Gut einen halben Meter hoch ist die dunkelgrüne und zerklüftete Rinde der Weide fast rundum verschwunden.
Der weiß schimmernde Baumstamm steht im Süden von Köln, keine 15 Kilometer vom Dom entfernt. Die Groov im Stadtteil Zündorf, eine Rheinaue mit Sandstränden und imposantem alten Baumbestand, hat offensichtlich einen neuen Bewohner bekommen. Man habe ihn zwar noch nicht gesehen, sagt Sabine Wotzlaw, Sprecherin der Stadt Köln. Aber die Knabberspuren würden seine Existenz beweisen.
"Ganz sicher", betont Wotzlaw: "Es gibt einen Biber an der Groov!" Der sei auch dem städtischen Umweltamt "bekannt". Die erste Beobachtung für Köln ist dies aber nicht. Am 3. April 2024 sei ein schwimmender Biber von einer Privatperson im Bereich der Zoobrücke gesichtet worden. Und Ende 2024 habe ein Mitglied der Naturschutzwacht von einem Angler die Meldung erhalten, er habe eins der Tiere und Fraßspuren im Stadtteil Godorf bei Rheinkilometer 672,5 gesichtet.
Der ein oder andere Baum wird vom Biber angeknabbert
Ein Vielfraß jedenfalls ist das Phantom von Zündorf zum Glück nicht: "Aktuell sind keine Maßnahmen erforderlich, bisher gibt es keine Konflikte", betont die Stadtsprecherin. "Baumschädigungen" gebe es nur "vereinzelt in geringem Maße". Diese führten aber nicht zu "Gefahrensituationen" und würden bei den regelmäßigen Baumkontrollen des Amtes für Landschaftspflege und Grünflächen "berücksichtigt".
Ein solches Wohlwollen war früher in Nordrhein-Westfalen wohl eher nicht üblich. Im Mittelalter wurden die Biber kurzerhand zum "fischähnlichen Tier" erklärt. Von den Mönchen, die in der 40-tägigen Fastenzeit zwecks "Reinigung der Sinne" kein Fleisch essen durften. Da war es doch praktisch, dass der Biber plötzlich zu den Fischen gehörte und deshalb verspeist werden durfte. Im 19. Jahrhundert wurden die Tiere dann durch den Menschen ausgerottet. Unter anderem wegen ihrer Felle und weil sie durch ihre Holz-Staudämme immer wieder für Schäden etwa für die Landwirtschaft gesorgt haben.
Die "Wiedereinbürgerung" der Biber begann in der Eifel
Doch ab 1981 in der Eifel und ab 2002 am Niederrhein zwecks "Wiedereinbürgerung" ausgesetzt, entwickelte sich langsam, aber stetig eine Artenschutz-Erfolgsstory. Inzwischen gibt es wieder geschätzte 1500 bis 2000 Biber in NRW. Zum Vergleich: 2015 hatte das Landesamt für Natur (Lanuv) den Gesamtbestand auf etwa 650 Tiere geschätzt.
"Die Kernzelle der heutigen Population liegt in der Nordeifel entlang der Rur mit geschätzten 600-800 Tieren", wissen die Experten der Behörde. Mit einer Körperlänge von bis zu 120 Zentimeter und einem Gewicht von etwa 30 Kilogramm sei der Biber das größte Nagetier Europas. Ein Revier umfasse ein bis fünf Kilometer Gewässerufer und bis zu 20 Meter landeinwärts. Die Tiere leben in Familienverbänden mit zwei bis acht Exemplaren.
Population im Kreis Düren verdoppelt sich alle zehn Jahre
Von Januar bis März ist Paarungszeit, nach drei Monaten werden zwei bis vier Jungtiere geboren. Im Herbst werde die "Burg" winterfest gemacht, Nahrungsvorräte für den Winter angelegt, so das Lanuv. Nach Auskunft der Experten wandern ab dem zweiten Lebensjahr die Jungbiber ab und suchen sich ein eigenes Revier. Dabei legen sie Entfernungen von bis zu 100 Kilometer zurück. "Ihre Dämme in stehenden Gewässern schaffen einen neuen Lebensraum für Amphibien wie Frösche oder Insekten wie Libellen", sagt Lutz Dalbeck von der Biologischen Station im Kreis Düren. Vor Ort zeige der regelmäßige Biberzensus, dass sich die Bestände rechnerisch alle zehn Jahre verdoppeln. Eine landesweite Erhebung dieser Art gibt es allerdings nicht.
"Eine besondere Dynamik scheinen wir aktuell auch entlang der Weser zu haben", berichtet der Biologe Dalbeck. Dort habe die örtliche Straßenmeisterei nun sogar ein Schild aufgestellt, das Autofahrer vor "nächtlichem Biberwechsel" warnen soll.
So weit ist man in Zündorf noch lange nicht. Dass das dortige Tier vor allem Weiden benagt, ist für Experten kein Zufall. Denn in der Rinde des Baumes befindet sich Salicylsäure, die von den Bibern als Köstlichkeit geschätzt wird. Aus ihr wird übrigens die Acetylsäure gewonnen, die dem Menschen gegen Schmerzen und Entzündungen hilft, beispielsweise bei Aspirin.
Gekommen, um zu bleiben
Bei Zündorf jedenfalls könnte der Neubürger "dauerhaft einen Lebensraum finden", meint die Kölner Stadtsprecherin. Die Groov hat sich in den letzten Jahren zu einer echten Oase für Tiere entwickelt. Nashornkäfer beispielsweise, Ringelnatter und auch Eisvögel haben dort inzwischen eine Heimat gefunden.
Ob es sich dort jetzt um einen Bieber oder eine kleine Population handelt, könne anhand der Spuren nicht festgestellt werden, sagt Bund-Experte Justus Siebert. Nur, dass das Tier oder die Tiere gekommen seien, um zu bleiben – also keine Durchzügler sind. Denn so viele Nagespuren verschiedenen Alters und an verschiedenen Stellen, das schaffe auch ein fleißiger Biber nicht an einem Tag – und auch nicht in einer Nacht. © Kölner Stadt-Anzeiger
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