Nach einem schwierigen Jahr sind die deutschen Skispringer zurück in der Weltspitze. Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher erklärt, wie er die bisherige Saisonleistung beurteilt und wie die Skispringer mit dem derzeitigen Reisestress im Weltcup umgehen.

Ein Interview

Herr Horngacher, zuletzt sprangen Ihre Athleten in Lake Placid, danach ging der Weltcup im fast 10.000 Kilometer entfernten Sapporo in Japan weiter. Wie schwierig ist die Reiserei, für Sie und die Athleten?

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Es ist schon aufwändig - vom Weltcup-Auftakt in Finnland über die Vierschanzentournee bis hin zur zehntägigen Polen-Tour, dann die Skiflug-WM, das Heimspringen in Willingen und jetzt die USA mit Lake Placid und Japan mit Sapporo. Für die Springer ist es auch schwierig, sie könnten zwar Wettbewerbe auslassen, aber verlieren natürlich die Chance auf Weltcup-Punkte. Generell aber sind sie darauf eingestellt, haben gut trainiert und das Springen macht ihnen Spaß.

Wie sieht das Training bei einem solch engen Zeitplan aus?

Wenn wir zuhause sind, konzentrieren wir uns meistens auf Kraft- oder Beweglichkeitstraining. Nur im Ausnahmefall, wenn die Schanze in Oberstdorf nutzbar ist, springen wir auch. Aber zu 90 Prozent wird zwischen den Wettkämpfen eigentlich nicht gesprungen.

Gibt es noch die Möglichkeit, an Dingen wie der Technik zu arbeiten? Oder geht es eher nach dem Motto: "Ruht euch aus und bleibt fit?"

Regeneration und Training müssen gut aufeinander abgestimmt sein. Ein bisschen kann man schon noch auf die Technik einwirken, auch im Kraftraum und bei Imitationen. Aber wichtiger ist meistens, dass man nach dem Wettbewerb mental wieder runterkommt. Der Kopf ist schwieriger zu regenerieren als der Körper.

Horngacher ist mit bisherigen Leistungen zufrieden

Nach einer schwierigen Saison 2022/23 sind die deutschen Skispringer in diesem Winter wieder ganz vorne mit dabei. Wie zufrieden sind sie mit dem bisherigen Weltcup-Verlauf?

Wir können im Team schon stolz auf die bisherigen Leistungen sein. Wir waren nur drei Mal nicht bei der Siegerehrung dabei, im Nationalteam haben wir mittlerweile fünf Athleten, die schon auf dem Podest standen. Dazu kommt ein zweiter Platz bei der Vierschanzentournee und zwei Medaillen bei der Skiflug-WM. Klar ist es immer ein Auf und Ab, aber die Mannschaft ist extrem stark und leistet sich wenige Schwächephasen. Wir hoffen, dass es so weitergeht und wir vielleicht sogar noch ein bisschen mehr Gas geben können. Die Substanz bei den Athleten ist gerade sehr gut und das Trainer- und Betreuerteam ist hoch motiviert.

Wie viel Anteil hat man als Trainer an einem solchen Aufschwung?

Es liegt nicht nur an mir, ich habe ja auch mehrere Co-Trainer und ein ganzes Team hinter mir. Natürlich muss irgendjemand letztlich die - meist schwierigen - Entscheidungen fällen. Das bin in diesem Fall ich. Aber wir tauschen uns im gesamten Team regelmäßig aus, legen großen Wert auf eine offene und klare Kommunikation.

An welchen Stellschrauben haben Sie gedreht?

Wir haben uns nach der vergangenen Saison ein paar Dinge überlegt, die wir anders machen können. Zunächst haben wir uns im Trainerbereich neu formiert, haben damit auch die Betreuung an den Heim-Stützpunkten der Athleten besser abdecken können. Wir haben in der Vorbereitung später begonnen, uns zu spezialisieren und stattdessen bis September mehr ein allgemeines Training absolviert. Dann auch individuelles Training: Einige sprangen mehr, andere weniger. Wir wollten die Belastung besser steuern, da die Saison sehr lang ist. Das hat uns, glaube ich, wirklich geholfen. Außerdem haben wir eine gute Dynamik im Team, sowohl im A-Kader als auch im B-Kader und C-Kader. Die Sportler sorgen regelmäßig für Impulse und erhalten das Prinzip Leistung am Leben. Darüber hinaus profitiert das gesamte System von Werner Schuster als Nachwuchschef, mit dem ich mich regelmäßig austausche.

Stefan Horngacher

  • In seiner aktiven Zeit maß sich der Österreicher Stefan Horngacher mit deutschen Skisprung-Legenden wie Martin Schmitt und Sven Hannawald. Mittlerweile hat er seinen Lebensmittelpunkt nach Deutschland, genauer gesagt in den Schwarzwald verlegt, und auch sportlich die Seiten gewechselt: Seit 2019 ist er als Trainer der deutschen Skiadler aktiv. Wie lange er es noch bleibt, ist fraglich: Denn der in diesem Jahr auslaufende Vertrag wurde noch nicht verlängert.

Wenn Sie sagen, die Team-Chemie stimmt: Unterstützen sich die Athleten im Team auch gegenseitig?

Sicher freut sich jeder über den anderen, wenn er eine gute Leistung abliefert. Aber in der letzten Konsequenz sind sie auch Konkurrenten. Es ist eine Mischung aus gesunder Rivalität und Freude für den anderen, wenn er gut springt. Gerade funktioniert das besonders gut: Jeder gönnt dem anderen den Erfolg, kämpft aber trotzdem auch für sich selbst.

Von Pius Paschke ist Stefan Horngacher besonders überrascht

Es gibt mehrere deutsche Springer, die in diesem Jahr einen Aufschwung erlebten. Wer hat Sie am meisten überrascht?

Da muss ich Pius Paschke nennen, speziell mit seinen Leistungen am Anfang der Saison. Er ist zum ersten Mal aufs Podest gesprungen, hat seinen ersten Sieg gefeiert und dann nochmal einen Podestplatz geholt. Dass er so einen Schritt nach vorne macht, hatten wir nicht erwartet - in seinem Alter hat das wahrscheinlich noch nie einer in der Form geschafft. Aber Pius ist ein Kämpfer, der immer weitermacht, niemals aufgibt. Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es steckt viel Arbeit dahinter.

In Lake Placid sorgte zuletzt Philipp Raimund mit einem Wahnsinnssprung für Aufsehen...

Mit seiner Leistung in den USA bin ich richtig zufrieden, gerade weil ich weiß, was er eigentlich kann. Er hatte dieses Jahr noch nicht richtig gezeigt, was in ihm steckt. Jetzt musste er bis in die USA fliegen, um endlich mal sein Potenzial voll auszuschöpfen (lacht).

Bleibt noch Andreas Wellinger, der in dieser Saison zu den absoluten Topspringern gehört. Was macht er in dieser Saison richtig, das davor vielleicht noch gefehlt hat?

Er war auch im vergangenen Jahr schon gut dabei, aber noch nicht so stabil, wie es sein muss. Das ist dieses Jahr anders. Seine Knieverletzung 2019 war ein großer Einschnitt, für einen Skispringer ist so etwas nicht einfach. Es gibt ganz wenige Sportler, die nach so einer Knieverletzung nochmal im Weltcup gewonnen haben - oder sich überhaupt wieder so an die Spitze zurückgekämpft haben wie Andi. Da braucht es viel Geduld und Kraft, da kann man nur den Hut ziehen.

"Gegen Kraft zu bestehen, ist natürlich unheimlich schwierig. Dennoch: Wir geben nicht auf."

Stefan Horngacher über die Chancen von Andreas Wellinger auf den Gesamtweltcup-Sieg

Kann er diese Saison noch auf den Gesamtweltcup-Sieg schielen?

Sagen wir so, es ist nicht unmöglich. Stefan Kraft springt auf einem hohen Niveau, aber auch ihm sind in den letzten Weltcups Fehler unterlaufen. Wenn wir diese Situation nutzen können, ist alles drin. Aber gegen Kraft zu bestehen, ist natürlich unheimlich schwierig. Dennoch: Wir geben nicht auf.

Aber auch der zweite oder dritte Platz wäre für Sie ein Erfolg?

Definitiv. Wenn du über eine ganze Weltcup-Saison unter den besten drei bist, dann gehörst du zu den Top-Skispringern der Welt. Und das sind Kraft, Wellinger und Kobayashi, sie haben sich vom Rest des Feldes abgesetzt. Wenn du Teil dieser Elite bist, kannst du nur zufrieden sein. Ob man dann am Ende auch gewinnt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab.

Horngacher hofft bei Skiflug-Wettbewerben auf Karl Geiger

Zum Ende der Weltcup-Saison warten auf die Springer wieder einige Skiflug-Wettbewerbe. Kommen diese Wettbewerbe dem deutschen Team zugute?

Beim Skifliegen gibt es immer ein paar Spezialisten, die bei anderen Weltcups eher im Hintergrund agieren. Aber auch wir haben mit Karl Geiger einen Skiflug-Wettmeister in unserer Mannschaft. Und in Oberstdorf kommt die nationale Gruppe hinzu, vielleicht kommt auch von dort jemand, der ein paar weite Sprünge herauszaubert. Wir haben schon bei der Skiflug-WM in Bad Mitterndorf bewiesen, dass wir eine gute Skiflugnation sind. Die Schanze in Oberstdorf liegt uns ganz gut. Und die Jungs lieben das Skifliegen, wie eigentlich jeder Skispringer. Ich bin überzeugt, dass wir beim Skifliegen wieder gut abschneiden werden.

"Er war in den letzten vier Jahren mehr oder weniger der Retter der Skisprung-Nation."

Stefan Horngacher über Karl Geiger

Sie haben Karl Geiger erwähnt, der aktuell nur drittbester deutscher Springer ist. Sind die Wettbewerbe für ihn eine Chance, sich auszuzeichnen?

Für Karl ist es nicht ganz so gelaufen, wie er sich das erhofft hat. Aber man muss auch sehen: Er war in den letzten vier Jahren mehr oder weniger der Retter der Skisprung-Nation, ist im deutschen Team immer vorneweg gesprungen und hat den anderen den Rücken freigehalten. Irgendwann schwinden dann ein bisschen die Kräfte und man muss wieder neuen Schwung holen, um ganz vorne zu sein. Diese Saison ist er immer noch gut dabei, nur nicht so weit vorne, wie man das von ihm gewohnt ist. Aber das ist nicht tragisch. Und es kann durchaus sein, dass beim Skifliegen der Knoten platzt.

Ihr Vertrag läuft im Sommer 2024 aus. Wissen Sie schon, ob Sie danach weiter deutscher Skisprung-Nationaltrainer sind?

Nein, es ist noch alles offen. Ich denke, wir werden uns in den nächsten Wochen definitiv mal an den Tisch setzen. Und dann schauen wir, wie es weitergeht.


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