Das von ultrakonservativen Amerikanern verbreitete Gerücht, Drag Queens würden junge, beeinflussbare Kinder in ebensolche Darsteller divenhafter Weiblichkeit verwandeln, sei grundfalsch.
Behauptet Christopher Caldwell, besser bekannt als Bob the Drag Queen, im Carlswerk Victoria: "We're not hiring (wir stellen gerade niemanden ein)!" Wenn überhaupt, so seien Kinder eine Gefahr für Drag Queens, sagt Bob und reicht sogleich die Anekdote von dem Naseweis nach, der ihn gefragt hatte, wie lange er denn schon schwanger sei.
Bekannt wurde Caldwell durch "RuPaul's Drag Race", er gewann die achte Staffel der weltweit beliebten Reality-TV-Show. Seitdem sind neun Jahre vergangen, in denen Bob the Drag Queen seine/ihre Popularität nur noch steigern konnte, mit fast zwei Millionen Followern auf Instagram und TV-Gigs für HBO und den Streamingdienst Peacock.
Bekannt wurde Bob the Drag Queen durch "RuPaul's Drag Race"
Für seine Liveshow "This Is Wild!", die am Mittwochabend in Köln Station machte, hat sich der Performer zwar ins volle Animal-Print-Ornat geworfen, sie entpuppt sich jedoch als einfaches Stand-up-Programm. Eine Drag Queen, ein Mikro, das war's. Und es reicht völlig aus. Mit umwerfendem Selbstbewusstsein bespielt Caldwell die ausverkaufte Halle, selbst Witze über seltsame Akzente von Neuseeländern und Nordiren – in Belfast wird ein "Michael" zum "Bagel" – oder die ureigensten (Medien-)Erfahrungen seiner Alterskohorte, serviert Bob mit solcher Verve, dass man glatt vergisst, dass man es hier eher mit komödiantischen Standard-Material zu tun hat.
Vor allem Bobs popkulturelle Thesen, so steil wie das hochhackige Schuhwerk, ragen aus dem Stand-up-Einerlei heraus. Der einflussreichste Film der Kinogeschichte? "Shrek"! Auch wenn der grüne Oger ohne Sozialkompetenz heute wahrscheinlich eine rote Maga-Mütze tragen würde, mutmaßt Bob, bleibt doch die wichtigste Botschaft des animierten Märchens bestehen: Auch dicke Menschen verdienen es, geliebt zu werden. Das hatte sich in den frühen Nuller Jahre noch nicht herumgesprochen.
Ein weiter Bogen von den "Sims" bis zu den Versprechen der Mormonen
Geradezu achtunggebietend ist dann der weite Bogen, den Bob von den geheimen Freuden der Lebenssimulation "The Sims" bis zu seiner Fundamentalkritik organisierter Religionen spannt: "Du beginnst mit den besten Absichten ... dann fängst du nach drei Wochen an, dich zu langweilen, fragst dich, was passiert, wenn du einfach das Klo mitten ins Wohnzimmer baust ... dann fängst du an, diese kleinen KI-Menschen zu foltern."
Kurz darauf sind wir schon bei Bobs früher Faszination mit Magie, bei der Unmöglichkeit, Zaubertricks vor Dreijährigen aufzuführen, weil die einfach alles als gegeben hinnehmen, was uns zum Weihnachtsmann, zur Zahnfee und letztlich zum Sohn Gottes bringt. Kleine Kinder glauben einfach alles. Bis ihnen die Absurdität eines dicken Mannes, der alle Kinder der Welt rund um die Uhr beobachtet, um den Braven Geschenke zu bringen, oder einer Fee, die Körperteile gegen Geld tauscht, bewusst gemacht wird. "Und Jesus? Nein, das war echt!" Für diejenigen im Publikum, die sich jetzt in ihrem Glauben angegriffen fühlen, hat Bob the Drag Queen ebenfalls eine Botschaft: "Werdet erwachsen!"
Das ist nicht nett (und selbst ein bisschen pubertär), kommt im Carlswerk aber bestens an, und führt zu einem weiteren Bob'schen Exkurs über die Absurditäten der einzelnen Kirchen. Die Mormonen gewinnen: Wer immer brav den Regeln gefolgt ist, dem winkt hier ein eigener Planet. Was uns zurück zu den "Sims" und einer welterschütternden Erkenntnis führt: Könnte es sein, dass wir auf dem Himmelskörper eines gelangweilten 13-Jährigen gelandet sind, der gerade die Toilette mitten ins Wohnzimmer baut. © Kölner Stadt-Anzeiger
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