Der FC Bayern peilt den nächsten Meistertitel an. Wir sprachen mit dem gebürtigen Münchner und ARD-Taktik-Experten Thomas Broich über den Fußball unter Hansi Flick, einen möglichen Neuzugang beim Rekordmeister - und die Krise des "kleinen Magiers" Philippe Coutinho.

Ein Interview

Mehr aktuelle News zur Bundesliga finden Sie hier

Mehr News zur Bundesliga

Herr Broich, Ihr Ex-Klub, der 1. FC Köln, musste sich dem FC Bayern klar geschlagen geben. Die Münchner marschieren der nächsten Meisterschaft entgegen, oder?
Thomas Broich: Die erste Halbzeit war eine Demonstration, Fußball wie an der Playstation. Allerdings deckten selbst die Kölner die eine oder andere Bayern-Schwäche auf. Ob das einzig und allein am Spielstand lag? Zudem kamen von der Konkurrenz aus Gladbach, Dortmund und Leipzig klare Ansagen. Denen ist in dieser Saison alles zuzutrauen.

Thomas Broich: Dann wird es für den FC Bayern München schwierig

Dabei hatte der Effzeh auf die Heimspiel-Atmosphäre gesetzt. Das Fan-Lied "Mer stonn zo dir, FC Kölle" ist Kult.
Das ist geil. Jeder weiß, dass es auch in die andere Richtung gehen kann, wenn du in der zweiten Liga gegen Underdogs spielst, ist die Erwartungshaltung im Stadion krass und es nicht einfach, in Müngersdorf zu kicken. Wenn aber die Highlights kommen, DFB-Pokal, Schalke, ich erinnere mich an viele Geschichten, und du der Außenseiter bist, geht in Müngersdorf einiges. Wenn du nichts zu verlieren hast, bekommst du 90 Minuten Unterstützung pur. Das Lied ist der absolute Hammer. Ich habe mich jedes Heimspiel genau auf diesen Moment gefreut.

Die Bayern haben gnadenlos losgelegt. Aber: Sie hatten sowohl gegen den 1. FC als auch gegen RB Leipzig Probleme, wenn sie hoch angelaufen und gepresst wurden.
Um so anlaufen zu können, braucht es normalerweise eine Mannschaft mit der Klasse von RB. Die Leipziger haben anfangs auf letzter Linie mit Fünferkette gegen drei Bayern verteidigt.

Bayern hatte im Spielaufbau immer Überzahl, so kriegst du sie gar nicht mehr eingefangen. In der zweiten Halbzeit haben sie den Spielaufbau der Bayern Mann gegen Mann zugemacht. Die Münchner konnten nicht mehr auf die letzte Linie durchkombinieren. In Ansätzen war das auch in Köln ersichtlich.

Nachlässigkeiten beim FC Bayern: "Geht es um Einstellung?"

Nach dem Spiel hatte sich Manuel Neuer beschwert, Köln "hätte fünf, sechs Tore schießen können". Ist diese Spielweise nicht zu riskant für die Champions League?
Die Nachlässigkeiten nach Führungen hinterlassen Fragezeichen: Geht es um Einstellung in Kombination mit personellen Wechseln oder doch um substanzielle Probleme? Die hohe letzte Linie, die für das aggressive Pressing nötig ist, ist nicht ohne Risiko. Gegen RB Leipzig, Köln und im DFB-Pokal gegen Hoffenheim wurden Defensivschwächen mehr als nur angedeutet.

Aus der Säbener Straße in München ist indes zu hören, dass Hansi Flick seine Mannschaft besonders emotional anpackt.
Man wird Flick nicht gerecht, wenn man immer nur auf die emotionale Komponente geht. Es hat sich fußballerisch unfassbar viel getan. Sie laufen viel höher an, sie pressen aggressiver, gehen ins Gegenpressing und Risiko. Das ist eine Kulturfrage: Was passt zu Bayern? Ich glaube, dass Niko Kovac ein überragender Trainer ist. Seine Spielidee hat aber nicht dem bayerischen "mia san mia" entsprochen.

"Die Jungs sind wieder in ihrem Element"

Inwiefern?
Sicherheitsdenken - wie homöopathisch auch immer - und der FC Bayern, das verträgt sich nicht. Das ist, als würde man den Franzosen das Protestieren verbieten. Du merkst förmlich, dass die Jungs jetzt wieder in ihrem Element sind. Spielweise und Selbstverständnis sind wieder deckungsgleich. Das Spiel ist unfassbar variabel, mit sehr viel Risiko, die Außenverteidiger stehen sehr hoch. Im Mittelfeld weißt du nie, wer der tiefste Spieler ist, der den Ball abholt. Ein Leon Goretzka kommt oft noch vor Thiago und Joshua Kimmich und holt sich die Bälle ab.

Sie sprechen Kimmich an. Mehmet Scholl hat den Nationalspieler jüngst mit Greta Thunberg verglichen, weil er mit 25 Jahren immer zu allem was sagt.

Menschen, die kritisch und sehr fordernd sind, sind nicht jedem sympathisch. Aber das sind genau die Eigenschaften eines Leaders: Den Finger in die Wunde legen und nie zufrieden zu sein. Die Erfahrung prägt einen, nicht das Geburtsdatum im Pass.

Joshua Kimmich "zeugt von Persönlichkeit"

Wenn er keine Leistung bringt, was selten passiert, wird seine Kritik zum Bumerang.
Das ist kein Grund, es nicht zu machen. Dann die Schnauze zu halten, ist das Gegenteil von einem Leader. Dass ein junger Kerl so eine breite Brust hat, finde ich geil. Er ist der erste, der weiß, dass er es um die Ohren gehauen bekommt, wenn die Leistung nicht passt. Es trotzdem zu machen, zeugt von Persönlichkeit.

Philippe Coutinho tut sich dagegen sehr schwer.
Licht und Schatten. Anhand seiner schönen Spielzüge sieht man, dass er kicken kann. Er taucht aber oft unter, kommt nicht an sein Leistungsvermögen ran. Alle haben noch den Coutinho von vor ein paar Jahren in Liverpool vor Augen.

Er gilt als sehr sensibler Spieler. Ein Nachteil im Profifußball?
Es gab so viele Fußballer, die introvertiert, schüchtern und trotzdem erfolgreich waren. Mit derselben Körpersprache war Coutinho früher einer der weltbesten Zehner. Mesut Özil ist auch kein Vorbild in Sachen Körpersprache, war aber über Jahre absolute Weltklasse. Natürlich hilft es im Fußball, wenn man abgebrüht ist und ein an Arroganz grenzendes Selbstvertrauen hat. Ich würde es jetzt nicht daran festmachen. Aber Coutinho ist erst in Barcelona den Ansprüchen nicht gerecht geworden und droht nun auch in München zu scheitern.

Dayot Upamecano von RB Leipzig zum FC Bayern? "Ich finde ihn überragend"

In wen sollte der FC Bayern bei der erwarteten Transfer-Offensive stattdessen investieren - vielleicht in Dayot Upamecano (21)? Er wird immer wieder mit den Münchnern in Verbindung gebracht.
Ich finde ihn seit Jahren überragend. Er ist ein Wahnsinns-Athlet, antrittsschnell, hat einen Körper wie ein Schrank, ist trotzdem beweglich und fühlt sich mit dem Ball am Fuß pudelwohl. Dieser Typus Innenverteidiger ist angesichts der Explosivität der Angriffsreihen essentiell. Er ist auf der Innenverteidigerposition eines der Top-Talente in Europa.

Zur Person: Thomas Broich, Jahrgang 1981, ist in München geboren. Über die SpVgg Unterhaching und Wacker Burghausen kam der Ex-Mittelfeldspieler zu Borussia Mönchengladbach (2004 – 2006) in die Bundesliga. Von den "Fohlen" wechselte der Spielmacher zum rheinischen Rivalen 1. FC Köln (2006 – 2009). Sieben Jahre (2010 – 2017) spielte er anschließend für die Brisbane Roar und wurde mit dem Klub aus der Millionenmetropole dreimal (2011, 2012 und 2014) australischer Meister. Broich wurde ferner in der australischen A-League zum Spieler des Jahrzehnts ausgezeichnet. Heute arbeitet der Oberbayer als TV-Experte für die ARD und gemeinsam mit dem Ex-Profi Jerome Polenz (Union Berlin) als Taktikexperte für den Streamingdienst DAZN.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.