- Nationalspielerin Marina Hegering ist rechtzeitig für die Europameisterschaft in England wieder fit.
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über das anstehende Turnier, ihre Zukunft und die Entwicklung des Fußballs der Frauen insgesamt.
Beinahe hätte
Außerdem erklärt sie ihre Entscheidung, in der kommenden Saison für den VfL Wolfsburg aufzulaufen und was Eintracht Frankfurt ihrer Ansicht nach besonders gut macht.
Sie sind jetzt das erste Mal seit November wieder beim DFB dabei, weil Sie durch verschiedene gesundheitliche Probleme lange passen mussten. Wie geht es Ihnen und wie fit fühlen Sie sich?
Marina Hegering: Ich fühle mich gut und konnte seit Mitte April wieder voll trainieren. Ich bin natürlich noch nicht bei 100 Prozent, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es okay.
"Wir werden im Trainingslager genau hinschauen, was sie noch braucht", sagte Bundestrainerin
Es ist immer Ansichtssache, wann und wie man 100 Prozent erreicht hat. Wenn man sich gut fühlt, ist man auch bereit dazu, über Grenzen zu gehen. Aber wenn ich mich nicht gut fühlen würde und nicht das Gefühl hätte, der Mannschaft weiterhelfen zu können, wäre ich da auch sehr ehrlich. Nach bisher recht wenigen Trainingseinheiten ist es schwer zu sagen, wie ich mich im Team einordnen kann. Ich habe zuletzt beim FC Bayern in der zweiten Mannschaft gespielt und mich da sehr wohlgefühlt, aber das Niveau ist dort ein bisschen anders. Mit den ersten Einheiten bin ich aber zufrieden, obwohl ich schon noch den einen oder anderen Punkt habe, wo ich sage, dass ich noch ein bisschen Sicherheit brauche. Das sind aber alles Dinge, die ich bis zur EM noch erreichen kann.
Marina Hegering: "Ich habe eine verantwortungsvolle Rolle"
Sie sprechen an, dass Sie noch nicht wissen, wo Sie sich einordnen. Welche Rolle im Team erwarten Sie von sich selbst?
Ich habe schon eine verantwortungsvolle Rolle, weil ich zu den älteren und erfahreneren Spielerinnen gehöre und versuche, meinen Input an das Team zu geben und präsent zu sein. Gerade, weil wir auch viele jüngere Spielerinnen dabeihaben.
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer zu sagen, weil alle aus einer Urlaubsphase kommen und sich erstmal wieder an die Kugel gewöhnen müssen. Die ersten Trainingseinheiten braucht es erstmal, um wieder reinzukommen in die Abläufe und den Spielrhythmus. Dass wir aber ein Riesenpotenzial in der Mannschaft haben, ist klar. Wir haben Spaß im Training, wir lachen viel zusammen und die Stimmung ist schon mal gut. Das ist eine richtig gute Voraussetzung.
Deutschland spielt, anders als andere Nationen, nur ein öffentliches Testspiel. Ist das mit Blick auf die Herausforderungen im Teambuilding nicht etwas wenig?
Man kann zu viel und zu wenig machen, das weiß man immer erst hinterher. Wichtig ist, dass man an den Abläufen arbeitet, die noch nicht funktionieren und das intern kommuniziert. Es wird am Ende daran liegen, inwiefern wir es hinbekommen, zu identifizieren, wo wir noch Entwicklungspotenzial haben und dann optimieren. Ich glaube, dass man im Training sehr viel erarbeiten kann. Da holt man sich die Sicherheit und das Testspiel werden wir dazu nutzen, uns in den Abläufen zu festigen gegen einen guten Gegner unter Wettkampfbedingungen. Ob ein weiteres Spiel am Ende den entscheidenden Unterschied bringt, ist fraglich. Den Spielrhythmus können wir uns mit unserem großen Kader auch im Training holen.
Hegering: "Wir sind Deutschland un haben einen gewissen Anspruch an uns"
Im Vorfeld der EM war bei den Spielerinnen und auch bei der Bundestrainerin etwas Unsicherheit zu spüren. Man weiß nicht so richtig, wo man selbst steht. Mit welchen Erwartungen und welcher Zielsetzung gehen Sie in das Turnier?
Ich würde das gar nicht als Unsicherheit bezeichnen, aber die Erwartungen sind natürlich immer groß. Wir sind Deutschland und es ist klar, dass man da einen gewissen Anspruch an sich selbst hat. Natürlich wollen wir optimal performen und mit Blick auf die letzten beiden Turniere ein besseres Ergebnis erzielen.
International hat sich der Fußball der Frauen in den letzten Jahren enorm entwickelt, die Europameisterschaft in England könnte eines der größten Turniere der Geschichte werden. Spüren Sie diesen Aufbruch auch in Deutschland?
(Überlegt etwas) Ich finde, es tut sich auf jeden Fall etwas in Deutschland, aber ich kann jetzt nicht sagen, dass es eine riesige Aufbruchstimmung gibt. Dass da eine stetige Weiterentwicklung ist, das spürt man schon, meiner Meinung nach dürfte es aber auch ein bisschen schneller gehen. Allerdings hat uns Corona ein bisschen den Fuß vom Gas genommen. Ich glaube, die Entwicklung geht in die absolut richtige Richtung, nur wird es noch seine Zeit dauern. Die richtigen Ideen und Ansätze sind da, beispielsweise in Frankfurt, wo der FFC mit der Eintracht fusioniert hat. Es war cool zu sehen und mitzuerleben, dass sie es geschafft haben, sich für die Champions League zu qualifizieren und dass sie auch bei den Männern dabei waren. Sie wurden so integriert, wie es sein soll und wie man es sich wünscht. Wenn man die Mädels fragt, freuen sie sich und sind stolz darauf, bei der Eintracht zu spielen und das ist cool. Das ist etwas, wo man hinkommen muss, gemeinsam den Fußball in einem Verein zu leben. Da dürfen gern noch einige nachziehen.
Wie wichtig ist ein positives Abschneiden der DFB-Auswahl im Kontext der Gesamtentwicklung?
Das ist immer wichtig. Wenn du erfolgreich bist, reißt das mit und bringt immer Rückenwind. Deshalb stehen wir sehr in der Verantwortung, ein bisschen Schwung in die Sache zu bringen. Am Ende hast du mehr Argumente, wenn du ein gutes Ergebnis erzielst.
Spürt das Team einen besonderen Druck, weil ein frühes Ausscheiden diese Entwicklung ausbremsen könnte oder beflügelt das sogar?
Es ist auch unser eigener Anspruch. Dafür sind auch alle hier viel zu motiviert, als dass da eine nicht Vollgas geben will. Für uns ist das etwas, was wir zusätzlich erreichen können. Neben dem eigentlichen Erfolg mit der Mannschaft können wir etwas bewegen und das ist natürlich cool und macht Spaß. Deshalb ist es eher beflügelnd, aber es nimmt keinen Rieseneinfluss. Ich gehe nicht aufs Feld und denke mir: 'Okay, ich arbeite jetzt an der Zukunft des Frauenfußballs.' Ich gehe aufs Feld, weil ich mit dem Team Fußball spielen will, Bock darauf habe und gewinnen will. Der Rest ist ein Add-on.
"Es gibt einen guten Austausch zwischen den Trainerteams der Männer und Frauen"
Gegen England liefen die Männer des DFB in den Trikots der Frauen auf. Wie wichtig sind solche kleinen Synergieeffekte für die weitere Entwicklung und wie kann man diese auf größerer Ebene noch verstärken?
Ich fand das total cool und anhand solcher Aktionen sieht man, dass die Welten nicht mehr allzu weit auseinander liegen. Es gibt auch einen guten Austausch zwischen den Trainerteams der Männer und Frauen. Da müssen wir hinkommen, dass es nicht das Eine oder das Andere ist, sondern dass wir gemeinsam etwas erreichen können und wir zusammen der DFB sind. Natürlich muss man immer ein Stück weit differenzieren und den Fokus auf die Mannschaft legen, die ihn gerade braucht. Jetzt sind wir halt im Sommer dran. Es ist auch gut, dass die Männer diesen Sommer nicht die WM spielen. Wenn das parallel laufen würde, dann wäre die Aufmerksamkeit natürlich bei den Männern. Wir brauchen die Sichtbarkeit, die mediale Präsenz und da ist das Alleinstellungsmerkmal in diesem Sommer wichtig. Anders kriegst du es nicht hin, dass wir mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Auf Klublevel geht Ihre Karriere beim VfL Wolfsburg weiter. Wie sieht Ihre Zukunft beim DFB aus, gibt es da schon Pläne?
Da haben wir noch gar nicht konkret drüber gesprochen. Der Fokus steht jetzt erstmal auf dem Turnier und der Vorbereitung. Was darüber hinaus passiert, sehen wir dann.
Am Wochenende haben Sie mit der Zweitvertretung ihr letztes Spiel im Trikot des FC Bayern München absolviert. Mit welchen Gefühlen sind sie in Richtung Nationalelf abgereist?
Es war total komisch. Aber dadurch, dass es so schnell ging, hatte ich noch keine Zeit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Das Spiel war zu Ende und wir haben die Saison noch gemütlich zusammen ausklingen lassen und dann musste ich aber auch schon nach Hause, Koffer packen, schlafen und los. Da bist du mit dem Fokus auch direkt wieder bei der Nationalmannschaft und freust dich darauf. Ich hatte jetzt nicht viel Zeit für Traurigkeit (lacht). Es war anders, als unsere Erstligasaison Mitte Mai zu Ende ging und klar war, dass ich die Mädels jetzt erstmal nicht mehr sehe. Man hat ja auch Freundschaften geschlossen und da ist dann ein weinendes Auge dabei. Auf der anderen Seite freue ich mich auch auf die neue Saison im neuen Klub.
Dann werden Sie beim VfL Wolfsburg spielen. Was waren Ihre Beweggründe für den Wechsel?
Die haben mir perspektivisch gesehen ein sehr gutes Angebot gemacht. Ich habe ja zwei Jahre sportlich unterschrieben und zwei Jahre darüber hinaus, um im Trainer-Bereich im Verein Fuß zu fassen und das war für mich ein sehr attraktives Gesamtpaket.
Hat Ihnen der FC Bayern ein solches Angebot nicht unterbreitet?
Nein, so ein Angebot gab es nicht.
"Bei den Klubs der ersten Liga brauchst du ein Gehalt, von dem du leben kannst"
Bei den Bayern waren Sie erstmals Vollzeitprofi. Zuvor spielten Sie zwar Bundesliga, arbeiteten aber nebenher in einem Bauunternehmen. Was muss sich im deutschen Fußball verändern, dass sich die Hegerings der Zukunft auf den Leistungssport fokussieren können?
... dass du überall Profibedingungen schaffst! Gerade bei den Klubs der ersten Liga brauchst du ein Gehalt, von dem du leben kannst, ohne dass du noch nebenher arbeiten musst. Das sollte möglich sein, finde ich. Dann hast du auch sportlich gesehen ähnliche Bedingungen. Du wirst nie exakt für alle Vereine die gleichen Bedingungen haben, aber du kannst sie ein Stück weit annähern. Das sollte das Ziel sein. Aktuell ist es so, dass du drei, vielleicht vier Klubs hast, wo du hauptsächlich oder teilweise Profispielerinnen hast – der Rest in der Liga ist halt irgendwie noch nebenher beschäftigt. Darunter leidet dann die Qualität und die Fitness der Spielerinnen. Manche können mehr trainieren und sind dadurch ganz anders belastbar.
Sie wechselten damals von der SGS Essen nach München. Eine Lösung zur Professionalisierung der Bundesliga ist die Übernahme von im Männerbereich erfolgreichen und finanzstarken Klubs. Dabei bleiben Klubs wie Essen oder der SC Sand auf der Strecke. Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Teams vor einem drohenden Absturz zu retten?
Das wird super schwer, wenn du keinen starken Verein hinter dir hast, der dich mit diesen Rahmenbedingungen unterstützen kann, der dir die gleichen Strukturen bietet wie den Männern. Bei den kleineren Vereinen wie Sand oder Essen ist es so, dass sie diese Strukturen erst aufbauen müssen. In Essen wurde da in den vergangenen Jahren sehr viel für getan, aber die SGS ist halt immer noch ein kleiner Klub. Wenn die anderen Klubs aufholen, kann es passieren, dass die Großen die Kleinen relativ zügig überholen. Dort müssen eben keine neuen Strukturen geschaffen werden. Leider wird es dann für kleinere Klubs, die schon lange in der Bundesliga sind, echt schwer. Es war bei Essen in dieser Saison schon knapp und das ist schade, weil ich den Verein kenne und ich weiß, dass die Leute dort sehr viel Arbeit und Herzblut investieren. Aber teilweise sind denen eben die Hände gebunden und das ist traurig.
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