Bei der Europameisterschaft sind mit Luciano Spalletti, Ralf Rangnick und Domenico Tedesco drei Trainer mit ihren Teams früh ausgeschieden, die für ihre taktische Herangehensweise bekannt sind. Was damit zusammenhängen dürfte, dass die Anforderungen an einen Nationaltrainer andere als an einen Vereinstrainer sind.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nachdem der amtierende Europameister bereits im Achtelfinale die Segel streichen musste, war die Ernüchterung in Italien groß. Die "Squadra Azzurra" war beim 0:2 gegen die Schweiz chancenlos, den Eidgenossen in allen Belangen unterlegen.

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Für Trainerlegende Fabio Capello war der Schuldige schnell ausgemacht. Nationaltrainer Luciano Spalletti habe "nicht wie ein Auswahltrainer, sondern wie ein Vereinstrainer gedacht", kritisierte Capello in der von "kicker.de" zitierten "Gazzetta dello Sport". "Aber das sind zwei verschiedene Berufe".

Er habe den Verdacht, "dass Luciano ein hervorragender Coach ist, aber dass er sich als Nationaltrainer enorm verbessern muss", sagte Capello, der selbst auf eine lange Karriere als Vereins- und Nationaltrainer zurückblickt.

Spallettis Scheitern ist bei der Europameisterschaft in Deutschland allerdings kein Einzelfall. Mit Österreichs Ralf Rangnick und Belgiens Domenico Tedesco mussten zwei weitere Trainer, die als ausgewiesene "Taktikfüchse" gelten, früh die Heimreise antreten.

Ein Nationaltrainer hat deutlich weniger Zeit mit seinem Team als ein Vereinstrainer

Bei der EM lässt sich also der Trend beobachten, dass sich sogenannte Systemtrainer, die auf Vereinsebene sehr erfolgreich gearbeitet haben und sich durch ihre klaren taktischen Ideen und Spielweisen auszeichnen, schwertun.

Der Grund dafür dürfte tatsächlich das von Capello angeführte Argument sein, dass die Anforderungen an einen Nationaltrainer völlig andere sind als die, die an einen Vereinstrainer gestellt werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Faktor Zeit, der offensichtlich auch Spalletti und seinem Team zum Verhängnis wurde.

Schließlich hatte der sich für das Amt des italienischen Nationaltrainers mit herrlichem Offensivfußball empfohlen, mit dem er die SSC Neapel 2022/23 zur ersten Meisterschaft seit 33 Jahren geführt hatte. Im September übernahm der 65-Jährige dann die Nationalmannschaft mit dem Ziel, ein neues Spielsystem mit mehr Ballbesitz, kontrolliertem Spielaufbau und vertikalem Spiel in die Spitze zu etablieren.

Spallettis Neapel-System funktioniert nicht mit Italien

Während er in Neapel aber drei Jahre lang täglich mit seiner Mannschaft an seinen Vorstellungen von Fußball arbeiten konnte und Spiele im Wochenrhythmus hatte, sah er die Nationalspieler nur bei den wenigen Länderspielen in seiner bislang knapp neunmonatigen Amtszeit. Die kurze Vorbereitungszeit vor der EM reichte offensichtlich nicht, um das neue Spielsystem zu verinnerlichen.

"Wir wollten nicht nur dem Ball hinterherjagen. Diese Art von Fußball gefällt mir nicht, sie liegt mir nicht. Ich will nicht, dass sich der italienische Fußball in diese Richtung entwickelt", haderte Spalletti bereits auf der Pressekonferenz nach dem 0:1 gegen Spanien in der Gruppenphase.

Österreich fehlt der Plan B – und die Spieler dafür

Während Spalletti es also nicht geschafft hat, seine Spielidee umzusetzen, war der Fall bei Ralf Rangnick und Österreich anders gelagert. Rangnick verwandelte das ÖFB-Team in seiner nun seit etwas mehr als zwei Jahren andauernden Amtszeit in eine bestens organisierte Pressing-Maschine, die überfallartigen Umschaltfußball spielt, wie man ihn von RB-Mannschaften kennt. Mit diesem Fußball begeisterte Österreich in den ersten Spielen und gewann die starke Gruppe mit Frankreich, den Niederlanden und Polen.

Im Achtelfinale bekam es die Rangnick-Elf dann aber mit einem völlig anderen Gegner zu tun. Die Türkei ließ sich nicht auf einen offensiven Schlagabtausch ein, sondern setzte auf Kampfkraft und verteidigte leidenschaftlich.

Gegen einen solchen tief stehenden Gegner fehlte Österreich ein Plan B. Die Mannschaft rannte zwar immer wieder an, entwickelte trotz vieler Torschüsse aber zu wenig Torgefahr – auch wenn es letztlich natürlich Pech war, dass der türkische Torhüter Mert Günok mit einer sensationellen Parade in der Nachspielzeit eine Verlängerung verhinderte.

Der türkische Trainer Vincenzo Montella nutzte mit seinem Matchplan die Schwächen der Österreicher im Ballbesitz aus. Österreich fehlen Spieler, die eine tief stehende Abwehr mit einem Dribbling knacken oder mit langen Passfolgen auseinander spielen können, was Rangnicks Art zu spielen normalerweise kaschiert.

Ein Nationaltrainer muss mit den Spielern arbeiten, die zur Verfügung stehen

Auf Montellas Matchplan konnte Rangnick auch deshalb nicht ausreichend reagieren, weil er als Nationaltrainer eben mit den Spielern arbeiten muss, die für Österreich spielberechtigt sind. Was ein weiterer Grund dafür ist, warum sich die "Taktikfüchse" unter den EM-Trainer schwertun. Schließlich können sie nicht wie Vereinstrainer einfach die Spieler verpflichten, die zu ihrem System passen.

So gesehen war die Situation von Domenico Tedesco eigentlich komfortabel. Dem deutschen Coach steht mit Belgien ein vor allem in der Offensive hochkarätig besetzter Kader um Spielmacher Kevin De Bruyne zur Verfügung. Tedesco schaffte es mit seiner Taktik aber nicht, die offensiven Stärken seines Teams auszuspielen.

"Seine Entscheidungen waren zu umständlich, er hat es nicht einfach gehalten", kritisierte Ex-Nationalspieler Marc Degryse laut "Tagesspiegel" in der belgischen Tageszeitung "Het Laatste Nieuws". Zumindest fraglich erscheint auch, ob Tedesco es schaffte, für eine gute Stimmung im Team zu sorgen.

Der Trainer lieferte sich in den letzten Monaten einen öffentlich ausgetragenen Streit mit Thibaut Courtois, der Star-Torwart von Real Madrid reiste nicht mit zur EM. Für Fabio Capello ist das Klima in der Mannschaft aber ein entscheidender Punkt. "Die erste Aufgabe eines Nationaltrainers ist es, einen gemeinsamen Geist zu schaffen, der existenziell ist, wenn es darum geht, einen Meter mehr zu machen, um dem Teamkollegen zu helfen", sagte der Italiener.

Julian Nagelsmann ist die Ausnahme bei dieser EM

Wie es funktionieren kann, hat Julian Nagelsmann bewiesen. Der Bundestrainer ist ähnlich lange im Amt wie Luciano Spalletti, er schaffte es aber, Deutschland zurück in den Kreis der besten acht Mannschaften Europas zu führen.

Vermutlich auch, weil er seine Ansprüche heruntergeschraubt hat. Nagelsmann lässt deutlich weniger rotieren, als er es noch als Vereinstrainer tat. Er setzt auf Kontinuität statt auf ständige Taktikwechsel. "Generell glaube ich, dass es wichtig ist auf Nationalmannschaftsebene, dass der Rhythmus beibehalten wird. Wir haben nicht so viel Trainingszeit gemeinsam", sagte Nagelsmann vor dem Spiel gegen die Schweiz. Fabio Capello würde ihm sicherlich zustimmen.

Verwendete Quellen:

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