Energieberater im Interview: Pläne wie in Mannheim, das Netz stillzulegen, überraschen Energieberater Hans Weinreuter nicht. Über das Pech der Gaskunden und die Vorteile von Wärmepumpen.

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Herr Weinreuter. die Stadt Mannheim wird als erste Kommune in Deutschland 2035 das Gasnetz stilllegen und Haushalte nicht mehr beliefern. Ist das die Energiewende mit der Brechstange?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Das Datum ist zwar ehrgeizig, aber die Nachricht kommt nicht völlig überraschend angesichts der Diskussion um den Klimawandel, des notwendigen Ausstiegs aus der fossilen Energie und der gewünschten Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland. Klar ist für alle Hausbesitzer, dass das Heizen von Gebäuden mit Öl und Erdgas bis 2045 beendet werden soll. Dass es da auch Zwischenschritte gibt, ist völlig klar.

Dann ist im Umkehrschluss derjenige, der sich jetzt noch eine Gasheizung einbauen lässt, der Dumme? Der Einbau ist ja weiterhin erlaubt, vorausgesetzt die neu eingebaute Heizung kann künftig zumindest 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden.

Das ist so. Ein Eigentümer in Mannheim, der das im letzten Jahr gemacht hat, den trifft es jetzt hart, zumal eine neue Gasheizung locker 20 Jahre hält. Jetzt hat er nur noch eine Perspektive von zehn Jahren. Klar ist aber auch: Es gibt keinen Rechtsanspruch auf eine unbefristete Gasversorgung.

Mannheim wird kein Einzelbeispiel bleiben. Kommunen sind dabei, Wärmepläne zu erstellen. Wird nicht zu wenig deutlich kommuniziert, was das in letzter Konsequenz bedeutet?

Es wäre in der Tat hilfreich für Eigentümer, wenn sie wüssten, wo in ihrer Stadt bis 2045 welches Erdgasnetz in welchen Fristen zurückgebaut werden soll. Dazu bräuchten wir zusätzlich zur kommunalen Wärmeplanung eine strategische Energieplanung, die auch den möglichen Rückbau von Gasnetzen sowie den Ausbau der Stromnetze berücksichtigt, denn Strom wird für die Wärmepumpen gebraucht. Auch in Bezug auf Wasserstoff wäre eine klare Aussage hilfreich. Ich glaube nicht, dass Wasserstoff in den nächsten 20 Jahren eine Rolle spielen wird bei der Beheizung von Wohngebäuden. Den Wasserstoff, der zur Verfügung stehen wird, braucht die Industrie.

Fachleute sind sich einig, dass die Wärmepumpe die effizienteste und umweltfreundlichste Heizung ist. Warum hat sie es so schwer?

Das hängt zum einen mit der aufgeregten Debatte rund um das Gebäudeenergiegesetz zusammen. Da sind viele Halb- und Unwahrheiten durch die Gegend gegeistert, und das hat die Leute verunsichert. Hinzu kommt: Im europäischen Vergleich sind wir bei den Preisen spitze. In den Nachbarländern sind die Geräte deutlich günstiger.

Das hat mit den Knappheiten zu tun, die es hierzulande gab, auch bei den Handwerkern. Aus der Energieberatung wissen wir außerdem, dass Verbraucher dazu neigen, die notwendigen Investitionskosten überzubewerten und die Betriebskosten eher auszublenden. Dann entscheidet man sich lieber für die 15.000 Euro teure Gasheizung, weil sie günstiger ist als die Wärmepumpe.

Wie hoch ist die Preisdifferenz?

Eine Wärmepumpe kostet grob gerechnet doppelt so viel wie eine Erdgasheizung.

Die Bereitschaft zur Energiesanierung lässt nach. Laut einer Studie der Direktbank ING würden knapp ein Drittel der Befragten ihre Immobilie nur dann sanieren, wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet wären. Im Jahr davor waren es zwölf Prozent. Wie erklären Sie sich das?

Eine Umfrage der Verbraucherzentralen hat gezeigt: Die Leute scheuen zurück vor der Komplexität. Angebote verstehen und vergleichen, den richtigen Handwerker auswählen, den Bauprozess verstehen und darauf achten, dass es richtig funktioniert. Dann noch die Kostenfrage klären.

Das ist nicht trivial. In der Regel geht es auch nicht nur um die Heizung, sondern auch um Wärmedämmung, jeweils mit unterschiedlichen Fördersätzen. Für die Wärmedämmung gibt es maximal 20 Prozent für Einzelschritte, für die Heizungssanierung bis zu 70 Prozent.

Das ist aber doch viel Geld.

Die 70 Prozent gibt es nur für Haushalte mit maximal 40.000 Euro Nettoeinkommen im Jahr, sonst sind es 50 Prozent. Und die Summe ist gedeckelt auf ein maximales Fördervolumen von 30.000 Euro. Das ist die Reaktion auf den Preisschub bei den Wärmepumpen. Es ist nun mal so, dass jedes Förderprogrammen auch für Mitnahmeeffekte sorgt.

Die nächste Bundesregierung wird sehr wahrscheinlich eine andere sein. Rechnen Sie damit, dass die Politik beim Klimaschutz zurückrudert? Wird das zu noch mehr Verunsicherung führen?

Was die neue Bundesregierung konkret vorhat, weiß ich natürlich nicht. Der Wahlkampf wird viel Staub aufwirbeln. Die Einzigen, die zum Gebäudeenergiegesetz in seiner jetzigen Form stehen, sind die Grünen, was klar ist, weil es aus ihrem Haus kommt. Ich bin gespannt, wie es ausgeht. Gut ist, dass die drei großen Parteien zum Thema Klimaneutralität bis 2045 stehen, die FDP will das Ziel um fünf Jahre aufschieben, doch nun streitet man sich wieder über den Weg, speziell bei der Energieversorgung der Gebäude.

Kommt die Atomenergie womöglich wieder ins Spiel?

Es wäre dumm, darauf zu setzen, schon allein aus ökonomischen Gründen. Atomenergie ist die teuerste, wenn man neu baut. Zudem ist die Frage der Entsorgung weiterhin nicht gelöst.

Ein Argument der Heizungsgesetzkritiker ist, dass der viele grüne Strom, der in Zukunft gebraucht wird, irgendwo herkommen muss. Unternehmen fürchten um die Energiesicherheit.

Wenn wir weiter mit hohem Tempo die erneuerbaren Energien ausbauen, gleichzeitig den Netzausbau vorantreiben und für Flexibilität im System sorgen, kann das funktionieren. Dänemark und andere Länder machen es vor. In Dänemark stehen die Unternehmen voll hinter der Energiewende, weil sie den mittel- bis langfristigen Effekt der Preissenkung sehen.

Gas und Öl werden schon allein wegen des CO-Preisanstiegs in den nächsten Jahren teurer. Ist der gesetzt?

Der Pfad ist im Moment festgelegt. Spannend wird es 2027, wenn laut bisherigem Plan unsere nationale Bepreisung in den europäischen Emissionshandel integriert werden soll. Das bedeutet, dass dann die CO-Preise europaweit ausgehandelt werden. Die meisten Experten sagen eine deutliche Preissteigerung voraus. In jedem Fall wird es für Besitzer von Erdgasheizungen in Zukunft auch deshalb teurer, weil sich immer mehr Haushalte von Erdgas verabschieden und immer weniger das Netz finanzieren müssen.

Hinzu kommt: Die Erdgaspreise sind fast so volatil wie die Erdölpreise, weil wir keine langfristigen Absatzverträge mehr mit stabilen Preisen haben. Auch deswegen raten wir davon ab, jetzt noch in eine neue Erdgasheizung zu investieren. Für die Ölheizung trifft das Gleiche zu. Niemand weiß, wie die Infrastrukturmodelle der Heizölhändler künftig aussehen, wenn es immer weniger Händler gibt.

Was raten Sie einem Eigentümer, dessen Heizung kaputt geht?

Wenn sein Haus es hergibt, kann er womöglich kurzfristig auf die Wärmepumpe umstellen. Ansonsten könnte er auch überlegen, ob der Heizungsbauer eine gebrauchte Heizung einbaut, bis vieles klarer ist und die kommunale Wärmeplanung steht, die in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern ja bis Mitte 2026 vorliegen muss. Vielleicht sind bis dahin auch die Wärmepumpenpreise gesunken.

Mit einem neuen Gasbrennwertkessel kann man in Zukunft gar nichts mehr anfangen?

Nur in Ausnahmefällen, wenn er etwa noch keine zehn Jahre alt ist, gut läuft und das Haus aus welchen Gründen auch immer nicht modernisiert werden kann, dann könnte man überlegen, die Gasheizung als Spitzenlastkessel für den Winter drin zu lassen, die Wärmepumpe ein bisschen kleiner zu machen und beides vorübergehend in Kombination zu nutzen.

Dass Wärmepumpen im Bestand funktionieren, ist inzwischen Konsens?

Ja. Was in der Diskussion oft vergessen wird: In einem schlecht gedämmten Altbau mit schlechten Fenstern ist auch die Gasheizung teuer im Betrieb. Wärmepumpen brauchen grundsätzlich eine niedrige Vorlauftemperatur. Das erreicht man auf verschiedenen Wegen, indem etwa zwei, drei Heizkörper ein bisschen größer gemacht werden, um die Räume warm genug zu kriegen. Neue Fenster können ausschlaggebend sein, oder die Dämmung von Geschossdecken – das alles muss immer im Einzelfall in der Energieberatung betrachtet werden.

Wenn Sie als Energieberater und Heizungsexperte einen Wunsch an die neue Bundesregierung hätten, was wäre dies in Bezug auf die Heizungspolitik?

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Interessant ist der Ruf von manchen Politikern nach Technologieoffenheit. Ich höre aus vielen Wirtschaftsverbänden eher den Wunsch nach Planungssicherheit. Das halte ich für wichtiger, auch für die Privathaushalte. Wünschenswert wäre ein Konzept für den Ausstieg aus den fossilen Energien im Wärmebereich, das für die nächsten 20 Jahre Bestand hat. Das Gleiche gilt für die Förderkonditionen.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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