Patientenrechte: Viele Kranke kennen ihre Rechte nicht. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung fordert mehr Informationspflichten, kritisiert unnötige Selbstzahlerleistungen und baut Beratungsstellen in allen Bundesländern auf.

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Herr Schwartze, Sie sind Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Kümmern Sie sich wirklich um alle Patienten?

Der Titel erweckt manchmal den Eindruck, man könne allen Patientinnen und Patienten direkt weiterhelfen, das können wir aber neben den anderen Aufgaben für jeden Einzelnen mit unserem Team von zehn Personen nur sehr begrenzt leisten.

Was sind Ihre Aufgaben?

Mein Auftrag ist es, für die Rechte von Patientinnen und Patienten zu kämpfen und ihre Interessen in der Regierung, im Parlament und insgesamt im politischen Prozess zu vertreten. Ich werde an den relevanten Gesetzgebungsverfahren beteiligt, zum Beispiel dem Patientenrechtegesetz, das dringend reformiert werden müsste. Daneben bin ich auch Stiftungsratsvorsitzender der neuen Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD).

Was leistet die Unabhängige Patientenberatung?

Sie ist leider noch wenig bekannt, obwohl sie bereits jetzt etwa 100.000 Beratungen im Jahr leistet. Die neue UPD setzt in Zukunft vor allem auf Qualität, statt in Köpfe zu investieren. Seit Mai gibt es wieder eine telefonische Beratung, an die sich Menschen wenden können, wenn sie gesundheitliche und gesundheitsrechtliche Fragen haben. Im November wird das Angebot noch einmal ausgebaut. Die Patientenberatung berät und informiert unentgeltlich, nennt Anlaufstellen, unterstützt bei Entscheidungen. Wir sind gerade dabei, neue, dauerhafte Strukturen aufbauen – und das in allen Bundesländern. Bezahlt wird das von den gesetzlichen und den privaten Krankenkassen.

Und dort werde ich neutral informiert, wenn beispielsweise mein Antrag auf eine Kur von meiner Krankenkasse abgelehnt wurde?

Ja, gerade dann. In solchen Fällen ist es gut, eine unabhängige Meinung einholen zu können, eine Beratung, die mir erklären kann: Wie begründet sich so eine Ablehnung, warum ist das so? Das hilft oft mehr, als den Sachbearbeiter anzurufen, der die Ablehnung versandt hat. Die Patientenberater kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens, von Versicherungen, oder sie haben juristische Erfahrung.

Sie sind als Kritiker mancher Selbstzahlerleistungen in Arztpraxen, der IGeL-Leistungen, bekannt. Beliebt macht man sich damit nicht unter Medizinern, oder?

Das ist auch nicht meine Rolle. Kennen Sie die Liste, die der Medizinische Dienst Bund veröffentlicht? Im "IGeL-Monitor" können Sie wissenschaftlich fundierte Bewertungen zu den einzelnen Selbstzahlerleistungen nachlesen, dort werden auch Nutzen und Schäden der Leistungen diskutiert. Eine solche Pro-und-Kontra-Liste sollte auch in den Arztpraxen ausgehändigt werden. Bislang muss man ja nur unterschreiben, dass man vom Arzt aufgeklärt worden und zu zahlen bereit ist. Im neuesten "IGeL-Monitor" werden mehr Leistungen denn je genannt, deren Wirksamkeit kritisch bewertet wird. Das ist ein Bereich, in dem viel Geld verdient wird, und ich finde, da gehört ein kritischer Blick darauf. Oft findet man auch in den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften eine Einordnung.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Die Ultraschalluntersuchung zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Gebärmutter. Diese Untersuchung wird sehr häufig verkauft. Und bei einigen Frauen wird durch die Untersuchung Ovarialkrebs im Frühstadium entdeckt. Weil es aber häufig falsch-positive Befunde gibt und dadurch weitere Untersuchungen und Eingriffe folgen, die ihrerseits mit Risiken verbunden sind, schadet sie in Summe mehr. Bei solchen Bewertungen muss man im Hinterkopf behalten, dass sie auf Ergebnissen mehrerer geeigneter und größerer Studien und nicht etwa auf Fallstudien oder Einzelfällen beruhen.

Herr Schwartze, würden Sie mir Ihr Tattoo zeigen?

Sie meinen das hier an meinem Oberarm, das ich mir im Bundestag habe stechen lassen?

Genau das. Was war das für eine Aktion?

Das ist ein Tattoo, mein einziges übrigens, das meine Bereitschaft zur Organspende erklärt. Der Verein Junge Helden hatte die Idee und das Motiv entworfen, und wir haben die Aktion in den Bundestag geholt. Mit einer Gruppe von Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen habe ich einen Gesetzentwurf vorgelegt, um doch noch eine Widerspruchslösung für die Organspende einzuführen. Für mich ist das in meiner Zeit als Abgeordneter seit 2009 dann der dritte Anlauf.

Aber kommt die Widerspruchslösung nicht ohnehin im nächsten Jahr? Dann wären wir alle Organspender – sofern wir nicht ausdrücklich widersprechen.

Nein, wir haben bislang nur einen Beschluss des Bundesrats, der den Bundestag auffordert, aktiv zu werden – was er bisher noch nicht getan hat. Es gibt nun zwar ein Register, in das man sich freiwillig als Organspender eintragen kann, aber das ist für viele zu kompliziert, das machen nur wenige. Die Widerspruchslösung zwingt niemanden, Organspender zu werden, sie zwingt nur, sich damit auseinanderzusetzen. Angesichts von etwa 1000 Menschen, die jedes Jahr sterben, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten, ist das auch notwendig.

Ist das im Ausland besser geregelt?

Fast alle anderen europäischen Länder haben eine Widerspruchslösung. Wir haben ein Bündnis innerhalb Europas namens Eurotransplant, um geeignete Organe auch über Grenzen hinweg zu spenden. In diesem Bündnis sind wir die Einzigen ohne die Widerspruchslösung. Bedeutet, wir sind bereit, in Deutschland Nieren und Leber zu transplantieren, die in anderen Ländern durch eine Widerspruchslösung entnommen wurden. Aber wir sind bisher nicht bereit, diese Entscheidung ebenfalls zu treffen. Das finde ich schwierig.

Wie wird es weitergehen mit Ihrem Gesetzesentwurf zur Organspende?

Ich hoffe, dass es noch im Herbst zu einer Orientierungsdebatte kommen wird. Und möglicherweise gibt es noch andere Anträge als den zur Widerspruchslösung. Wir müssen abwarten.

Patienten klagen häufig, dass sie so lange auf einen Facharzttermin warten müssen. Haben Sie da einen Tipp?

Ich kenne das Problem aus eigener Erfahrung, ich bin auch gesetzlich versichert. Zunächst mal ist klar: Wir können nicht mehr Fachärzte aus dem Hut zaubern. Hausärzte können aber häufig Termine vermitteln, weil sie die Kollegen kennen, und dafür bekommen sie nun eine Vermittlungsprämie. Ich wünsche mir auch die Entbudgetierung für Hausärzte, damit sie weiter gestärkt werden. Und wir brauchen bessere Arbeitsstrukturen für Ärzte in den Praxen und weniger Bürokratie.

Sind Gemeinschaftspraxen die Lösung?

Wenn Ärzte das vor Ort machen, finde ich es gut. Wenn eine Investmentfirma dahintersteht, dann zieht uns das an anderer Stelle Geld aus dem Gesundheitswesen, das wir dringend für die Versorgung von Patienten brauchen.

Sie wünschen sich eine Reform des Patientenrechtegesetzes. Was ist das denn?

Das ist ein Gesetz, das es ohnehin erst seit elf Jahren gibt. Bis dahin gab es für den zweithäufigsten Vertrag in Deutschland, nämlich den Behandlungsvertrag zwischen einem Patienten und einer Gesundheitseinrichtung, keine rechtliche Regelung. Und das bei ungefähr einer Milliarde Vertragsabschlüssen in einem Jahr.

Was würden Sie ändern wollen?

Ich möchte die Informations- und Einsichtsrechte von Patienten ausweiten. Versuchen Sie mal, bei Ihrem Arzt Ihre Krankenakte zu bekommen. Das ist schwierig, obwohl Sie das Recht dazu haben. Manchmal wird dafür Geld verlangt, oft bekommen Sie nur Auszüge. Noch schwieriger wird es im Krankenhaus. Wenn der Verdacht auf einen Behandlungsfehler besteht, bräuchten Sie nicht nur Einsicht in Ihre Patientenakte, sondern auch in Dienstpläne, OP-Pläne, den Hygieneplan. Und wenn es darauf ankommt, auch in die Wartung der technischen Geräte. Unterlagen, die bisher in der Praxis meist nur ein Gericht einfordern kann.

Das scheint ein enormer bürokratischer Aufwand zu sein. Warum soll das so wichtig sein?

Zurzeit ist die Rechtslage so, dass ein Patient nach einem mutmaßlichen Behandlungsfehler den Beweis erbringen muss, dass sein gesundheitlicher Schaden nur durch die Behandlung entstanden sein kann. Wenn ein Mensch aber Vorerkrankungen hat oder schon anderswo in Behandlung war, ist es fast unmöglich, diese Kausalität zu belegen. Wir müssten für diesen Zusammenhang das Beweismaß senken, damit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt, um eine Entschädigung zu bekommen.

Es gibt aber auch Fälle, in denen die Beweislast klar ist, wenn bei einer Operation der rechte statt der linke Arm amputiert worden ist.

Das sind Extremfälle, für die ich gern nach einer Idee der Weltgesundheitsorganisation ein sogenanntes Never-Event-Register einführen würde. Dort würden dann Fälle dokumentiert, die so nie hätten passieren dürfen. Das sind zum Glück nur etwa zwei Dutzend im Jahr, aber sie müssten gründlich und transparent aufgearbeitet werden, damit sie sich möglichst nirgends mehr wiederholen werden.

Gerade waren Sie in Hessen unterwegs, wen haben Sie da besucht?

Im Rahmen meiner Herbsttour habe ich in den letzten Tagen verschiedene gesundheitsbezogene Einrichtungen besucht. Ich war etwa in Marburg an der Uniklinik bei Professor Schieffer, der sich unter anderem mit den Langzeitfolgen nach einer Covid-Infektion und nach Covid-Impfungen beschäftigt. Er lenkt auch Aufmerksamkeit auf Menschen mit einem chronischen Erschöpfungssyndrom, kurz ME/CFS genannt, von denen es schon vor der Pandemie 250.000 in Deutschland gab. Weil man die Ursachen nicht richtig verstand, wurde das als psychisches Problem eingeordnet. Von Langzeit-Post-Covid und ME/CFS sind allein 10.000 Kinder und Jugendliche betroffen. Das sind Lebenschancen, die verloren gehen, wenn diese Kinder keine Möglichkeit bekommen, ihren Schulabschluss zu machen.

Was können Sie in diesen Fällen tun?

Ich helfe Selbsthilfevereinen und -organisationen, eine Lesung im Deutschen Bundestag zu machen, Diskussionsrunden mit Abgeordneten zu veranstalten, und wir kämpfen für mehr Geld für die Forschung und eine bessere medizinische Versorgung. Es ist wichtig, darüber zu reden. Diese Fälle möchte ich aus der Dunkelheit holen.

Die Fragen stellte Monika Ganster.

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Zur Person

Stefan Schwartze ist seit 2022 Patientenbeauftragter der Bundesregierung, berufen von seinem Parteifreund, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). In seiner Rolle vertritt Schwartze die Interessen von Patienten gegenüber der Politik. Schwerpunkte seiner Arbeit liegen auf der Stärkung der Patientenrechte, einer Ausweitung der Informationspflichten und der Einführung der Widerspruchslösung bei Organspenden. Schwartze ist auch Mitglied im Ausschuss für Gesundheit des Bundestages. Seit 2009 ist der Industriemechaniker Bundestagsabgeordneter und hat seinen Wahlkreis Herford-Minden-Lübbecke II seitdem immer direkt gewonnen. Geboren 1974 in Bad Oeynhausen, hat der Ostwestfale seine Heimat nie ganz verlassen, heute lebt er in Vlotho. mg.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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