Thomas Tuchel soll Julian Nagelsmann beim FC Bayern beerben. Nachdem der Trainer und der Rekordmeister vor Jahren nicht zusammenfinden konnten, bietet sich nun nochmal die Gelegenheit. So ganz ohne Risiko wäre aber auch eine Tuchel-Verpflichtung nicht für die Bayern.

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Konsequent sind sie ja beim FC Bayern, das muss man schon sagen. Die Zweifel an Julian Nagelsmann schwelten ja offenbar schon länger, da half auch der eine oder andere jüngst formulierte Treueschwur nicht mehr.

Die valide Chance aufs Triple, acht Siege in acht Spielen in der Königsklasse, ein Punkteschnitt von 2,31 aus 84 Pflichtspielen? Nicht mehr gut genug, weil auf der Gegenseite auch andere Eindrücke stehen: Jene von der Remis-Serie in der Rückrunde, den zehn verspielten Punkten auf den BVB, dem Rauswurf des Torwarttrainers und Neuer-Kumpels, der Rekordstrafe nach Schiedsrichterschelte, der Maulwurf-Affäre.

"Das ist nicht das, was Bayern bedeutet. So wenig Antrieb, Mentalität, Zweikampfführung, Durchsetzungsvermögen - das habe ich so selten erlebt", zürnte Sportvorstand Hasan Salihamidzic nach der 1:2-Niederlage in Leverkusen. Nun dürfte auch klar sein, an wen sich diese ziemlich vernichtende Kritik in erster Linie gerichtet hat.

Das Vertrauen in Nagelsmann war offenbar so schwer erschüttert, die Saisonziele so sehr in Gefahr, dass die Verantwortlichen handeln mussten. Zu einem vergleichsweise günstigen Zeitpunkt, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so scheint. Aber die richtungsweisenden Spiele stehen schon bald an, in der Liga gegen Borussia Dortmund, im Pokal gegen Freiburg und in der Königsklasse gegen Manchester City. Also lassen es die Bayern einmal laut knallen und haben dann Ruhe. Vielleicht.

Folgt er auf Nagelsmann? Tuchel bringt alles mit für den FC Bayern

Denn auf Julian Nagelsmann, den Herbert Hainer, Oliver Kahn und Salihamidzic auch oft genug haben alleine im Regen stehen lassen und der in diesen schwierigen Etappen zum Gesicht des FC Bayern wurde, soll nun Thomas Tuchel folgen.

Wie Nagelsmann auch ein Vertreter der eher jungen Trainergarde, aber natürlich schon mehr dekoriert: Champions-League-Sieger, Weltpokalsieger, mehrfacher französischer Meister und Pokalsieger, Welttrainer des Jahres. Einer, der in Paris und in London schon mit Weltstars gearbeitet hat. Der neben diesen soften Fertigkeiten wie Spielerführung und einer gesunden Portion Autorität auch einer der besten Taktiker des Weltfußballs sein dürfte.

Und ein bisschen Stallgeruch hat er ja auch: Tuchel ist in Krumbach geboren, Kreis Günzburg, Regierungsbezirk Schwaben und damit offiziell Bayer.

Hoeneß: "...die uns einen Thomas Tuchel einreden wollten"

Jetzt findet offenbar doch noch zusammen, was in den letzten Jahren nie so richtig passen wollte. Weil das Timing schlecht war oder aber Teile der Bayern-Führung nicht überzeugt waren von Tuchel. Uli Hoeneß etwa, damals noch Bayern-Präsident, der im Frühjahr 2018 seine Wunschlösung Niko Kovac durchdrückte und danach wenig schmeichelhaft über den anderen Kandidaten sprach, nachdem dieser den Bayern nach einigem Hin und Her abgesagt hatte.

"Ich muss ganz ehrlich sagen: Allen Unkenrufen und Schlaumeiern zum Trotz, die uns einen Thomas Tuchel oder wen auch immer als Wunschtrainer einreden wollten: Ich bin mit der Entscheidung des FC Bayern München, Niko Kovac als neuen Trainer zu haben, der glücklichste Mensch der Welt", sagte Hoeneß damals der "Abendzeitung". Er sei "davon überzeugt, dass wir mit ihm einen Trainer haben, mit dem wir sehr viel Spaß haben werden."

Der Spaß mit Kovac hielt dann tatsächlich noch weniger lang als nun der mit Nagelsmann, nach 16 Montane war schon wieder Schluss für Kovac in München.

Tuchel ist genau jetzt verfügbar

Jetzt ist der Zeitpunkt insofern günstig, da Hoeneß schon lange nicht mehr im Amt ist und Tuchel vor allen Dingen noch für ein paar Wochen sofort verfügbar war. Im Herbst musste der Trainer in London gehen, in einer etwas nebulösen Aktion wurde Tuchel da vom neuen Klubbesitzer vor die Tür gesetzt.

Zuletzt machten immer öfter Gerüchte um ein Engagement bei Real Madrid ab Juli die Runde, auch Tottenham Hotspur dürfte wohl bald einen neuen Trainer suchen. Auch da wurde der Name Tuchel heiß gehandelt. Wollten die Bayern also dieses Mal Tuchel bekommen, mussten sie schnell handeln - was die Entscheidungsfindung wohl zusätzlich beeinflusste.

Ein Trainer, der aneckt

Mit Tuchel würde sich der Rekordmeister eine Art Mischform aus jenen Trainern ins Haus holen, mit denen sie in der letzten Dekade gearbeitet haben: Ein bisschen Spielerversteher wie Jupp Heynckes, ein bisschen Aura wie Carlo Ancelotti, ein wenig Härte wie bei Niko Kovac, das Allround-Talent von Hansi Flick und natürlich die inhaltliche Begabung von Pep Guardiola oder Louis van Gaal.

Allerdings wird Tuchel auch ein bisweilen eigenwilliger Charakter nachgesagt, das hat er ebenfalls mit Guardiola und van Gaal gemein. Der 49-Jährige hält mit seiner Meinung nicht lange hinterm Berg, kann sehr geradeaus sein und auch verkopft. Eine zeitlang galt Tuchel als verschrobener Gesundheitspapst, in Dortmund soll er als eine seiner ersten Amtshandlungen in den Speiseplan der Mannschaft eingegriffen haben.

Das kommt nicht bei jedem Spieler gut an und auch Klub-Offizielle hatten von Mainz bis London schon ein paar größere Differenzen mit Tuchel auszufechten.

Bei Borussia Dortmund war es am Ende so, dass der Trainer unmittelbar nach dem Triumph im DFB-Pokal gehen musste. Die gemeinsame Basis für eine weitere Zusammenarbeit war in den Monaten davor zwischen Klubführung und Teilen der Mannschaft derart zerbröckelt, dass eine Trennung unausweichlich wurde.

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Tuchel ist keine Person des öffentlichen Lebens

Aber das ist nun auch schon fast sechs Jahre her und Tuchel bei seinen Auslandsstationen in Paris und in London zu einem Coach von Weltformat gereift. Tuchel hat gezeigt, dass er die Königsklasse gewinnen kann, dass er mit den Pop-Stars des Spiels umzugehen vermag und dabei eine eigene Handschrift entwickelt.

Diese Entwicklung dürfte ein ausschlaggebender Punkt gewesen sein. Tuchel dosiert seine öffentlichen Auftritte auf ein Minimum. Von ihm laufen im deutschen Fernsehen keine Werbespots, während sein Trainerkollege Jürgen Klopp im Umfeld von Fußballübertragungen etwa alle paar Minuten und für unterschiedliche Firmen wirbt.

Thomas Tuchel ist eher ein Asket, der sich auf das Wesentliche konzentriert. Und der innerhalb sehr kurzer Zeit eine Mannschaft formen und zu Spitzenleistungen treiben kann. Das benötigt der FC Bayern, will er seine aktuellen Saisonziele erreichen und darüber hinaus auch in den nächsten Jahren erfolgreich sein.

Zum vermeintlichen Start der Tuchel-Mission und bei dessen Rückkehr in die Bundesliga wartet gleich Borussia Dortmund als Gegner, es geht um die deutsche Meisterschaft. Und für Thomas Tuchel, den dann wohl neuen Bayern-Trainer, auch ein bisschen um Revanche.

Verwendete Quellen:

  • sueddeutsche.de: Niederlage in Leverkusen: Salihamidzic stellt Charakterfrage
  • abendzeitung-muenchen.de: Präsident des FC Bayern im Interview: Uli Hoeneß über Kovac, Tuchel und DFB
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