Ein Besuch bei Microsoft ist wie ein Blick in die Zukunft der Arbeit. Hier im Rheinauhafen, dem zweitgrößten deutschen Standort des Tech-Konzerns, arbeiten knapp 600 Menschen – doch klassische Schreibtische stehen hier nur 50. Stattdessen gibt es Hi-Tech-Meetingräume, wo der sogenannte Copilot Besprechungen aufzeichnet und danach zusammenfasst.

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Wer mag, lässt die künstliche Intelligenz sogar Aufgaben aus dem Gesagten ableiten. Oder sie vermerkt eigenständig im Kalender, was als Nächstes zu tun ist.

Der Copilot ist Microsofts großer Coup, mit dem der Konzern die Wirtschaft und das Leben jedes Einzelnen verändern will. Er funktioniert wie ein persönlicher Assistent, den wir aus Smartphones und Lautsprechern kennen, wenn wir "Hey Alexa" oder "Siri" rufen. Doch der Copilot antwortet nicht nur und spielt Lieder für uns ab, sondern er denkt mit. Er kann beispielsweise E-Mails netter oder strenger formulieren und benachrichtigt uns, wenn in einer Besprechung eine Aufgabe an uns übertragen wird.

So bedeutend wie die Druckerpresse

Microsoft-Chefin Agnes Heftberger drückt das so aus: "KI ist für uns in Deutschland, für uns in Europa, eine Jahrhundertchance. Wir glauben, dass KI eine Querschnittstechnologie ist, so wie in der Vergangenheit die Druckerpresse, Dampfmaschinen und Elektrizität." Die Österreicherin war am Mittwoch nach Köln gekommen, um im Confex in der Kölner Messe die jährliche AI-Tour des Konzerns zu eröffnen. 1300 KI-Interessierte, darunter zahlreiche Entscheider aus der Wirtschaft, ließen sich zeigen, wie sie mit KI ihre Geschäftsprozesse optimieren, Mitarbeiter schneller ausbilden und dem Fachkräftemangel begegnen können.

Heftberger hatte, so wie es sich für disruptive Tech-Konzerne gehört, viel Pathos im Gepäck. Das klang zum Beispiel so: "Wenn man sich zurzeit in Deutschland umhört, fühlt es sich so an, als hätten wir mental auf dem Pannenstreifen gehalten und links auf der Überholspur ziehen alle an uns vorbei. Aber die Überholspur ist vom Pannenstreifen nicht weit entfernt. Und wir haben alles, was es braucht, die Aufholjagd auf der Überholspur zu starten." Dass Microsoft die AI-Tour nach Köln gebracht hat und nicht wie gewohnt nach München oder Berlin, liegt daran, dass Nordrhein-Westfalen die Überholspur schon im Blick hat. Und sie verläuft dort, wo früher Braunkohle abgebaut wurde und nun riesige Rechenzentren, sogenannte Hyperscaler, entstehen.

Die kölsche Art kommt gut an

Vom Rheinauhafen aus können Sascha Utzen und Hendrik Juelich die Überholspur quasi sehen. Seit einem dreiviertel Jahr leiten die beiden den Kölner Standort in Personalunion. Utzen ist ein "kölscher Jung", aufgewachsen in Weiden. Juelich ist zwar zugezogen, lebt aber seit nunmehr zehn Jahren in Pulheim. "Wir werden von anderen Niederlassungsleitern schon darum beneidet, wie viel wir hier gemeinsam unternehmen und wie begeistert die Kollegen dabei sind. Das gibt es so eigentlich an keinem anderen Standort", sagt Juelich. "Da spielt natürlich die kölsche Mentalität eine sehr große Rolle. Diese Offenheit, Dinge einfach mal zu probieren und auch etwas Persönliches von sich zu teilen, nehme ich an den anderen Standorten nicht so stark wahr."

Zwar verfügt jeder der sieben deutschen Microsoft-Standorte in irgendeiner Form über Lokalkolorit, doch in Köln haben sich die Architekten noch einmal besonders Mühe gegeben. Der interne Arbeitsbereich der Mitarbeiter heißt nicht nur "Belgisches Viertel", statt weißem Putz ziert die Wände auch ein Stadtplan des Veedels. Der Essbereich ist wie ein Brauhaus gestaltet, inklusive Bierfässer an den Wänden. Und die Gänge sind im typischen Kölner Brückengrün gehalten, mit Nietenoptik der Severinsbrücke.

Knapp 600 Mitarbeiter zählt der Kölner Standort, es ist der zweitgrößte nach München. Arbeitsplätze gibt es noch nicht einmal für jeden Zehnten. Wie funktioniert das? Erst einmal: Wer wirklich nur am Rechner arbeiten will, tut das von zu Hause. Ohnehin ist ein Großteil der Mannschaft bei Kunden unterwegs. Ins Büro kommt man bei Microsoft eigentlich nur dann, wenn es einen Grund gibt. Einen anderen Grund als "nur Arbeit", versteht sich.

Vom Fastenbrechen über Spieleabende bis hin zu Vorträgen über Griechenland kann das alles sein. Im Oktober hätten sie das hinduistische Lichterfest Diwali gefeiert, erzählt Utzen. "Bei Microsoft sind fast alle Kulturen vertreten, deshalb kommen Kollegen oft mit Ideen für Feste, die wir gar nicht kennen. Das Schöne ist, es finden sich immer Leute, die gerne mitmachen."

Budget für Spaß-Aktivitäten

Die Aufgabe der Standortleiter: Sie sorgen dafür, dass im Office mehr passiert als nur Arbeit. "Wir glauben weiterhin fest daran, dass es wichtig ist, dass die Leute regelmäßig ins Büro kommen, sich austauschen und treffen. Unsere Aufgabe als Standortleiter ist es, dafür entsprechende Gelegenheiten zu schaffen", sagt Utzen. "Wir schaffen den Rahmen, damit die Mitarbeiter ihre Ideen umsetzen können. Wir haben ein separates Budget für solche Aktivitäten."

Dass das Office immer weiter wächst, liegt aber nicht nur an der kölschen Mentalität. Dreiviertel des Daten- und KI-Teams arbeiten am Standort Köln, in direkter Nähe zum Rheinischen Revier. Hier wird die Zukunft gemacht, hier sitzen Microsofts Kunden. Von Bayer über RWE und Eon bis hin zur Metro – die Liste ist lang.

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Die wirtschaftliche Schieflage spürt Microsoft nicht an den Aufträgen, im Gegenteil. "Wir merken das eher in den täglichen Gesprächen mit den Kunden. Doch auch die Unternehmen, die sich in einer schwierigen Situation befinden, sparen eher an anderen Stellen und nicht an KI", sagt Hendrik Juelich. "Die Geschwindigkeit, in der sich die Qualität der Modelle verbessert, ist atemberaubend. Trotzdem stehen wir weiterhin erst am Anfang."  © Kölner Stadt-Anzeiger