Ja, Italien ist der deutsche Angstgegner schlechthin. Ja, Italien spielt eine überragende EM. Aber hier sind elf Gründe, warum die DFB-Elf die "Squadra Azzurra" am Samstag trotzdem schlägt.

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1. Joachim Löw hat dazugelernt

Die 1:2-Niederlage gegen Italien im EM-Halbfinale 2012 war schmerzhaft für Joachim Löw, der sein Team mit taktischen Fehlern ins Verderben coachte. "Das war für mich eine gute Lehre", sagte er vor einigen Tagen, und tatsächlich zog er die richtigen Schlüsse.

Seitdem setzt er seine offensive Spielidee konsequent um. Der Gegner soll sich auf Deutschland einstellen, nicht umgekehrt. An den Details arbeitet Löw völlig undogmatisch – die einst vernachlässigten Standardsituationen sind so spätestens seit der WM 2014 zur großen Stärke der Mannschaft geworden. Bei der EM fielen bislang drei der sechs Tore nach Standards, ein möglicher Trumpf gegen Italien.

2. Das Gegengift steht bereit

Den Spaniern, deren Ballbesitzfußball Löw kopiert und weiterentwickelt hat, setzte Italien mit einem 3-5-2 arg zu. Um das Schicksal des Titelverteidigers nicht teilen zu müssen, denkt Löw über das perfekte Gegengift nach: eine eigene Dreierkette. Das soll aber nicht heißen, dass der Bundestrainer sich nach Italien richtet: "Wir müssen unsere Stärken zeigen und unseren Fußball durchziehen", erklärte Löw. "Das geht mit einer Vierer-, aber auch mit einer Dreierkette."

Egal, welche Variante er wählt, wichtig ist: Seine Mannschaft beherrscht beides und kann auch mit der eigentlich defensiveren Aufstellung ihr gewohntes Angriffsspiel aufziehen. Den Beweis erbrachte die DFB-Elf im März dieses Jahres: Mit einer Dreierkette schlug Löws Team Italien in München mit 4:1.

3. Die breite Brust

"Ich habe kein Italien-Trauma", sagte ein tiefenentspannter Mats Hummels am Mittwoch auf der DFB-Pressekonferenz. "In den jüngsten Testspielen haben wir eine ordentliche Bilanz." Und dann ist ja noch dieser nicht ganz so unwichtige Titel, den Hummels und Kollegen vor zwei Jahren in Brasilien gewonnen haben – um das Selbstvertrauen von Löws Team muss man sich also keine Sorgen machen.

4. Das Yerkes-Dodson-Gesetz

Apropos Angstgegner: In einem Interview mit der "Welt" beschrieb der Göttinger Psychologe Borwin Bandelow die Wechselwirkung zwischen Angst und Leistung nach dem sogenannten Yerkes-Dodson-Gesetz. "Demnach ist die Leistung bei einem mittleren Angstlevel meist am besten", sagte Bandelow. Zu viel Angst könne ein Team lähmen. Zu wenig Angst könnte die nötige Wettkampfspannung zerstören.

Zumindest Mario Gomez klingt so, als wäre er auf dem perfekten Level: "Wir wissen, dass es ein extrem schweres Spiel wird. Aber ich bin überzeugt, dass wir die Sieger sein werden."

5. Andrea Pirlo spielt diesmal für Deutschland

Einer der stillsten im Team, aber ein Weltklassemann auf dem Platz: Toni Kroos überragt bei dieser Europameisterschaft mit schier unglaublicher Spielübersicht und Präzision. Unfassbare 92,3 Prozent seiner Pässe erreichen den Mitspieler, 410 von 444, darunter einige sensationelle Seitenwechsel über vierzig Meter.

Das Fachmagazin "FourFourTwo" hat ihn zum bisher besten Spieler der Euro gekürt. Joachim Löw lobte Kroos jüngst dafür, welche Balance er seinem Team bringe – eine Eigenschaft, die ganz große Mittelfeldspieler auszeichnet. So wie einst auch einen gewissen Andrea Pirlo.

6. Und "Super-Mario" auch

"Super-Mario" Balotelli verfolgt die EM von der Couch aus, der Albtraum der deutschen Mannschaft von 2012 wurde von Antonio Conte nicht berücksichtigt. Der deutsche "Super-Mario" erlebt dagegen ein traumhaftes Comeback auf der großen Bühne, zwei EM-Tore bei seinen zwei Startelf-Einsätzen bestätigen einen langfristigen Trend: In seinen letzten 27 Länderspielen von Beginn an erzielte er 21 Treffer.

Seit Gomez in Frankreich eine große Rolle spielt, läuft es im deutschen Angriff – und bei ihm: "Ich genieße den Fußball gerade sehr."

7. Italiens Personalsorgen

Antonio Conte muss gegen Deutschland auf gleich drei Spieler verzichten. Doppelt schwer wiegt dabei der Ausfall von Daniele de Rossi, der gegen Spanien verletzt ausgewechselt werden musste – sein etatmäßiger Ersatz Thiago Motta sah nämlich seine zweite Gelbe Karte des Turniers und muss ebenfalls zuschauen. Rechtsaußen Antonio Candreva fehlt schon seit dem zweiten Gruppenspiel gegen Schweden und steht noch immer nicht zur Verfügung.

8. Italiens Beine

Mit 28,43 Jahren im Schnitt sind die Italiener das älteste noch verbliebene Team im Turnier, ins Auftaktspiel gegen Belgien schickten sie mal eben die älteste Startelf der EM-Geschichte, das Durchschnittsalter betrug 31,5 Jahre. Die alten Männer von Antonio Conte spulten in der Gruppenphase die meisten Kilometer aller Mannschaften ab. Gegen Spanien waren es 117,8 Kilometer, acht mehr als der Titelverteidiger. Kann das gut gehen? Nein, meint Michael Ballack bei "uefa.com": "Ich glaube nicht, dass die Italiener nochmal so einen Kraftakt abliefern können."

9. Thomas Müller

Im EM-Halbfinale 2012 brach Joachim Löw eine eiserne Regel, die da lautet: Müller spielt immer. In diesem Turnier schenkt er dem Münchner immer wieder das Vertrauen, obwohl der WM-Torschützenkönig von 2010 in nun neun EM-Spielen noch kein einziges Mal getroffen hat. Irgendwann muss dieser Mann einfach explodieren – warum nicht gegen Italien?

10. Deutschland hat einen Spion

Sami Khedira hat sich nicht nur von Spiel zu Spiel gesteigert bei dieser EM, der 29-Jährige verfügt auch über Spezialwissen: Er spielt bei Juventus Turin mit sechs italienischen Nationalspielern zusammen - und zwar auch mit dem besonders wichtigen Defensivblock aus Torwart Gianluigi Buffon und der Dreierkette Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini. Joachim Löw wird deswegen sicher das Gespräch mit Khedira suchen. "Er hat bestimmt Informationen, die ich nicht habe."

11. Neuer, Hummels, Boateng

Es geht ein bisschen unter, vielleicht weil der Härtetest erst am Samstag ansteht, aber die deutsche Mannschaft hat bislang noch keinen einzigen Gegentreffer im Turnier kassiert. Manuel Neuer musste erst sechs Paraden zeigen, war aber in den entscheidenden Momenten wie immer hellwach.

Mats Hummels mit 68 Prozent gewonnenen Zweikämpfen muss sich kaum hinter Giorgio Chiellini (72 Prozent) verstecken, und Jerome Boateng, nun ja, was fällt einem zum Abwehr-Chef noch ein? Vielleicht das, was Österreichs Ex-Nationaltrainer Josef Hickersberger bei "n-tv" sagte: "Jetzt fängt der auch noch mit Toreschießen an. Es könnte nicht besser laufen."

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