Das politische Berlin sortiert die großen Personalien. Neben den Kanzlerkandidaturen rückt auch das höchste Amt im Staate in den Fokus. Es gibt spannende Optionen für die Neuwahl des Bundespräsidenten - oder der Bundespräsidentin. Die Wahrscheinlichkeit, dass erstmals eine Frau ins Schloss Bellevue einzieht, steigt.

Eine Kolumne
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier startet ins letzte Jahr seiner Amtszeit. Er macht keine herausragende, aber eine gute Figur. Die Bundesrepublik hatte kulturprägende Staatsoberhäupter wie Theodor Heuss, sie erlebte grandiose Redner wie Richard von Weizsäcker oder Joachim Gauck, es gab unglückliche wie Heinrich Lübke oder Horst Köhler und sogar tragische wie Christian Wulff.

Steinmeier gehört zur positiven Kategorie der Respektablen wie Walter Scheel, Karl Carstens, Johannes Rau oder Roman Herzog. Ihm fehlt eigentlich nur noch eine erinnerbare Markierung. Herzog war der Ruck-Redner, Rau der große Umarmer, Gauck der Freiheitsprediger. Was bleibt von Steinmeier? Vielleicht wird er in der Pandemie noch der Tröster einer verwundeten Nation.

Er hat noch ein Jahr Zeit für die finale Profilierung. Dann endet seine Amtszeit, und in Berlin hat die Debatte um das Amt ab 2022 begonnen. Soll er verlängert werden? Wer wäre die Alternative? Ursula von der Leyen wäre infrage gekommen, die ist aber inzwischen EU-Kommissionspräsidentin geworden. In den Berliner Machtzirkeln hört man daher folgende Optionen.

Option Frank-Walter Steinmeier

Auf den ersten Blick spricht manches dafür, Frank-Walter Steinmeier kurzerhand in eine zweite Amtszeit zu verlängern. Andererseits wäre er zum Zweitrundenstart bereits 66 Jahre alt, und die politische Neusortierung der Republik mit den anstehenden Bundestagswahlen macht eine Wiederwahl unwägbar.

Die SPD steht zwar geschlossen hinter ihm, doch falls die Partei der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören sollte (wofür nach derzeitigen Umfragen einiges spricht), dann dürften die Tage von Steinmeier gezählt sein. Denn bei der Union und den Grünen wird bereits offen eine Frau für das oberste Amt im Staate gefordert. Alle bisherigen zwölf Bundespräsidenten waren betagte Herren.

Nach Lage der Mehrheitsdinge dürften CDU/CSU die erste Bundespräsidentin stellen. Es sei denn, es kommt zu schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen, die Grünen reklamieren das Amt für sich und trotzen es der Union ab. Beide Parteien haben präsidiale Frauen mit hoher politischer Erfahrung in ihren Reihen. Die Chancen für Steinmeier sinken also, je wahrscheinlicher eine neue schwarz-grüne Regierung kommt.

Wahrscheinlichkeit für Steinmeier II: 20 Prozent

Option Annegret Kramp-Karrenbauer

Als ehemalige Ministerpräsidentin, CDU-Parteivorsitzende und Verteidigungsministerin bringt Annegret Kramp-Karrenbauer alle Erfahrung für das höchste Amt mit - ein ausgleichendes Naturell und eine mittig-mehrheitsfähige Positionierung gleich dazu. AKK genießt wegen ihrer Geradlinigkeit und Konzilianz überparteilich hohes Ansehen.

Andererseits wird Kramp-Karrenbauer zugleich in Brüssel als nächste Nato-Generalsekretärin gehandelt. Als Saarländerin wäre ihr Weg nach Brüssel kürzer als der nach Berlin. Ihren Verfechtern in Brüssel gilt sie als verlässliche Nato-Verbündete, ihre ruhig-professionelle Arbeit als Verteidigungsministerin werde "international geschätzt". Sie könne die Interessengegensätze der Mitglieder gut überbrücken.

Zudem sei Deutschland (neben den USA und Großbritannien der drittgrößte Verteidigungsinvestor der Nato) ein Schlüssel für eine neue Nato der Zukunft. Mit einer deutschen Generalsekretärin würden auch die Chancen steigen, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben endlich auf das vereinbarte Maß erhöht. Kurzum - der Ruf aus Brüssel ist ziemlich laut.

Wahrscheinlichkeit für eine Bundespräsidentin AKK: 20 Prozent

Option Julia Klöckner

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner gehört zu den mächtigsten Frauen der Union - sie ist seit einem knappen Jahrzehnt stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und hat auf dem jüngsten Parteitag das zweitbeste Ergebnis der fünf Stellvertreter erzielt. Da Merkel abtritt, von der Leyen nach Brüssel gegangen ist und AKK für die Nato im Gespräch ist, gilt Klöckner als die Schlüssel-Politikerin der CDU-Zukunft.

In dieser Rolle hat sie den letzten Weltfrauentag dazu genutzt, für die CDU eine explizite Positionierung in der Präsidenten-Personalie vorzunehmen. Aus Sicht der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden "ist es an der Zeit", dass Deutschland ein weibliches Staatsoberhaupt bekommt.

Wörtlich ließ sie vermelden: "Dass es in all den Jahren noch keine Frau als Bundespräsidentin in Deutschland gegeben hat, finde ich befremdlich. Es wird Zeit für ein Stück Normalität auch im höchsten Amt." Das Argument ist stark, und aus der Führung der CDU hört man seither allgemeine Zustimmung, denn damit wird geschickt klargestellt, dass man keine Wiederwahl Frank-Walter Steinmeiers will.

Mit der Forderung nach einer Frau muss Steinmeier nicht einmal kritisiert werden, es müsse halt nur endlich eine Frau ins Amt. Da die CDU in der Bundesversammlung ihre Position gegenüber der SPD relativ verbessert hat (und mit den anstehenden Wahlen sehr wahrscheinlich weiter verbessern wird), dürfte der nächste Bundespräsident oder die nächste Bundespräsidentin mit steigender Wahrscheinlichkeit aus den Reihen der Union kommen.

Geschickt öffnet Klöckner damit auch eine Tür für ihre eigene Karriereperspektive auf Schloss Bellevue. Klöckner im Präsidialamt würde die Stimmung schlagartig heben. Ihre Konzilianz und ihre pfälzische Frohnatur hat selbst der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hoch gelobt.

Sie gilt zudem als schlagfertige Rednerin und verfügt über ein breites Bildungsfundament. Sie hat neben Politikwissenschaften auch Theologie und Pädagogik studiert und ist Mitglied im Zentralkommitee der Katholiken. Kurzum - sie steht im Kandidatinnenkreis.

Doch Klöckner ist erst Jahrgang 1972 und eigentlich zu jung für das höchste Amt. Doch sie kann warten. Sie wäre auch in fünf oder zehn oder fünfzehn Jahren eine gute Kandidatin - zum Beispiel, falls Steinmeier jetzt doch noch einmal verlängert wird.

Wahrscheinlichkeit für eine Bundespräsidentin Klöckner 2022: 10 Prozent

Option Ilse Aigner

Ilse Aigner hat eine langjährige Reputation als verlässliche Spitzenpolitikerin, Bundes- wie Landesministerin. Sie ist beliebte Präsidentin des Bayerischen Landtags und damit so etwas wie die gefühlte Präsidentin der Bayern. Sie trainiert gewissermaßen schon.

Ilse Aigner hat sich aus den Kabalen und Machtkämpfen von CDU und CSU in den vergangenen Jahren bewusst herausgehalten. Sie hat den Männern die Ränke überlassen und im entscheidenden Moment sogar auf den Zugriff auf das Amt der Ministerpräsidentin oder CSU-Vorsitzenden verzichtet.

Machtpolitiker alten Schlags hielten Aigner darum für zu weich, die Mehrheit der Bevölkerung hielt sie hingegen für zu anständig. Das könnte ihr nun helfen. Aigner verfügt über hohe Integrität sowie Geländegängigkeit - und sie ist in ihrem ganzen Naturell präsidial und ausgleichend. Aigners Chancen sind insbesondere dann hoch, wenn Markus Söder nicht Kanzlerkandidat der Union werden sollte.

Dann hätte die CSU nach Markus Weber in der EU-Ratspräsidentschaft zweimal zurückgesteckt und das informelle Recht, nun wenigstens das Bundespräsidentenamt zu besetzen. Ilse Aigner wäre damit nicht nur die erste Frau im Schloss Bellevue, sondern auch die erste CSU-Vertretung im höchsten Amt. Der CSU ist zuzutrauen, dass sie diese Personalie bei den nächsten Koalitionsverhandlungen als eine offensive Forderung einbringt.

Wahrscheinlichkeit für eine Bundespräsidentin Aigner: 25 Prozent

Option Katrin Göring-Eckardt

Kommt es im Herbst zu einer schwarz-grünen Bundesregierung, haben auch die Grünen ein gewichtiges Wort mitzureden. Ihre Machtstellung in der Bundesversammlung ist allerdings deutlich kleiner als die der Union. Gleichwohl könnte das Bundespräsidentenamt ein Symbolthema der Koalitionsverhandlungen werden.

Sollten die Grünen das einfordern und durchsetzen, dann hieße die natürliche Kandidatin Katrin Göring-Eckardt. Die Ostdeutsche war von 2005 bis 2013 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags sowie Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende der Grünen. Sie gilt als bürgerliche Grüne und damit anschlussfähig an die Union.

Dabei spielt auch ihre religiöse Bindung eine Rolle. Katrin Göring-Eckardt war von 2009 bis 2013 Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, was ihr bei manchem Christdemokraten Sympathien einbringt. Für ihre Chancen wird es wichtig, dass sie im Bundestagswahlkampf die Union nicht allzu hart attackiert, sondern schon als schwarz-grün-präsidiale Brückenbauerin kommuniziert. Die Frage, ob sie das Amt gerne annehmen würden, verneint sie jedenfalls nicht mehr.

Wahrscheinlichkeit für eine Bundespräsidentin Göring-Eckardt: 25 Prozent

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