Gothic-Musiker ASP: Lange Texte, düstere Geschichten: Der Musiker Alexander Spreng alias ASP blickt auf 25 Jahre Karriere zurück. In Frankfurt hat alles begonnen.

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Als Alexander Spreng im Brentanopark ankommt, scheint die Sonne. Zu Staub zerfällt er aber nicht. Obwohl sich der 52 Jahre alte Rocker gerne als Fürst der Finsternis inszeniert. Auf einer Bank an seinem früheren Lieblingsort wirkt er aber gar nicht so düster, wie es seine Kunst vermuten lässt. Das einzig Vampirische an ihm: Er reist zurück in die Zeit. Und an den Ort, der ihn zu einer Größe in der Gothic-Szene gemacht hat. Von seinem Wohnort im Saarland ist er an seine alte Wirkungsstätte Frankfurt gekommen.

Sommer 1999 in einer Apfelweingaststätte, etwas außerhalb der Stadt: Spreng und der Gitarrist Matthias "Matze" Ambré gründen unter Kastanienbäumen ein Musikprojekt. Einige Studionächte später schicken sie ihre CDs in die alte Batschkapp und andere Frankfurter Clubs, in denen bald Menschen zur düsteren Elektromusik der neuen Paradiesvögel am Frankfurter Nachthimmel tanzen und Sticker der ersten Platte "Hast du mich vermisst?" an Toilettenwände kleben.

Es folgen Liveauftritte, das Label Trisol nimmt die beiden unter Vertrag. Aus dem Projekt wird die Band ASP. Der Name macht klar, wer das Gesicht der Band ist. Der Frontman und Sänger Spreng schrieb unter dem Kürzel ASP schon für die Schülerzeitung, es wurde zu seinem Spitz- und Rufnamen – in seiner alten baden-württembergischen Heimat Künzelsau "Aschp" ausgesprochen.

Von Poe, Lovecraft und King beeinflusst

Aus dem Debüt des Duos im Jahr 2000 entsteht der fünfteilige Albumzyklus "Der schwarze Schmetterling", das wohl stilprägendste Werk. ASP treten auf den größten Szenefestivals auf, dem Wave-Gothic-Treffen in Leipzig oder auf dem M’era Luna in Hildesheim, werden bekannter in der schwarzen Szene. Die auf den ersten drei Alben dominanten Synthesizer weichen später Heavy-Rock-Arrangements. Textlastig und schwarzromantisch bleibt es. Deshalb nennen ASP ihren Musikstil "Gothic Novel Rock".

Beeinflusst haben Spreng, der neben der Musik auch Comics, Geschichten und Gedichte schreibt, Klassiker wie Edgar Allan Poe, H. P. Lovecraft und Autoren wie Stephen King und Otfried Preußler. 2008 ist das Doppelalbum "Zaubererbruder" entstanden, eines der bedeutendsten Alben der Band, das es bis in die deutschen Charts schaffte. Darauf interpretiert Spreng die sorbische Krabat-Sage. Ein Jahr hat er sich dafür genommen, in Bibliotheken recherchiert und Lyrics verfasst, die eingängig sind, aber nicht ins Kitschige abrutschen. Untermalt werden sie von Folkmusik mit Geigen, Elektro und Metal Rock, einer Mischung, die zum Kontext der Sage passt.

Nach dem Intro "Betteljunge" folgt im ersten Teil das Lied "Krabat", darin singt Spreng: "Und mir sprießen Rabenfedern / Und so flieg ich unerkannt / Über Grenzen in das Leben / Wie der Wind schnell übers Land." Der Protagonist kommt in der schwarzen Mühle an, schließt den Pakt mit dem Müllermeister. Im zweiten Teil wird er sie verlassen. So heißt es in "Abschied": "Liebe Brüder, es wird Zeit! / Ich muss um mein Leben rennen / In aller Hast und Heimlichkeit. Denn man darf mich nicht erkennen. Als die Liebste sank ins Grab / Legte ich meinen Namen ab. Keiner soll ihn je mehr nennen."

Gothic-Kultur von Rechtsradikalen instrumentalisiert

Spreng wollte Preußlers schlichtes Ende, in dem die Liebe über das Böse siegt, anders gestalten. Deshalb stirbt Kantorka, statt Krabat zu befreien und mit ihm zu fliehen. Die düsterste Erzählung Preußlers, der im vergangenen Jahr 100 geworden wäre, hat Spreng fasziniert. "Man kann die große Versuchung spüren, die das Böse, das Versprechen der Macht, auf die Müllerburschen ausübt." Preußler hat im Krabat auch seine eigenen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus verarbeitet, die anfängliche Faszination, die Hitlerjugend, den Krieg, die Desillusionierung, die Jahre in Gefangenschaft.

Heute wird die Gothic-Kultur, werden die Themen Macht und Unterwerfung, das Böse und Okkulte, zuweilen von Rechtsradikalen auch innerhalb der Szene instrumentalisiert. ASP seien davon verschont geblieben, sagt Spreng, sie hätten sich klar gegen rechts positioniert, etwa mit Konstantin Wecker dessen Song "Sage Nein" performt. "Aber wenn schon Hannes Wader instrumentalisiert wird, dann hatten wir wohl einfach Glück."

Die Zeit nach "Der Zaubererbruder" verlief weniger glücklich. Vieles ist nun anders seit jenem Sommertag 1999 in der Apfelweinschenke. Den "Nassauer Hof" gibt es nicht mehr, die Gothic-Szene in der Region hat etwas Staub angesetzt und von seinem Bandkollegen Ambré hat sich Spreng nach über einem Jahrzehnt getrennt. "Da gab es nichts mehr, was gut werden kann. Aber das, was wir geschaffen haben, werde ich nie schlechtreden", sagt Spreng.

Für viele Fans sei nur das Duo ASP gewesen. "Der Zaubererbruder" sollte das letzte gemeinsame Album sein. Bis das Soloprojekt Fahrt aufnehmen konnte, dauerte es eine Weile. Jetzt ist ASP vor allem wieder Alexander Spreng, der vor wenigen Jahren aus Frankfurt wegzog. Seine aktuellen Bandkollegen, Multiinstrumentalist Lutz Demmler (Gitarre, E-Bass, Keyboard, Mandoline), Leadgitarrist Søren Jordan, Bassist Tobias Engel (davor Andreas Gross) und Schlagzeuger Stefan Günther (früher Oliver Himmighoffen), trifft er zu Proben und Auftritten.

"Zu alt für den sexy Vampir"

Von 2011 an folgte dann der "Fremder"-Zyklus ohne Ambré, zu dem das erfolgreiche Studioalbum "Maskenhaft – ein Versinken in elf Bildern" zählt. Der Sound klingt reifer und etwas glatter. In dieser Zeit ist außerdem der Zweiteiler "Astoria" und "Verfallen" mit dem Fantasyautor Kai Meyer entstanden. Das verfallene Leipziger Hotel Astoria wird darin als Geliebte personifiziert – ganz im Stile Poes und anderer Gothic-Romanciers.

Das Motiv des Verfalls beschäftigt ASP auch persönlich. "Ich bin einfach zu alt für den sexy Vampir", sagt er, viele Gothic-Rock-Kollegen wie Blutengel bedienten das Klischee des "süßen Vampirs". Sprengs "Fürst der Finsternis" sei dagegen ein ironischer Kommentar, sagt er. Auf dem Album "Horrors" von 2023, einer musikalischen Kurzgeschichtensammlung, ist der Song zum Hit avanciert, was weniger an der Ironie als am Sujet liegen dürfte, vermutet Spreng.

In Schubladen will sich der Musiker mit der tiefen Stimme und dem manchmal theatralischen Vibrato sowieso nicht stecken lassen. Im Park sitzt Spreng ungeschminkt und gar nicht vampirhaft. Bei Auftritten trägt er das typische Make-up, Harlekin-Tränen, exzentrische Kleidung. Auf manche wirkt das gruselig, für Spreng ist es eine Stütze. "Das hat mich gerettet auf der Bühne, weil ich den Testosteron-Überbau nicht hatte. Mein Bühnencharakter hilft mir gegen das Lampenfieber, das ich immer noch habe", sagt der schüchterne Musiker.

Demnächst braucht er sie wohl wieder, die Maske. Am 2. Oktober beginnt die Jubiläumstour mit Samsas Traum um Sänger Alexander Kaschte. Die beiden sind in der "alten Kapp" aufgetreten, waren beim selben Label, haben ein Faible für Comics und düstere Themen. In neun Städten Deutschlands spielen sie, nur nicht im Rhein-Main-Gebiet. "Wir sind früher eine Weile nach Wiesbaden ausgewichen, aber das ist eben nicht Frankfurt. Da gibt es aber kaum noch Spielstätten. Frankfurt ist für düstere Musik und Rock ein schwieriges Pflaster geworden", sagt Spreng.

Alte Songs neu interpretiert

Außerhalb der Region funktioniert ASP sogar über die Szene hinaus, auch wenn die Band nie im ganz großen Mainstream angekommen ist. "Manche bringen ihre Eltern zu Konzerten mit, die oft zu den begeisterteren Fans werden. Es ist wunderschön, wenn sich das Publikum auf diese Weise erweitert."

Ob jung, alt, szeneaffin oder oldschool: Fans dürfte es freuen, dass ASP weitermacht. Geplant sind noch ein dreiteiliger "Turm"-Albumzyklus und ein neues Kurzgeschichtenalbum. Jetzt wird aber erst mal Geburtstag gefeiert. Und es gibt noch einiges zu tun. Marketing und Vertrieb übernimmt Spreng inzwischen selbst – Musikbusiness im 21. Jahrhundert. Dafür steht er, eher Lerche als Nachteule, jeden Tag um 6 Uhr auf und arbeitet acht Stunden lang. Schwäbische Disziplin nennt er das.

Am 6. September ist das neue Doppelalbum "Returning to Haunted Places" erschienen – eine Rückkehr zu spukenden Orten, konkret zu jeweils einem Song aus einem alten Studioalbum, den ASP ganz neu arrangiert hat. So wie das Lied "Abschied" aus dem "Zaubererbruder". "Ich habe dafür einen Brief von Krabat geschrieben, der von einer Kriegsepisode erzählt. Das passt in eine Zeit, in der uns der Krieg wieder stark beschäftigt."

Es geht auch ohne Raben auf der Schulter

Und so schließt sich ein Kreis. Der 25. Bandgeburtstag ist gewissermaßen eine Reminiszenz an die prägendste Wirkstätte: Frankfurt. Eine Stadt, die weniger für gotische als für industrielle Architektur, weniger für Byron’sche Helden als für Banken bekannt ist. Aber genau das sei zum Schreiben wertvoll gewesen. Dazu brauche Spreng keine entweihten Kirchen, Friedhöfe, Raben auf der Schulter.

Zwar sei er hier in 20 Jahren nie ganz heimisch geworden. Aber das "gefährliche Rödelheim", von dem er hörte und wohin er dann zog, sei für ihn ein "Überraschungsgeschenk" gewesen.

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Die Lieblingspizzeria mit Stammplatz, die lebendige Szene, lange Spaziergänge entlang der Nidda bis nach Höchst: "So habe ich meine Texte gelernt, die immer zu lang für Poptexte waren. Die Musik aufs Ohr und laufen." Und so verabschiedet sich der augenzwinkernde Fürst der Finsternis im idyllischen Brentanopark und flattert in die Frankfurter Stadtgruft, ehe es mit der Erinnerung an die musikalischen Anfänge ins Saarland zurückgeht.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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