Herr Depel, eine 94-jährige Kölnerin, die seit 70 Jahren in ihrer Wohnung in Mülheim lebt, hat eine Kündigung wegen Eigenbedarfs bekommen.

Mehr News aus Nordrhein-Westfalen finden Sie hier

Die Vermieterin gibt an, sie wolle die Wohnung selbst beziehen, weil sie ihren Lebensmittelpunkt nach Köln verlagern wolle – langfristig zumindest. Reicht das aus, um eine alte Dame mit Pflegestufe 3 zum Umzug zu nötigen?

Grundsätzlich ist die Kündigung wegen Eigenbedarfs gesetzlich streng geregelt. Die Wohnung darf vom Vermieter nur für sich selbst, für Familienangehörige oder Personen, die im selben Haushalt leben, beansprucht werden. Die Gründe für die Eigennutzung müssen dem Gericht nachvollziehbar dargelegt werden. Im beschriebenen Fall könnte ich mir allerdings vorstellen, dass der zuständige Richter sehr genau hinschaut: Immerhin bliebe der alten Dame bei einem Auszug wohl nichts anderes übrig, als ins Heim zu ziehen. Hier könnte es sich also um einen Härtefall handeln – ein Auszug wäre dann nicht zumutbar.

Die Absicht, seinen "Lebensmittelpunkt zu verlagern", lässt sich einfach äußern und auch begründen – wie oft passiert es, dass der Vermieter dann aber gar nicht umzieht?

Fälle von vorgetäuschtem Eigenbedarf sind nicht selten. Selten sind allerdings die Fälle, in denen die Täuschung nachgewiesen wird und das auch vor Gericht landet.

In der Rechtsprechung hat sich in den vergangenen Jahren eine Tendenz gezeigt, den Gründen der Vermieter zu folgen

Hans Jörg Depel, Mieterverein

Müssten die Gerichte hier genauer hinschauen?

In der Rechtsprechung hat sich in den vergangenen Jahren eine Tendenz gezeigt, den Gründen der Vermieter zu folgen. Immer öfter melden Eigentümer Eigenbedarf schon kurze Zeit nach Einzug der Mieter an. Früher wurden höhere Erwartungen an den Vermieter gestellt. So galt eine Eigenbedarfskündigung oft als treuwidrig, wenn sie schon nach kurzer Zeit ausgesprochen wurde. So hatte das Landgericht Gießen 1995 entschieden, dass ein Wohnraummietverhältnis nicht vor Ablauf von fünf Jahren wegen Eigenbedarfs gekündigt werden kann, wenn der Eigenbedarf bei Vertragsabschluss absehbar war. Welchen Eigenbedarf der Vermieter zu bedenken hatte, richtete sich gemäß dieses Urteils nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht nach der subjektiven Einschätzung der Richter.

Die Zahl der Eigenbedarfsklagen steigt in Köln. Woran liegt das?

Im Jahr 2024 hat der Mieterverein Köln 560 Beratungen in Sachen Eigenbedarfskündigungen durchgeführt, es wird auch immer mehr prozessiert. Das hat zwei Gründe: Zum einen führt der angespannte Wohnungsmarkt dazu, dass Eigentümer den Wohnraum tatsächlich für ihre Kinder oder andere Angehörige benötigen. Zum anderen nehmen auch die Fälle zu, in denen langjährigen Mietern gekündigt wird, um höhere Mieteinnahmen zu erzielen. Eigentum als Altersvorsorge spielt eine immer größere Rolle – je wichtiger die Einnahmen für die Vermieter sind, desto frostiger wird manchmal das Verhalten gegenüber den Mietern.

Was raten Sie Mietern, bei Eigenbedarfskündigungen grundsätzlich zu tun?

Vielen Dank für Ihr Interesse
Um Zugang zu allen exklusiven Artikeln des Kölner Stadt-Anzeigers zu erhalten, können Sie hier ein Abo abschließen.

Die Kündigung durch Juristen prüfen lassen. Gleichzeitig sich aber tatsächlich und nachweislich um eine neue Wohnung kümmern, damit vor Gericht vorgelegt werden kann, welche Bemühungen sie tatsächlich unternommen haben, aber trotzdem keine Wohnung gefunden haben. Sollte Widerspruch gegen die Kündigung auch aus Härtegründen erfolgen, sollte die im Kündigungsschreiben genannte Frist nicht überschritten werden. Sollte ein Widerspruch aus Gesundheitsgründen erfolgen, wenn das zum Beispiel durch ein ärztliches Attest belegt wird.   © Kölner Stadt-Anzeiger

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.