Drogenpolitik in Frankfurt: In der Diskussion über eine Neuausrichtung der Frankfurter Drogenpolitik äußert sich nun der Polizeipräsident von Hessens größter Stadt.

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Er will, dass künftig vor allem die Belange von Anwohnern und Pendlern stärker berücksichtigt werden.

Endlich bewegt sich etwas in der Stadt. Der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) hat unlängst gesagt, die Stadt Frankfurt könne nicht die Drogenabhängigen aus ganz Süddeutschland versorgen. Auch andere Städte müssten ihrer Verantwortung nachkommen. So weit wie Josef hat sich kein Politiker in den vergangenen Jahren vorgewagt. So deutlich hat sich kaum jemand vor ihm positioniert.

Zum ersten Mal seit sehr vielen Jahren stellt ein Politiker an höchster Stelle infrage, ob die Frankfurter Drogenpolitik, der "Frankfurter Weg", der in den Neunzigerjahren beschritten wurde, noch zeitgemäß ist. Josef stellt somit in Aussicht, in dem geplanten Drogen- und Suchthilfezentrum, das vor allem Crack-Konsumenten aufnehmen soll, versuchsweise nur Menschen zu versorgen, die aus Frankfurt oder zumindest aus Hessen kommen, damit die hiesige Drogenszene verkleinert werden kann.

Um zu verstehen, welche Bedeutung diese Forderung hat, hilft es, sich anzuschauen, welchem Zweck der Frankfurter Weg ursprünglich diente: Mit seinen vier Säulen Prävention, Beratung und Therapie, Schadensminimierung und Repression war er die Reaktion auf die unhaltbaren Zustände in der Taunusanlage in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Es war die Reaktion auf Heroin und auf die Gefahren und Wirkungen dieses Suchtstoffs. Das Modell war richtungsweisend und hat sehr lange funktioniert – bis Crack zur neuen Leitdroge wurde.

Drogenpolitik ist nicht mehr zeitgemäß

Die Folgen des Wandels im Rauschgiftkonsum wurden spätestens mit Beendigung der Corona-Pandemie im Sommer 2022 für jeden im Bahnhofsviertel sichtbar. Das öffentliche Bild war dominiert von Verelendung, Verwahrlosung, Müll und Gestank, von einer viel zu hohen Kriminalitätsrate und einer offenen Drogenszene mit mehr als 300 Schwerstabhängigen im öffentlichen Raum, die sich auf wenige Straßenzüge konzentrierten. Die Zustände waren menschenunwürdig. Seit dem Ende der Pandemie hat sich einiges getan. Es gibt Verbesserungen. Aber die Verhältnisse sind noch lange nicht gut.

Es muss vieles auf den Prüfstand. Doch die Bereitschaft, die Drogenpolitik den neuen Entwicklungen anzupassen, ist nicht überall in der Stadt gleich ausgeprägt. Seit mehr als 30 Jahren versorgen die Hilfseinrichtungen in Frankfurt alle suchtkranken Menschen, die Einlass in ihre Einrichtungen begehren. Unter den damaligen Rahmenbedingungen und Gegebenheiten war das sicherlich eine nachvollziehbare Entscheidung. Verändern sich jedoch die Bedingungen, wie nun mit dem Wechsel der Leitdroge von Heroin hin zu Crack, ist es nur folgerichtig, auch die damals getroffenen Entscheidungen zu überprüfen und anzupassen.

Das Verhalten der Menschen, die unter dem Einfluss von Crack stehen, unterscheidet sich entscheidend von dem der Heroinabhängigen. Menschen, die Crack konsumieren, haben einen sehr hohen Suchtdruck, ein permanentes Suchtverlangen. Sie sind aufgeputscht und unruhig, ständig in Bewegung, oft ohne Tag-Nacht-Rhythmus. Sie empfinden Enge als bedrohlich.

Die Bereitschaft, Inhalationsräume in den Hilfseinrichtungen aufzusuchen, ist gering, zumal diese auf den Konsum von Heroin ausgelegt wurden. Schneller und unkomplizierter ist der Rauchkonsum auf der Straße. Die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum im Viertel sind sichtbar. Nicht zuletzt spiegeln sie sich im Sicherheitsempfinden der Bevölkerung wider.

Deshalb sind passgenaue Angebote erforderlich, um den Auswirkungen des Crack-Konsums und den Folgen daraus zu begegnen. Das Drogen- und Suchthilfezentrum, das die Stadt Frankfurt plant, ist ein wichtiger Schritt hierfür. Zielgerichtete Drogen-, Sozial- und Gesundheitshilfe, insbesondere für die Konsumenten von Crack, bieten eine Chance, die öffentlichen Straßen, Wege und Plätze im Viertel zu entlasten.

Im Jahr 2023 nutzten etwa 2800 Konsumenten das Angebot der hiesigen Drogenhilfseinrichtungen. Die Personen sind nicht alle gleich bedürftig und auch nicht alle zur gleichen Zeit in Frankfurt. Die Bandbreite reicht von Schwerstabhängigen, die bei einer Abweisung an einer Hilfseinrichtung sofort in einen Konsum auf der Straße übergehen, bis hin zu den Menschen, die sich, gesundheitlich stabil, in Frankfurt mit Drogen versorgen und bei dieser Gelegenheit noch schnell vor der Heimreise den Konsumraum aufsuchen.

Aber: Mehr als 50 Prozent der Konsumenten kommen nicht aus Frankfurt, und wiederum die Hälfte davon sogar aus anderen Bundesländern. Deshalb ist es gut und wichtig, über die Modifizierung der Einlasskriterien in den Hilfseinrichtungen nachzudenken. Das sollte nicht nur aus finanziellen Gründen geschehen, sondern insbesondere, um die Sogwirkung nach Frankfurt zu verringern.

Die in Teilen bedrohlichen Szenarien, wie sie seit der Initiative von Oberbürgermeister Mike Josef von verschiedenen Akteuren, die entweder politisch oder aber anderweitig für die Drogenhilfe in Frankfurt zuständig sind, ausgemalt werden, halte ich für übertrieben. Nach meiner Bewertung wird es nicht zu Abwanderungen in Parks und auf Spielplätze anderer Stadtteile kommen, wie nun behauptet wird. Konsumenten und Dealer sind gebietstreu. Sie bleiben im Viertel, wie sie es seit mehr als 30 Jahren tun und in den vergangenen zwei Jahren trotz massiver Polizeipräsenz auch getan haben.

Verstärkte Polizeipräsenz führt zu Erfolgen

Es wird auch zu keinem wesentlichen Anstieg der Zahl der Drogentoten kommen. Es gibt bereits jetzt zu gleichen Teilen Notfälle innerhalb und außerhalb von Drogenhilfseinrichtungen. 93 Prozent aller Notfälle ereignen sich im Bahnhofsviertel oder in der Nähe des Hauptbahnhofes. Außerhalb der Einrichtungen werden Menschen in Not schon jetzt durch das gute Rettungsnetz in Frankfurt stets zeitnah versorgt.

Die Diskussion, wer denn an den Zuständen die Schuld trage – die Dealer und die Verfügbarkeit von Drogen oder die Konsumenten im öffentlichen Raum –, gleicht der Diskussion um Henne oder Ei und führt nicht weiter. Ich stimme dem Oberbürgermeister zu: Der Konsum von Drogen im öffentlichen Raum muss reduziert und gleichermaßen der Drogenhandel gezielt bekämpft werden. Die Polizei wird dazu ihren Beitrag leisten und tut es bereits, etwa indem sie gezielt den Drogenhandel auf unterschiedlichen Ebenen intensiv bekämpft.

Seit mehr als zwei Jahren ist die Polizei täglich mit zusätzlichen Kräften sehr stark im Bahnhofsviertel präsent, um die hohe Kriminalitätsrate einzudämmen. Regelmäßig finden Großkontrollen statt, um auch das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Dabei helfen die Videoschutzanlagen. Laut einer jüngsten Auswertung führten sie inzwischen zu mehr als 500 Täteridentifizierungen und bestmöglichen Beweismitteln für die Strafverfahren.

Die Anzahl der Raubüberfälle und der Taschendiebstähle hat sich reduziert, die Aufklärungsquote wurde gesteigert. Die offene Drogenszene ist um ein Drittel geringer geworden, ohne dass eine Verdrängung in andere Stadtteile stattgefunden hat. 66 Messer wurden in einem Jahr über die Rechtsverordnung des Oberbürgermeisters zur Waffenverbotszone aus dem Verkehr gezogen.

Dank der städtischen Bemühungen und jenes Engagements vieler Akteure aus dem Viertel ist das Entree der Stadt am Kaisertor gegenüber dem Hauptbahnhof deutlich aufgewertet worden. Und das wilde Abstellen der E-Scooter hat durch die Einführung des Geofencings ein Ende. Das ist alles sehr ermutigend, aber noch lange nicht ausreichend.

Denn ein Punkt wurde in den vergangenen Jahren zu wenig berücksichtigt: Die Zustände im Bahnhofsviertel sind der Ausdruck einer starken Disbalance – Ausgewogenheit ist hier seit Jahren nicht mehr gegeben. Aber genau dieses Gleichgewicht braucht es: eine Balance zwischen gesundheits- und sozialpolitischen Maßnahmen auf der einen Seite und ordnungspolitischen Maßnahmen auf der anderen.

Man könnte auch sagen: Das Viertel braucht eine stärkere Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Drogenhilfe und dem Wohl von Anwohnern, Eigentümern, Pendlern und Unternehmen. Daher plädiere ich für die Einführung einer fünften Säule im Frankfurter Weg: die Säule der Balance im öffentlichen Raum, um der Bedeutung des Gleichgewichts zwischen gesundheits-/sozialpolitischem und ordnungspolitischem Ansatz einen besonderen Stellenwert beizumessen.

Ziel muss es sein, auf allen Ebenen in der Stadt die Bemühungen dahingehend zu verstärken, die große Sogwirkung, die Frankfurt auf Dealer, sonstige Kriminelle, aber auch auf Konsumenten gleichermaßen entfaltet, weiter zu reduzieren, um allen Interessengruppen des Bahnhofsviertels ihre Anliegen gleichermaßen zu ermöglichen.

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Nur durch eine stärkere Balance, die unter anderem über eine Reduzierung der Drogenszene erreicht werden kann, kann das Viertel auf Dauer zu einem Ort werden, an dem die Verwahrlosung und Verelendung nicht mehr vorherrschend ist. Das bedeutet aber auch Veränderungsbereitschaft im Hinblick auf die Rahmenbedingungen, unter denen Suchtkranke in Frankfurt versorgt werden.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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