Claudia Valter schaut sich nervös um, nippt an einem Latte Macchiato. Die Kölner Polizistin darf ohne Genehmigung ihrer Vorgesetzten nicht mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" über ihre Arbeit sprechen.

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Sie macht es dennoch. Ihren echten Namen möchte Claudia Valter deshalb nicht in der Zeitung lesen. Sie geht in Kalk auf Streife und sorgt sich. "Die Lage dort ist katastrophal, hier droht ein ganzer Stadtbezirk zu kippen", sagt Walter.

Der Bezirk Kalk ist Verbrechens-Hotspot Nummer eins in Köln. Drogen, Körperverletzung, Raub, Einbruch und Diebstahl jeglicher Art sorgen für eine stetig steigende Kriminalitätsrate. Laut Polizei liegen die Schwerpunkte vor allem auf der Kalk-Mülheimer Straße, der Kalker Hauptstraße, dem Platz an der Post und der Taunusstraße.

Drogenhandel aus Cafés heraus

Auch in dem Ermittlungskomplex rund um den Drogenkrieg und die Sprengstoffanschläge in Köln, Düsseldorf, Duisburg und anderen Städten spielt eine Kalker Drogenbande offenbar die Hauptrolle.

"Ein großes Problem sind Albaner sowie arabisch- und türkischstämmige meist junge Männer in den Kalker Vierteln", sagt Valter. Überall wucherten Wettbüros. Etliche Barber-Shops dienten als Geldwäscheanlagen für Drogendealer, berichtet ein weiterer Polizist, der nicht genannt werden will. Aus Cafés an der Kalk-Mülheimer-Straße würden Kokain, Crack oder Cannabis verkauft. "Hier herrschen längst Strukturen der Organisierten Kriminalität."

Der "Kölner Stadt-Anzeiger" hat mit Valter, ihrem Kollegen und weiteren Polizeibeamten über die Verbrechenshochburg Kalk gesprochen. Keiner wollte namentlich auftreten. Doch was die Beamten erzählen, deckt sich mit weiteren Recherchen.

Intern herrscht großer Frust. Offiziell dazu befragt, suchen Polizei und Justiz die Dinge einzuordnen. Ein Sprecher der Polizei sagt: "Die Örtlichkeit ist als Brennpunkt bekannt und ist als solcher Schwerpunkt der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung. Insbesondere der Bereich Kalk-Mülheimer-Straße und Kalker Hauptstraße wird durch uniformierte und zivile Einsatzkräfte priorisiert bestreift." Kontrollen und Schwerpunkteinsätze finden regelmäßig statt, so der Sprecher weiter.

Drogenhandel stieg letzte Jahr um 70 Prozent

"Die Lage ist schwierig in Kalk oder Mülheim", stellt der Kölner Kripochef Michael Esser klar, "aber ich würde nicht sagen, dass diese Stadtbezirke zu kippen drohen." Zudem gehe man mit Razzien massiv gegen die Drogenszene vor.

Fest steht jedenfalls: Der Anstieg der Drogendelikte fällt in den Polizeiinspektionen fünf und sechs, die unter anderem Mülheim und Kalk umfassen, am deutlichsten aus. Allein im Stadtteil Kalk registrierte die Polizei im vergangenen Jahr 813 Strafanzeigen wegen Drogendelikten. 2022 waren es noch 604 (plus 35 Prozent). Was den Drogenhandel angeht, fällt der Anstieg noch deutlicher aus: Im Vergleich zum Vorjahr (84 Fälle) stieg die Zahl der Anzeigen hier auf 143 Fälle. Das bedeutet einen Anstieg um 70 Prozent. Damit liegen die Zahlen auch wieder über dem Vor-Corona-Niveau. Zwar sank die Zahl in diesem Jahr bis Ende November wieder (450 Drogendelikte) deutlich. Das sei aber auf die Teil-Legalisierung von Cannabis zurückzuführen, so ein Sprecher der Polizei.

Die Ermittler wissen, wer die großen Player in der rechtsrheinischen Unterwelt sind. Manche Großfamilien "kaufen seit Jahren eine Immobilie nach der anderen auf der Kalk-Mülheimer-Straße auf", berichtet Polizeihauptkommissar Peter L. In die Mietshäuser würden häufig Albaner einquartiert, die dann auf der Kalk-Mülheimer-Straße Drogen verkauften. Zudem würden Keller durchgebrochen, um schnelle Fluchtwege bei Razzien zu schaffen.

Auf der Kalk-Meile stehen nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger" regelmäßig sogenannte Spotter – Beobachter, die alle ungewöhnlichen Bewegungen in ihrem Bereich an die Hintermänner melden. Etliche Lokale laufen demnach über Strohleute. Manche Gastro-Betriebe oder Kioske arbeiteten wie die Coffee-Shops in den Niederlanden. Der Kunde geht rein, erwirbt einen Drogen-Bubble und geht wieder raus. "Das ist organisierter Rauschgifthandel", schimpft der Polizeihauptkommissar.

Ladeninhaber berichtet von Drogendeals

Dutzende Einsätze wurden gegen die Drogenbanden gefahren, allerdings mit mäßigem Erfolg: "Diese Leute führen in ihren Lokalen eine komplexe Überwachungstechnik", schildert ein Insider aus der Kalker Polizeiinspektion die Misere. "Sobald eine Razzia in einem Café stattfindet, schrillen in allen anderen Gastronomiebetrieben die Alarmglocken und der Stoff verschwindet." Zudem seien Bezüge zur Drogenszene am Neumarkt belegt.

Wie die Drogengeschäfte rund um die Kalker Hauptstraße ablaufen, davon kann auch ein Geschäftsmann aus Kalk erzählen, der dort seit zwei Jahrzehnten einen Laden betreibt. Auch er will anonym bleiben. "In den vergangenen Jahren ist es hier deutlich schlimmer geworden, der Handel genauso wie der Konsum."

Auch er berichtet von "Spähern", die an Kreuzungen und vor Hinterhöfen stehen, um die Geschäfte zu beobachten und Dealer zu warnen. "Auch die Häuserfassaden der Hinterhöfe nutzen die Dealer als Drogenversteck. Sie entfernen den Mörtel zwischen den Ziegeln, deponieren dort ihre Drogenpäckchen und verkleiden die Verstecke wieder." Der Mann zeigt einem Reporter des "Kölner Stadt-Anzeiger" in einem Hinterhof in der Nähe der Kalk-Mülheimer-Straße, wie das aussieht: In einer Fassade klaffen etwa zehn offene Fugen. "Alte Drogenverstecke, die nicht mehr genutzt werden", sagt er. "Aber hier lauern überall weitere. Man weiß nur nicht genau, wo."

Seit 2015 gingen nach Informationen dieser Zeitung immer wieder alarmierende Analysen bei der Kölner Polizeispitze ein. Angesichts der prekären Personallage bei den Ermittlern im Bereich Organisierte Kriminalität (OK) musste man mitunter passen. Spätestens nachdem ein Großteil erfahrener Kripo-Beamter in dem monströsen Missbrauchs- und Kinderporno-Fall (EG Berg) mit Dutzenden Tatverdächtigen bis 2022 gebunden waren, lief in anderen OK-Feldern nicht mehr ganz so viel. Die Unterwelt in Mülheim, Kalk, Ostheim und anderen Vierteln blieb außen vor. Grund: kein Personal. Allein Raddiebstähle durch Banden machten pro Monat etwa 30.000 Euro Schaden aus.

Zudem begehen kriminelle Clans aus rechtsrheinischen Übergangsheimen ihre Beutezüge. Auch zögern diese Banden nicht, einen Mordbefehl zu vollstrecken. 2022 wurde in der Bambergerstraße in Kalk ein Mann für einen beleidigenden Internetbeitrag seines Brudes gelyncht. Als der Mann mit seinem Smart in die Kreuzung einfuhr, wurde er erwartet. Mehrere Autos verstellten ihm den Weg. Angehörige einer rivalisierenden Roma-Großfamilie näherten sich seinem Wagen. Während ein Mann die Attacke per Handy filmte, prasselten Tritte, Schläge und Messerstiche auf ihn nieder. Videos aus Überwachungskameras dokumentierten das brutale Geschehen. Zwei Wochen später starb das Opfer – totgeprügelt, weil sein in Serbien lebender Bruder die rivalisierende Familie bei Facebook beleidigt hatte.

Nach der Tat setzten sich 25 Beschuldigte ab. Seither läuft die Fahndung laut Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer gegen die mutmaßlichen Mörder, die vermutlich in Frankreich untergetaucht sind. Vier weitere Täter erhielten hohe Haftstrafen von siebeneinhalb Jahren bis lebenslänglich. Dutzende der mutmaßlichen Totschläger lebten vor ihrer Flucht überwiegend in rechtsrheinischen Asylunterkünften. Etliche wiesen ein erhebliches Vorstrafenregister auf, darunter ein "reisender Intensivtäter" mit mehr als 75 Einträgen.

In Kalk eskalierte Ende Oktober ein weiterer Streit tödlich. Der Rocker Davide K., 32, wurde erschossen. "Es war ein Mord in drei Eskalationsstufen", berichtet ein Strafverfolger. Erst schlugen Warnschüsse an seinem Elternhaus ein, dann legten die Täter eine Handgranate unter sein Auto, zuletzt erschoss ein noch unbekannter Mann den ehemaligen Hells-Angel nach einem Besuch in einem Fitnessstudio in Kalk. Das Motiv ist noch unklar.

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Vor einer Woche antwortete die Polizei erneut mit einer Razzia in Kalk und Mülheim auf die steigenden Verbrechenszahlen. Gemeinsam mit Zoll und Stadtkämmerei kontrollieren die Polizistinnen und Polizisten insgesamt 163 Personen und 30 Cafés, Bars und Kioske. Neben Drogen, einem Messer und einer Gaspistole nahmen die Beamten auch einen Mann fest, der wegen Körperverletzung mit Haftbefehl gesucht wurde. Vor dem Hintergrund der Festnahmen, betonte Einsatzleiter Frank Winter, sind schon weitere Schwerpunkteinsätze geplant.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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