verwahrlosung und kriminellem Verhalten. Kurzum: Ist ein Stadtviertel schon verschmutzt, wird es leichter hingenommen, wenn weiterer Abfall hinzukommt. Das äußere sich auch im Verhalten der Menschen. "So tendieren die Leute in einem Ort, in dem es sichtbare Anzeichen für Verwahrlosung wie zerbrochene Fenster, Graffiti und insbesondere herumliegende Abfälle gibt, eher dazu, ihren Müll ebenfalls auf die Straße zu werfen, als in sauberen Gegenden", sagt Leitgöb. Ein Zusammenhang mit schweren Straftaten sei hingegen nicht empirisch belegt.
Mit sinkender Hemmschwelle nimmt der Verfall seinen Lauf. Eine Abwärtsspirale, die sich in Frankfurt etwa im Bahnhofsviertel zeigt, obwohl dort inzwischen in engem Takt gereinigt wird. Aber nicht nur dort häuft sich der Müll. Wer sich abends oder am Wochenende auf der Zeil bewegt, etwa rund um die Hauptwache und die Konstablerwache, entdeckt ausreichend Hinterlassenschaften, häufig von Partygängern. Ebenso in Alt-Sachsenhausen. Die Broken-Windows-Theorie macht sich bemerkbar. Leere Flaschen, Zigarettenstummel und Essensverpackungen liegen auf dem Boden.
Auch die illegal abgestellten Sperrmüllhaufen auf dem Gehweg zahlen auf das Image Frankfurts ein. Sie sind vor allem in der Innenstadt und im Stadtteil Höchst ein Störfaktor. Nicht selten gesellt sich auch Hausmüll oder Elektroschrott dazu. Dabei ist eine Anmeldung von herkömmlichem Sperrmüll in den meisten Kommunen unentgeltlich. Doch das unauffällige Hinzustellen zu einem bereits existierenden Müllhaufen gestaltet sich für einige Menschen offenbar um einiges bequemer.
Das belegen auch die Zahlen. Im vergangenen Jahr standen den 91.522 angemeldeten Abfuhren rund 4000 illegale Ablagerungen von Sperrmüll in Frankfurt entgegen. Die Frustration der Bürger über vermüllte Wohngegenden erreicht auch die zuständige Behörde. Selbst nach unverzüglichem Entfernen des Sperrmülls träfen Beschwerden ein, dass nichts abgeholt worden sei, berichtet Claudia Gabriel. "Aber nur, weil keine Stunde später schon der nächste Sperrmüll dort stand."
Beobachtet wird das immer gleiche Muster: Fängt einer damit an, seinen Sperrmüll ohne vorherige Anmeldung an die Straße zu stellen, folgen andere. Leitgöb zufolge, der zu abweichendem Verhalten und Kriminalität forscht, wird die Verwahrlosung durch soziales Missverhalten reproduziert. Doch wie geht man damit um? Eine zufriedenstellende Lösung gebe es bislang nicht, sagt Fachfrau Gabriel. "Durch die unmittelbare Abholung von unerlaubt abgestelltem Müll werden die Menschen in ihrem Verhalten bestätigt. Ihr Vorgehen hatte ja Erfolg." Lasse man den Müll aber länger liegen, sei das eine Strafe für diejenigen, die sich an die Regeln hielten und eine saubere Umgebung verdient hätten.
Um das Müllproblem im städtischen Raum in den Griff zu bekommen, gibt es bereits zahlreiche Ansätze. Viele Kommunen bedienen sich sogenannter Müll-Aktionstage oder zusätzlichen Informationen für ihre Bürger. So mahnen etwa seit Sommer dieses Jahres neue Hinweisschilder in der Frankfurter Innenstadt zur Sauberkeit, Zuwiderhandeln wird mit einem Bußgeld belegt. Laut Gabriel gibt es bisher aber keine messbaren Ergebnisse, die belegen, dass sich durch diese Appelle oder auch die Ankündigung hoher Bußgelder der Müll verringert habe. Doch seien aus wissenschaftlicher Sicht Sanktionen sinnvoll, so Leitgöb, der seit mehr als elf Jahren in Frankfurt wohnt. "Strafen sind besonders dann wirksam, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man erwischt wird. Die Höhe des Bußgeldes ist dabei nicht entscheidend."
Zigarettenstummel sind besonders problematisch
Auch wenn laut dem Frankfurter Ordnungsamt im vergangenen Jahr die sanktionierten Kleinabfälle mit 460 Anzeigen auf einen Höchstwert gestiegen seien, werden Rufe nach strengeren Kontrollen lauter. Leitgöb gibt aber zu bedenken, dass dafür bei der Stadtpolizei wohl nicht ausreichend Personal zur Verfügung stehe und eine intensive staatliche Überwachung im Hinblick auf die Wahrung der bürgerlichen Freiheitsrechte nicht anzustreben sei. Neben intensiven Reinigungen sei vielmehr die soziale Kontrolle der richtige Weg.
Andere Länder haben längst Lösungen gefunden – weil dort offenbar auch das soziale Auftreten in der Öffentlichkeit stärker ausgeprägt ist – nach dem Motto: Wenn jeder seinen eigenen Müll entsorgen würde, hätten wir kein Müllproblem. Dass dieses Prinzip funktionieren kann, zeigt ein Blick nach Japan. In Tokio etwa gibt es im öffentlichen Raum keine Mülleimer, wodurch die Bürger für die Entsorgung ihres Abfalls selbst zuständig sind. "Die Stadtsauberkeit gelingt dort, weil ein Selbstverständnis dafür geschaffen wurde, den produzierten Müll auch wieder mit nach Hause zu nehmen", meint Gabriel. Diese Art der Eigenverantwortlichkeit war auch früher in Deutschland normal, in abgelegeneren Gegenden wie in den Bergen ist es das immer noch.
Was also können wir dem Einzelnem an Müllentsorgung zumuten? Darum geht es etwa in Aufklärungskampagnen, die es in den Kommunen gibt, um das Bewusstsein der Menschen für ihr "Littering"-Verhalten zu schärfen. Oder auch bei Aktionstagen zum Müllsammeln. Der Fokus liegt dabei auf Problemabfällen wie Zigarettenstummeln. "Wer mal ein paar Stunden Zigarettenkippen aufgesammelt hat, weiß, wie mühsam das ist, und wirft sie so schnell nicht mehr achtlos auf den Boden", sagt Gabriel. Erst vor Kurzem fand in Frankfurt der "Main clean-up" statt. Mehr als hundert Menschen haben sich daran beteiligt. Sie nahmen sich einen der südlichen Abschnitte des Mainufers vor und sammelten alles auf, was sie dort fanden. Am Ende war es ein Berg von mehreren hundert Kilogramm. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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