Sie wollten den FC Bayern jagen, stattdessen jagen sie Eintracht Frankfurt: Borussia Dortmund läuft in dieser Saison den eigenen Ansprüchen hinterher. Ganz anders ist die Situation bei RB Leipzig, dem einzigen ernsthaften Verfolger des Rekordmeisters. Was fehlt dem BVB, was RB derzeit hat? Eine Analyse.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Tim Frische sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Oliver Burke bekommt den Ball rechts im Strafraum, passt in die Mitte auf Naby Keita, Direktabnahme, Tor - und unbändiger Jubel!

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Es ist eine Szene, die sich am 10. September 2016 zuträgt und die die ohnehin schon große Euphorie bei RB Leipzig noch weiter entfacht. Der 1:0-Sieg gegen Borussia Dortmund am 2. Spieltag ist nicht nur der erste Erfolg für RB Leipzig in der Bundesliga, sondern ein klarer Fingerzeig, wo die Reise für den Aufsteiger in dieser Saison hingeht.

Am kommenden Wochenende treffen Leipzig und der BVB wieder aufeinander - dieses Mal im Dortmunder Signal Iduna Park. Und galt Dortmund im Hinspiel noch als Favorit, wird das Duell dieses Mal eines in etwa auf Augenhöhe sein.

Die Tabelle spricht eine eindeutige Sprache. Nicht der große BVB ist Bayern-Jäger Nummer eins, sondern der Aufsteiger, dessen erste Bundesliga-Saison einem kleinen Märchen gleichkommt. 13 der bisherigen 18 Bundesliga-Spiele gewannen die Sachsen, die als Tabellenzweiter elf Zähler vor dem Vierten Borussia Dortmund liegen. Doch was sind die Gründe dafür, dass RB in dieser Saison viel erfolgreicher ist als die vermeintliche Nummer zwei in Deutschland?

Erstens: Die Spielphilosophien

Kompakte Defensive, schnelles Umschaltspiel bei Ballgewinn, das zu einer gefährlichen Offensivaktion führt: Was sich nach der Spielphilosophie des BVB in der Ära Jürgen Klopp anhört, ist nun das Erfolgsrezept von RB Leipzig. Trainer Ralph Hasenhüttl schickt sein Team traditionell in einem 4-4-2 aufs Feld - ein System, das in sämtlichen Jugendmannschaften der "Bullen" praktiziert wird. Mit Erfolg. Leipzig stellt nach 18 Spieltagen sowohl die drittgefährlichste Offensive als auch die drittbeste Defensive. Und die Spielweise ist für den neutralen Beobachter die wohl attraktivste der gesamten Liga.

Dank der schnellen Angreifer, insbesondere des talentierten Timo Werner, der sich nach Jahren der Stagnation beim VfB Stuttgart in Leipzig in den Fokus von Bundestrainer Joachim Löw spielt, ist RB bei Kontern brandgefährlich. Fünf Tore nach schnellen Gegenstößen sind ein Spitzenwert in der Bundesliga.

Auffällig auch: Leipzig wirkt deutlich unabhängiger von seinen Stars als der BVB. Das Fehlen von Emil Forsberg, der in der Partie beim FC Bayern (0:3) eine Rote Karte sah, kompensiert die Mannschaft als Kollektiv. Dabei war Forsberg bis zu seinem Aussetzer gegen die Bayern für den "Kicker" gar der beste Spieler der Saison.

Beim BVB hängt indes viel von seinem Top-Star Pierre-Emerick Aubameyang ab. Der Gabuner, der die Torschützenliste mit 16 Treffern anführt, ist Anspielstation Nummer eins in der Dortmunder Offensive.

Mit seiner extremen Schnelligkeit und Torgefahr kann der 27-Jährige ein Spiel jederzeit alleine entscheiden. Hängt Aubameyang allerdings mal durch, fehlt dem BVB oftmals ein Plan B und damit die Durchschlagskraft im Angriff.

Zweitens: Die Trainer

Er schien die perfekte Lösung zu sein: Für den amtsmüden Jürgen Klopp übernahm beim BVB mit Thomas Tuchel ein Trainer die Nachfolge, der von seiner Art und Weise perfekt zum Klub zu passen schien. Tuchel und Klopp stehen beide für den "ehrlichen" Trainertypen, wobei Tuchel im Vergleich zu Klopp etwas pragmatischer, analysierend-nüchterner daherkommt.

Doch mittlerweile gibt es Risse in der Beziehung zwischen Trainer und Verein. Von echter Liebe ist nur noch wenig zu spüren, stattdessen wird öffentlich über die Vertragssituation des Coaches fabuliert.

Tuchel ist Stand jetzt nur noch bis zum 30. Juni 2018 bei den Borussen angestellt. Erst nach dieser Saison wollen sich Tuchel und die BVB-Führungsriege um Klub-Boss Hans-Joachim Watzke zusammensetzen, um über eine Verlängerung zu sprechen.

Solche Störgeräusche gibt es in Leipzig derzeit nicht. Warum auch? Ralph Hasenhüttl beweist immer mehr, dass er zu den Top-Trainern im europäischen Fußball gehört.

Seinen Ex-Klub FC Ingolstadt hatte er aus den Niederungen der 2. Liga in die Beletage des deutschen Fußballs geführt, schaffte als Aufsteiger relativ mühelos den Klassenerhalt. Der Lohn: eine Anstellung beim ambitionierten und gut betuchten Aufsteiger aus Leipzig.

Mit Sportdirektor Ralf Rangnick hat Hasenhüttl zudem eine Person an seiner Seite, die schon einmal mit einem langfristig ausgerichteten Fußball-Projekt Erfolg hatte: 1899 Hoffenheim. Das Duo Hasenhüttl/Rangnick - das passt.

Drittens: Das Umfeld

Die Hass-Welle, die RB Leipzig seit Jahren entgegenschlägt, ebbt nicht ab. Auch BVB-Boss Watzke hatte das Fußball-Kunstprodukt, das mit dem Geld des milliardenschweren Red-Bull-Bosses Dietrich Mateschitz finanziert wird, bereits mehrfach kritisiert.

Dem Klub selbst ist diese Ablehnung mittlerweile offensichtlich egal. Vielmehr scheint sie das Team sogar anzustacheln. Im "Wir-gegen-den-Rest-der-Welt"-Modus walzt der Aufsteiger durch die Liga und zeigt Traditionsvereinen wie Borussia Dortmund, dem Hamburger SV oder dem FC Schalke 04 mit Siegen in direkten Duellen, dass Tradition alleine nicht zu drei Punkten führt.

Dass die "Bullen" trotz aller investierten Millionen solch eine Saison spielen, damit war vor der Saison dennoch nicht zu rechnen. Das heißt gleichzeitig: Selbst ein nicht zu erwartender Einbruch in der Rückrunde wäre kein Desaster für den Verein. Die Qualifikation für den europäischen Wettbewerb ist mit 13 Punkten Vorsprung auf Rang sieben mehr als wahrscheinlich. Das Erreichen eines Champions-League-Platzes wäre der größte Erfolg eines Aufsteigers seit dem sensationellen Titelgewinn des 1. FC Kaiserslautern 1998.

In Dortmund wächst hingegen allmählich die Unruhe. Der BVB ist als Vierter derzeit nicht Bayern-, sondern Frankfurt-Jäger Nummer eins. "Dieses Jahr wird es sehr schwer für uns", zitiert der "Kicker" BVB-Abwehrchef Sokratis. Der Grieche warnt: "Wir müssen um den Platz in der Champions League kämpfen."

Ein Selbstläufer wird die Qualifikation zur Königsklasse nicht. Das 1:1 beim FSV Mainz 05 hat gezeigt, dass der BVB insbesondere spielerisch nicht da ist, wo er einst mal war und wieder hinkommen möchte. Das muss sich in erster Linie der Trainer ankreiden lassen. Es werden also keine ruhigere Zeiten für Tuchel, der mit seiner eigenwilligen Art ohnehin nicht bei jedem Fußballfan gut ankommt.

Viertens: Die Transferpolitik

Nuri Sahin? Bei Real Madrid vorwiegend auf der Bank. Shinji Kagawa? Bei Manchester United vorwiegend auf der Bank. Mario Götze? Beim FC Bayern vorwiegend auf der Bank. Borussia Dortmund hat in den vergangenen Jahren einige Rückholaktionen unternommen. Die Hoffnung: Im alten Umfeld sollten die Spieler zu alter Stärke wiederfinden.

Aufgegangen sind diese Pläne bis dato nicht. Sahin und Kagawa sind seit längerer Zeit nur Mitläufer, Götze ist aktuell nicht der alte BVB-Götze, sondern weiterhin der Bayern-Götze.

Auch Sebastian Rode (vom FC Bayern geholt) und André Schürrle (vom VfL Wolfsburg geholt) saßen bei ihren Ex-Klubs des Häufigeren auf der Bank. Rode hat diese Rolle beim BVB ebenfalls vornehmlich inne. Schürrle ruft sein Potenzial trotz gewährter Spielzeiten zu selten ab.

Leipzig hingegen verfolgt eine recht eindimensionale, aber dafür sehr erfolgreiche Transferpolitik. Rangnick möchte vornehmlich Spieler verpflichten, die 23 Jahre oder jünger sind. Dafür ist er auch bereit, das Portemonnaie weit zu öffnen. Der 19 Jahre alte Burke kostete 15 Millionen Euro, genauso wie der 21 Jahre alte Keita. Mit Red Bull im Rücken sind solche Summen für den Aufsteiger ohne größere Probleme zu stemmen.

Hinzu kommt das - zweifelsfrei fragwürdige - Geschäftsgebaren mit Red Bull Salzburg. Zahlreiche Spieler wurden zwischen den beiden Klubs bereits hin- und hergeschoben. Der österreichische Klub wird immer mehr zur Ausbildungsstätte für den deutschen Bundesligisten.

So fragwürdig diese Deals zu sein scheinen, am Ende bringen sie den gewünschten Erfolg. Torwart Peter Gulacsi, Mittelfeldspieler Keita und Stürmer Marcel Sabitzer sind nur drei Spieler, die einst bei Salzburg unter Vertrag standen, und nun mit Leipzig für Furore sorgen.

Und die restlichen Transfers von RB sind nicht nur sinnvoll, die Spieler bringen anschließend auch Leistung. Das kann man von den vom BVB gekauften Spielern nun wahrlich nicht immer behaupten.

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