Junge Erwachsene, die die Schule hingeworfen haben, bekommen hier eine zweite Chance. Seit 2010 hat das "Start"-Projekt 350 jungen Männern und Frauen dabei geholfen, wieder in die Spur zu kommen.
Rund 90 Prozent der Teilnehmer haben dank "Start" ihren Hauptschulabschluss nachgeholt, etliche konnten noch den Realschulabschluss draufpacken. Zum 1. September droht dem erfolgreichen Projekt das Aus, denn dem Jobcenter Oberberg fehlt das Geld. Die "Start"-Macher kämpfen und haben mit "www.zukunftstarten.com" einen Hilfeaufruf gestartet.
Seit 2010 existiert das Projekt, Träger ist der Verein "Ökumenische Initiative Wipperfürth-Radevormwald" (Öku-Ini). Pädagogen verschiedener Fachrichtungen betreuen die 25 Teilnehmer in Kleingruppen, stabilisieren sie und verschaffe ihnen das nötige Rüstzeug für den Schulabschluss. Das Projekt war bis 2021 in Wipperfürth angesiedelt und wurde lange von der Hans Hermann Voss-Stiftung finanziert. Doch deren Statuten lassen eine dauerhafte Unterstützung nicht zu. 2021 zog "Start" nach Hückeswagen um. Die jährlichen Kosten von 270.000 Euro für Personal und Miete teilen sich seitdem das Jobcenter Oberberg (knapp 70 Prozent), der Oberbergische Kreis (knapp 30 Prozent) und die Öku-Ini.
Bundesregierung kürzt die Mittel für Schulabbrecher drastisch
Rainer Drescher ist Geschäftsführer des Jobcenters Oberberg: "Die Bundesregierung hat die Mittel drastisch gekürzt, 2025 erhalten wird rund zwei Millionen Euro weniger zur Förderung des Arbeitsmarktes." Weil in Berlin kein Bundeshaushalt verabschiedet werden konnte, gibt es nur eine vorläufige Haushaltsführung. "Die Entscheidung, die Mittel für ‚Start‘ zu streichen, haben wir uns nicht leicht gemacht", sagt Drescher. Auch andere Projekte in Oberberg seien betroffen, wie Ein-Euro-Jobs. Mit den vorhandenen Mitteln müsse sich das Jobcenter um seine Kernaufgabe kümmern. Dies habe man den Trägern frühzeitig mitgeteilt.
Die Kürzungen des Bundes treffen laut Drescher nicht alle Regionen gleich stark. Kreise wie Oberberg mit einer eher niedrigen Arbeitslosenquote und weniger Leistungsbeziehern seien stärker betroffen.
Ralf Schmallenbach ist Kreissozialdezernent: "Wir dürfen das Projekt aus rechtlichen Gründen nur in Form einer Co-Finanzierung unterstützen." Streicht das Jobcenter – wie jetzt geschehen – die Maßnahme, ist auch der Kreis draußen. Schmallenbach schätzt das Projekt sehr. Start habe immer wieder mit finanziellen Problemen gekämpft, doch mit großem Einsatz sei es 2021 gelungen, eine solide Finanzierung auf die Beine zu stellen. "Dass Berlin jetzt einfach den Geldhahn zudreht, ist ein Unding", sagt Schmallenbach. Man werde mit den Bundestagsabgeordneten für Oberberg sprechen und mit dem noch zuständigen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Zudem will der Dezernent noch einmal an die Unternehmen appellieren, sich finanziell zu beteiligen. "Schließlich klagen alle über Fachkräftmangel."
Sabine Buchheim und Dennis Berster sind Vorsitzende der Öku-Ini und schockiert von der jüngsten Entwicklung. "Wir haben erstmals im November 2024 von der neuen Situation erfahren, aber da hatten wir noch Hoffnung. Vor zwei Wochen hat der Kreis uns mitgeteilt, dass es nicht weiter geht", sagt Buchheim. Für die Öku-Ini sei "Start" ein Herzensprojekt, und so wolle man alles nur Denkbare versuchen, das Projekt zu retten.
Der Verein hat Stiftungen und die Lotterie um Hilfe gebeten und ein Gespräch mit den Bürgermeistern aus dem Kreisnorden verabredet. Der Online-Hilfeaufruf, knackig und einprägsam filmisch umgesetzt von Projektleiter Alexander Besgen, stößt auf breite Resonanz. Adressaten sind in erster Linie Unternehmen, auch Spenden von Privatleuten sind willkommen.
Teilnehmer berichten
Jennifer Schulze, 37 Jahre, kommt aus Engelskirchen und ist alleinerziehende Mutter. "Ich habe die Schule abgebrochen, als mein erstes Kind zur Welt kam. Mehrere Versuche, den Abschluss nachzuholen, sind gescheitert. Seit Mitte 2023 bin ich bei Start. Hier gibt es kleine Klassen und Mobbing ist kein Thema. Mitte 2024 konnte ich meinen Hauptschulabschluss machen und bereite mich jetzt auf den Realschulabschluss vor. Danach möchte ich eine Ausbildung zur Industriekauffrau machen."
Lennart Raschke, 19 Jahre, wohnt in Wipperfürth. "Ich habe nicht richtig in das Schulsystem gepasst, weil ich private Probleme hatte. Bei Start werde ich so akzeptiert, wie ich bin, und erhalte noch außerschulische Unterstützung. Seit 2022 bin ich beim Start-Projekt dabei, habe erst meinen Hauptschulabschluss nach der Stufe 9 und dann den Abschluss nach Stufe 10 geschafft, und das auf einem hohen Niveau. Jetzt bereite ich mich auf den Realschulabschluss vor. Dann will ich eine Ausbildung zum Autolackierer machen." © Kölner Stadt-Anzeiger
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