Bei der EM 2016 gehört Deutschland als amtierender Weltmeister zum Kreis der Titelanwärter. Aber Joachim Löw hat mit Verletzungen und Ausfällen zu kämpfen. Vor allem in der Abwehr muss er improvisieren. Vor dem Auftaktspiel am Sonntag gegen die Ukraine stellt sich die Frage: Wie stark ist das deutsche Team wirklich?

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Wenige Tage vor dem ersten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Ukraine gibt es viele Fragezeichen. Die prominenteste Baustelle, an der Joachim Löw zu werkeln hat, ist die Innenverteidigung.

Aber auch auf anderen Positionen ist längst nicht klar, wer beim Turnierstart die erste Wahl des Bundestrainers sein wird. Viel Zeit bleibt nicht mehr, weshalb sich viele Fans jetzt fragen, ob Deutschland – immerhin amtierender Weltmeister – trotzdem als Favorit in die EM geht.

Unbestritten ist Manuel Neuer im Tor. In der vergangenen Bundesliga-Saison kassierte der 30-Jährige gerade mal 16 Gegentore, 21 Mal hielt er seinen Kasten sauber – beide Werte sind Rekord. Eine Weltklasse-Leistung, die ohne eine gut eingespielte Abwehr nicht möglich gewesen wäre. Und genau da drückt beim DFB-Team der Schuh.

Wer spielt in der Viererkette?

Innenverteidiger Jerome Boateng ist der Dreh- und Angelpunkt der Defensive. Dabei vergessen viele, dass er beim FC Bayern in der Saison 2015/16 lange fehlte, zwischen Ende Januar und Ende April fiel er wegen eines Sehnenrisses aus. Erst am Saisonende kam er wieder zu zwei Einsätzen in der Liga, im DFB-Pokal-Finale gegen den BVB hielt er sogar die vollen 120 Minuten durch. Unterm Strich dürfte Boateng also fit sein, ideal verlief das EM-Jahr für ihn bislang jedoch nicht.

An Boatengs Seite soll Mats Hummels in der Innenverteidigung spielen. Wegen eines Muskelfaserrisses wird er aber voraussichtlich die ersten beiden Spiele verpassen. Sein Vertreter, Antonio Rüdiger, riss sich am Dienstag im Training das Kreuzband – EM-Aus! Löw nominierte sodann Jonathan Tah nach; der 20-Jährige macht den deutschen Kader im Schnitt zum jüngsten aller teilnehmenden Länder (25,8 Jahre).

Es gilt als unwahrscheinlich, dass Tah neben Boateng in die EM starten wird. Denkbar wären Einsätze von Shkodran Mustafi oder Benedikt Höwedes, auch Youngster Joshua Kimmich (21) wäre eine Option. Höwedes ist allerdings auch ein Kandidat für die rechte Abwehrseite, auf der Löw wegen des Umbaus der Hintermannschaft die Varianten ausgehen.

Nebenbei: Auch Höwedes fehlte dem FC Schalke 04 zwischen Januar und April wegen einer Muskelverletzung. Insgesamt bestritt er in der vergangenen Saison nur 15 Spiele, gerade mal drei davon im Jahr 2016. Einzig Linksverteidiger Jonas Hector hat eine weitgehend beschwerdefreie Saison gespielt.

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Kaum Spielraum in der Doppelsechs

Die Probleme setzen sich in der Doppelsechs fort. Sami Khedira, der zusammen mit Toni Kroos das deutsche Spiel steuern wird, machte für Juventus Turin nur 20 von 38 möglichen Spielen in der Serie A, häufig fiel er wegen kleinerer Verletzungen aus. Beim Test gegen Ungarn am vergangenen Samstag (2:0) spielte Khedira in der ersten Halbzeit, zur zweiten blieb er draußen, weil Löw weitere Spieler testete.

Bei Bastian Schweinsteiger reichte es nur für einen Einsatz in den letzten 20 Minuten des Testspiels. Er hat eine Seuchensaison in den Knochen; für Manchester United kam er wegen Verletzungen im rechten Knie im Jahr 2016 nur in sechs Spielen zum Einsatz, nur zweimal ging er über 90 Minuten. Wann er eine Option für die Mittelfeldzentrale wird, ist unklar. Da Ilkay Gündogan wegen einer Knie-OP nicht mit dabei ist, hat Löw in der Doppelsechs kaum Handlungsspielraum.

Immerhin: Die Dreierreihe im offensiven Mittelfeld gibt kaum Anlass zur Sorge. Mesut Özil im Zentrum ist fit und in Form, für den FC Arsenal gelangen ihm in der Liga sechs Tore und starke 19 Assists in 35 Spielen. Thomas Müller auf der rechten Seite könnte mit 32 Toren und zwölf Vorlagen in 49 Pflichtspielen kaum besser in Form sein.

Anders sieht es auf dem linken Flügel aus. Wegen der verletzungsbedingten Nichtnominierung von Marco Reus konkurrieren vor allem die Wolfsburger André Schürrle und Julian Draxler um den Platz in der Startelf – beide haben im Verein eine mittelmäßige Saison gespielt. Hauruck-Fußballer Lukas Podolski wird nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Mit 13 Toren und neun Vorlagen hat er bei Galatasaray Istanbul zwar eine starke Saison gespielt, jedoch ist das Niveau der türkischen Süper Lig nur bedingt mit dem der Topligen zu vergleichen.

Die Youngster könnten wichtig werden

Das betrifft auch Stürmer Mario Gomez. Für Besiktas schoss er in der Süper Lig in 33 Spielen 26 Tore, zudem bereitete er sechs Treffer vor. Hinzu kommen zwei Tore in der Europa League. Eine starke Ausbeute, die ihn in der Türkei zum Torschützenkönig machte. Kritiker bezweifeln jedoch, dass ihm das in England oder Deutschland auch gelungen wäre.

Zum Schluss ist Mario Götze, der vor allem gegen tief stehende Gegner stürmen könnte, beim FC Bayern nicht erste Wahl. Zwischen den Bundesliga-Spieltagen neun und 25 fehlte er wegen einer Adduktorenverletzung und des anschließenden Trainingsrückstands, sodass er in der Saison 2015/16 nur auf 21 teils kurze Einsätze in vier Wettbewerben kommt.

Die ersten Spiele werden zeigen, wie stark das DFB-Team wirklich ist. Möglich, dass die Youngster Kimmich, Weigl und Sané schon früh im Turnier zu Schlüsselspielern werden. So bleibt Deutschland auf dem Papier zwar einer der Favoriten. Allerdings einer mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn.

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