Die Begeisterung über die Entscheidung des Software-Riesen Microsoft, gleich drei Hyperscaler-Rechenzentren im Rheinischen Revier zu bauen, elektrisiert die Braunkohle-Region, seit sie im März verkündet wurde.
In Bergheim, in Bedburg und an einem dritten Standort, der noch nicht endgültig feststeht. In Riesenschritten, mit einem Investment von 3,2 Milliarden von der "Kohle zur KI" – so stellt die schwarz-grüne Landesregierung den Strukturwandel vor.
Horst Schmidt-Böcking will keinem die gute Laune verderben, doch wenn der Professor vom Institut für Kernphysik der Universität Frankfurt durch die Region tourt, geht es um eine ganz andere Frage. Wer soll den riesigen Energiehunger stillen, den die Rechenzentren, bei denen sämtliche Spielarten Künstlicher Intelligenz zum Einsatz kommen?
Speicher arbeitet unabhängig von der Flutung des Hambach Sees
Es gibt eine Lösung, sagt Schmidt-Böcking, doch die Zahl der Menschen, die sich dafür interessiert, ist überschaubar. Am heutigen Mittwoch hält der Wissenschaftler seinen Vortrag im Lionsclub in Erftstadt, am kommenden Mittwoch zunächst bei der CDU und den Grünen in Düren, einen Tag später wird er bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Landtags, die auf Initiative der SPD zustande gekommen ist, um seine Expertise gebeten.
"Um 2040 sollen in Deutschland ungefähr 80 Prozent des Energieverbrauchs durch Windkraft und Photovoltaik erzeugt werden. Wegen der dann auftretenden großen Schwankungen zwischen Tag und Nacht wird die Energie nur zu jeder Sekunde verfügbar und bezahlbar bleiben, wenn in Deutschland sehr große Speicher für elektrische Energie gebaut werden", sagt Schmidt-Böcking. "Ohne solche Speicher wird die Industrie Deutschland verlassen und, wie man so schön sagt, werden die Lichter ausgehen."
Schmidt-Böcking will eine mehr als 100 Jahre alte Technologie für den ehemaligen Tagebau Hambach modifizieren, einen Pumpspeicher als Energiespeicher bauen, der aus Unterwasserkavernen besteht. "Pumpspeicher brauchen nur zwei benachbarte Wasserbecken in unterschiedlicher Höhenlage", sagt er. "Solche Topografien gibt es in idealer Weise in den Braunkohletagebauen." Bei Hambach beträgt der Höhenunterschied zwischen der Sohle und der Oberkante 460 Meter. "Ein solcher Speicher könnte unabhängig von der Flutung des Tagebaus in acht bis zehn Jahren in Betrieb gehen, ohne die geplante Renaturierung zu beeinträchtigen", sagt Schmidt-Böcking.
Und so soll das Ganze funktionieren: Als Oberbecken wird ein kleiner Teil des Tagebaus, das ist die Manheimer Bucht, mit einem Damm vom späteren großen Hauptsee abgetrennt und separat mit 240 Millionen Kubikmeter Wasser gefüllt, das aus dem abgepumpten Grundwasser des Tagebaus gewonnen wird. Als Unterbecken errichtet man aus Beton große Kavernen auf der Tagebausohle und verbindet sie mit Hilfe von Druckrohren zu einem geschlossenen unabhängigen Wasserkreislauf mit dem Oberbecken. Auf der Höhe der Tagebausohle werden die Pumpturbinen in den Wasserkreislauf integriert.
"Dieses geschlossene Pumpkreislaufsystem könnte ohne Beflutung des Tagebaus schon im Jahr 2032 als Speicherkraftwerk in Betrieb gehen", glaubt der Wissenschaftler. "Das ist vom Rheinwasser völlig unabhängig. Dafür reicht das Grundwasser, das sowieso abgepumpt werden muss. Das Arbeitswasser für die Anlage stünde schon nach 200 Tagen zur Verfügung. Die Flutung des Tagebaus kann dann beliebig später erfolgen. Der spätere Tagebausee hat keinerlei durch den Pumpspeicher verursachte Wasserbewegungen und kann ungestört als Freizeitbereich dienen. Außerdem bliebe im Gegensatz zu früheren Plänen die Sophienhöhe vollständig als Freizeitbereich erhalten."
Erster Speicherversuch vor acht Jahren am Bodensee
Schmidt-Böcking und ein Forscherkollege haben seit 2011 ein Patent auf dieses Verfahren, das sich den Druckunterschied unter Wasser zunutze macht. Im November 2016 wurde in Kooperation mit dem Baukonzern Hochtief eine drei Meter große Betonkugel im Bodensee versenkt, um zu testen, ob das Verfahren tatsächlich funktioniert.
Sein Ziel, das durch die Anhörung im Landtag von der SPD vorangetrieben werden soll, ist eine Machbarkeitsstudie, mit der genauer untersucht wird, ob das Projekt im Tagebau Hambach funktionieren kann. "Ich schätze, dass die Speicherung, wenn man sie über 40 oder 50 Jahre abschreibt, um einen Cent pro Kilowattstunde kostet", sagt Schmidt-Böcking. "Entweder muss man die Windräder oder Photovoltaik-Anlagen abschalten, wenn zu viel Strom zur Verfügung steht, oder man speichert sie vorübergehend für einen Cent und nutzt sie, wenn sie gebraucht wird. Die Braunkohlelöcher in Deutschland sind Geschenke vom lieben Gott, um die Energiewende überhaupt realisierbar zu machen."
Ein Meilenstein für die Versorgungssicherheit
Rein rechnerisch könnte das Rheinische Revier nach dem Ende der Braunkohleförderung die Energieversorgungssicherheit für ganze Deutschland garantieren. Das Hambacher See als gigantischer Stromspeicher, auf dessen Grund 500 Kavernen, also Speichersegmente aus Beton, stehen, die das weltgrößte Pumpspeicherkraftwerk antreiben.
Das NRW-Wirtschaftsministerium hatte bereits 2019 eine Studie zu den Potenzialen solcher Kraftwerke in den Tagebauseen in Auftrag gegeben. Kavernenspeicher seien damals aber nicht untersucht worden.
"Man diskutiert immer drei Arten von Speichern, die Lithium-Ionen-Batterien, den grünen Wasserstoff und die Wasserpumpspeicherwerke. Ideal ist eine Verzahnung. Die Batterien können Leistung schnell aufnehmen, sind aber auch schnell voll. Wenn sie die an Wasserpumpspeicher abgeben, können die Elektrolyse-Anlagen über Nacht mit Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff gefüttert werden. Die Pumpspeicher sind die Arbeitspferde in diesem System", so Schmidt-Böcking.
Ein Wasserpumpspeicher von der sechsfachen Größe aller bisherigen Anlagen in Deutschland, und davon ist bei Hambach die Rede, würde laut Schmidt-Böcking nach groben Schätzungen 35 bis 40 Milliarden Euro kosten. "Das klingt viel, ist aber umgerechnet auf den Öko-Strom, den Wirtschaftsminister Robert Habeck heute nicht nutzen kann, weil die Speicher fehlen, überschaubar." Das seien rund 15 Milliarden Euro pro Jahr. "In spätestens drei Jahren hätte sich eine solche Anlage also amortisiert." © Kölner Stadt-Anzeiger
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