Bund und Länder haben neue Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie beschlossen. Im Anschluss hagelt es Kritik an den Entscheidungen. Wie kann das sein?

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Wenn 17 Entscheider an einem Tisch sitzen, gibt es oft ebenso viele unterschiedliche Meinungen. So ähnlich dürfte es auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz zur Corona-Pandemie gewesen sein, zu der Angela Merkel (CDU) am Mittwoch ins Kanzleramt geladen hatte.

Zwar hatten sich nach stundenlangen Verhandlungen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten auf einheitliche Regeln für Städte und Regionen mit hohen Infektionszahlen geeinigt. Dazu gehören eine Ausweitung der Maskenpflicht, eine Begrenzung der Gästezahl bei privaten Feiern, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und eine Sperrstunde für die Gastronomie.

Aber im Nachhinein meckern die Beteiligten fast unisono über die Beschlüsse, die einstimmig beschlossen wurden. Einige Bundesländer haben sogar bereits reagiert – und teils viel strengere Maßnahmen eingeführt. Was steckt dahinter?

Kanzlerin Merkel wünscht sich strengere Maßnahmen

Besonders unzufrieden war die Kanzlerin selbst. Sie verhehlte nicht, dass ihr das Ergebnis zu kurz griff. Angesichts der massiv steigenden Corona-Zahlen hätte sie sich strengere Maßnahmen gewünscht. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ging es ähnlich.

Er mahnte am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Markus Lanz", Deutschland sei "mitten in der zweiten Welle". Wenige Stunden zuvor sagte Söder nach einer Sitzung seines Kabinetts: "Es würde mich wundern, wenn es mit dem gestrigen Abend sein Ende hätte." Die Landesregierung hatte zuvor für Bayern schärfere Regeln beschlossen, die zum Teil über die Bund-Länder-Vereinbarung hinausgehen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) kritisierte hingegen die Bemühungen, bundesweit pauschal Regelungen zu verschärfen. "Es geht um das Virus. Und wenn keine Viren da sind, wieso soll ich dann eine Maßnahme aufrechterhalten, die keine Wirkung hat? Wir sind doch nicht im Showgeschäft", sagte Ramelow in einem "Taz"-Interview.

NRW und Thüringen halten Beherbergungsverbot für falsch

Der Linken-Politiker gehört auch zu den schärfsten Kritikern des Beherbergungsverbots für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten. Einige Bundesländer monieren, dass die Regelung nicht bei der Bund-Länder-Konferenz gekippt wurde. Die Untätigkeit in dieser Frage war und ist einer der Hauptkritikpunkte an den Ergebnissen der Beratungen.

Bund und Länder vertagten das Thema auf den 8. November. Am Donnerstag kassierten dann allerdings Gerichte in Baden-Württemberg und Niedersachsen die jeweiligen Verbote. Das eigentliche Problem wird damit jedoch nicht beantwortet.

Für Thüringens Regierungschef Ramelow stellt das Verbot nur eine "Scheinlösung" im Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus dar. Das Thema sei bei dem Treffen am Mittwoch "lange diskutiert" worden. Bekanntlich ohne Einigung: "Die Irritationen zwischen den Ländern sind nach wie vor groß", erklärte Ramelow.

"Das Beherbergungsverbot setzt falsche Anreize", schreibt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) auf Twitter. "Es zwingt Menschen, sich vor einer Hotelübernachtung frei testen zu lassen. Wichtige Testreagenzien, die jetzt dringend gebraucht werden, werden verschwendet. Unsinnige Vorschriften gefährden die wichtige Akzeptanz der Corona-Regeln", schreibt er weiter.

Was die Kontaktbeschränkungen angeht, bleibt Nordrhein-Westfalen besonders streng – und geht wie Bayern über die Empfehlungen der Bund-Länder-Konferenz hinaus. In NRW dürfen sich weiterhin nur maximal zehn Personen im öffentlichen Raum treffen – unabhängig von der Infektionslage. Das berichtete Laschet laut Teilnehmerkreisen am Freitag in einer Video-Schalte mit Oberbürgermeistern und Landräten.

Etliche Bundesländer kippen Beherbergungsverbot

Die Landesregierungen Sachsens, Bayerns und des Saarlands strichen die Regel mittlerweile selbst, Hessen plant die Abschaffung des Beherbergungsverbots. Sie stehe auf der Tagesordnung für eine Sitzung des Corona-Kabinetts am kommenden Montag, teilte die hessische Staatskanzlei mit.

Das Verbot treffe Menschen, "die nichts mit der Krankheit zu tun haben", sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Donnerstag in Dresden. Sachsen hebt das Verbot ab Samstag auf, weil es "in seiner jetzigen Form nicht verhältnismäßig" sei.

"Das Beherbergungsverbot ist überholt, da es aus jetziger Sicht nicht mehr dazu beiträgt, das Infektionsgeschehen positiv zu beeinflussen", erklärte Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) die Entscheidung.

Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gehören hingegen zu den Befürwortern. "Leute aus Risikogebieten können nur zu uns kommen, wenn sie auch einen negativen Test mitbringen", betonte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Mittwoch direkt nach den Gesprächen in einem Facebook-Video.

Das Oberverwaltungsgericht habe bisher bei jeder Klage bestätigt, "dass wir als Hochtourismusland mit Millionen von Touristen gute Gründe haben zu sagen, wir müssen den Reiseverkehr unter Kontrolle haben", sagte Schwesig am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Insofern bin ich da optimistisch, was unsere Regeln angeht."

Zusammen mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte Schwesig bei der Konferenz vorgeschlagen, dass die Verantwortlichen in den Risikogebieten Ausreisebeschränkungen verhängen sollten. Damit hätten sie sich aber nicht durchsetzen können, berichteten beide Regierungschefs am Donnerstag.

Bürger wünschen sich einheitliche Regeln – und sind nun selbst gefragt

Ein weiteres kontrovers diskutiertes Thema sind Bußgelder bei Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen. Auch da kommt Deutschland einem Flickenteppich gleich.

Einen bundesweit einheitlichen Bußgeldkatalog lehnt aber etwa Ramelow ab. "Es nützt gar nichts, ein Bußgeld von 500 Euro zu verhängen, wenn nicht kontrolliert wird. Alles andere ist Symbolpolitik", sagte er der "Taz".

Die unterschiedlichen Maßnahmen und Regelungen in den Bundesländern stoßen bei den Bürgern auf wenig Akzeptanz. Laut einer Umfrage im Auftrag des ARD-"Morgenmagazins" befürworten gut zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten eher einheitliche Regelungen für Deutschland – die gibt es aber nur zum Teil.

Kanzleramtschef Helge Braun nimmt die Bevölkerung selbst in die Pflicht. Ihm zufolge solle jeder "nicht nur gucken, was darf ich jetzt, sondern wir müssen im Grunde genommen alle mehr machen und vorsichtiger sein". Egal ob in Flensburg, Dresden oder Garmisch-Partenkirchen. (dpa/afp/mf)

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