Als sie die Badezimmertür im Obergeschoss öffnet, Peter im Rahmen steht und ihr entgegenstrahlt, da kennen sich die beiden schon gut 65 Jahre.

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Sie haben als Kinder gemeinsam gesungen, ihnen wurde zusammen vorgelesen. Sie haben Krach gemacht. Sie haben später gemeinsam gefeiert. Seine Kinder nannten sie "Tante Irmchen". Sie war da, als er seine kranke Frau pflegte. Sie besuchten Gottesdienste. Sie erkundeten bei unzähligen Spaziergängen die Gegend. Und doch sieht Irmgard Peter in dieser Nacht bei einem mehrtägigen Geburtstagsbesuch in Celle plötzlich in einem völlig neuen Licht. "Da hat’s gefunkt. Da guckten wir uns in die Augen und ich dachte: Oh, das könnte ja was werden."

Wenn Irmgard Goerke und Peter Schillbach die Geschichte ihrer Liebe erzählen, dann können sie das einigermaßen kurz machen. Schließlich waren sie schon um die 80 Jahre alt, als es zur entscheidenden Begegnung beim 90. Geburtstag einer gemeinsamen Bekannten in Celle kam. Sie können aber auch ausholen. Und wie. Ihre Augen strahlen, wenn sie den ganz großen Erzählbogen spannen: Damals in Thüringen, Irmgard war 15, Peter gerade mal acht. Der Krieg war vorbei und die beiden Geflüchteten, sie aus Ostpreußen, er aus Ostafrika, lebten Tür an Tür. Zusammengewürfelt durch einen Zufall. Wenn bei Peters Familie irgendwas geboten war, schloss Irmgard sich an. P

eters Großvater hatte zehn Kinder, Irmchen galt ihm bald als das elfte. "Die Goldtochter". Die Wege schlängelten sich weiter, sie schlugen unterschiedliche Richtungen ein, aber wie das Band um ein Geschenk, kreuzten sie sich immer wieder. "Irmchen war eigentlich immer da. Sie gehörte immer dazu", sagt Peters Sohn Stefan heute. Die Schleife schnürten Irmgard und Peter 2019. Beim Jawort im historischen Standesamt in Köln am 12. November war Peter 80 Jahre alt, seine Zukünftige 88.

Späte Eheschließungen liegen im Trend

Irmgard ist damit vielleicht Kölns älteste Braut, jedenfalls habe das die Standesbeamtin erfreut festgestellt, als man das Aufgebot bestellte. Also hat die Familie diesen Superlativ so für sie in Anspruch genommen.

Sehr wahrscheinlich, dass Irmgard den Titel zurecht trägt, ganz allein ist das Paar mit ihrem späten Entschluss aber nicht. 2084 Frauen über 55 Jahren heirateten im Jahr 2023 in Köln, bei den Männern sagten fast 3000 in dieser Altersklasse Ja. Damit hat sich die Zahl der späten Hochzeiter eindeutig vermehrt. Etwa zehn Prozent aller Bräute in Köln und ebenso in ganz NRW sind nach Zahlen des Statistischen Landesamtes heute älter als 55 Jahre. Vor 25 Jahren waren sie mit rund drei Prozent noch die absolute Ausnahme.

Einige Jahre nach dem Badezimmermoment, etlichen Spaziergängen und gemeinsamen Unternehmungen entschied sich Irmgard, ihre eigene Wohnung aufzugeben und zu Peter zu ziehen. Vor dem Start der wilden Ehe habe man bei Peters Kindern und dem Rest der Verwandtschaft höflich vorgefühlt. "Ich habe gesagt: Was für eine wunderbare Idee", schwärmt Peters Sohn Stefan. Er sitzt gemeinsam mit seiner Stiefmutter, seinem Vater und dessen Cousine Gisela im Wohnzimmer in einem kleinen Häuschen in der Bruder-Klaus-Siedlung in Mülheim. An den Wänden des nun gemeinsamen Zuhauses hängen Porzellanteller, ein Wandteppich mit bunten Blumen, im Bauernschrank stapelt sich das gute Kaffeeservice. Es gibt Kekse. Der Umzug wurde also mit dem Segen der jüngeren Generation geplant. "Wir hätten es aber auch ohne deren Zustimmung gemacht", sagt Peter und strahlt wie ein kleiner Junge, der gerade einen besonders großen Keks aus dem Küchenschrank stibitzt hat.

Bis zur krönenden Schleife dauerte es noch drei weitere Jahre. "In der Gemeinde hatte man ihnen eine Eheschließung schon vorher nahegelegt", sagt der Sohn. "Ich hätte ihn sofort geheiratet", sagt Irmgard. Aber Peter ist keiner, der sich gerne hetzen lässt. Und doch kreiseln die Gespräche immer enger um diese eine Frage, sirren manchmal hauchdünn an ihr vorbei, bis Irmgard dem Kreisel im Herbst 2019 den entscheidenden Schubser verpasst. "Wie soll er mich denn anderen vorstellen? Freundin ist doch langsam nicht mehr altersgemäß", ruft Irmgard bei einer Zusammenkunft in die Familienrunde.

Und dann geht alles ganz schnell. "Wir feiern halt gern", sagt Cousine Gisela lachend. Peter avisiert den Mai 2020, aber jetzt wird Irmgard stur. "Mit 89 heirate ich nicht mehr. Da fühle ich mich zu alt. Ich will noch dieses Jahr." Irmgard mag ein paar Falten im Gesicht haben. Ihre rehbraunen Augen aber leuchten in diesem Moment sicher nicht weniger hell als vor 70 Jahren. Noch am selben Abend hatten die Kinder übers Internet einen Standesamt-Termin ergattert. Den letzten des Jahres 2019. Gerade noch rechtzeitig vor Corona.

"Mit 89 heirate ich nicht mehr. Da fühle ich mich zu alt"

Auf dem Alter Markt liegen noch Luftschlangen und Pappnasen in den Pfützen. Es regnet, der Himmel hat die grauen Vorhänge zugezogen. Aber was tut das schon zur Sache? In Irmgards Armen leuchten rosa Rosen in den Farben des Sommers. Peter hat die goldenen Manschettenknöpfe angelegt, aus seinem Sakko ragt ein Einstecktuch. Irmgard trägt eine karierte Bluse, um den Hals Perlen. Hatte sie alles im Schrank. "Zum Einkaufen war ja gar keine Zeit", sagt sie lachend.

Peter und Irmgard lachen eigentlich unentwegt. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse des jungen alten Glücks: Humor, ein fast schon kindliches Vergnügen scheint in dieser Ehe die Basis. Bei keiner Achtklässler-Klassenfahrt wird mehr gekichert als hier bei Schillbachs. Er nennt sie "meine Allerliebste", sie fängt immer mal wieder an, zu singen. Einmal das Volkslied Rose Marie: "Sieben Jahre mein Herz nach dir schrie", schmettert sie.

Geheimnis Nummer zwei: "Wir lassen uns, wie wir sind", sagt Peter. Wenn Peter ihrer Meinung nach viel zu flott Auto fährt, dann halte sie sich zurück. "Ich mache dann fff", sagt Irmgard, reißt die Augen auf und zieht scharf die Luft durch die Zähne. "Aber ich mache das ganz leise." Wieder finden sich ihre Blicke magnetisch, sie lachen sich schlapp.

Geheimnis Nummer drei: Tatsächlich der Fortschritt an Jahren. "Wenn man jung ist, da gibt’s Kleinholz", sagt Peter. Also gar kein Streit? Peter zieht die Augenbrauen weit hoch in die Stirn. "Worüber sollten wir denn streiten?" Und auch Sohn Stefan bescheinigt den Eheleuten eine "außergewöhnliche Harmonie". Es soll Enkel geben, die gerne und regelmäßig bei Schillbach-Goerkes vorbeisähen, einfach um zu ergründen, wie so eine gute Ehe funktioniere. Beim Spielen, bei Rummikub zum Beispiel, ja, da könne sie schon schimpfen, gibt Irmgard zu. Aber grundsätzlich beherrsche friedliche Dankbarkeit die Tage. Irmgard schält Kartoffeln, Peter kocht gut-bürgerlich. Im kleinen Garten geht sie ihm zur Hand. Sogar handwerklich begabt sei ihr Peter, wenn’s sein müsse, steige er noch aufs Hausdach. "Ich habe das große Los gezogen", sagt Irmgard strahlend. Abends gucke man fern über die Mediathek. "In der Programmwahl sind wir uns auch einig, auch wenn die Idee von mir stammt", sagt Irmgard. Es läuft dann: Sturm der Liebe.

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