• Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigt sich bislang sowohl innen- als auch außenpolitisch zurückhaltend und agiert vorsichtig.
  • Der Nachfolger von Angela Merkel (CDU) kommt mit diesem Führungsstil bislang jedoch nicht gut weg. In Umfragen hat er seit Beginn seiner Amtszeit verloren.
  • Kritiker werfen ihm Untätigkeit und Farblosigkeit vor – doch was ist eigentlich dran an den Vorwürfen? Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger erklärt Scholz‘ Führungsstil.
Eine Analyse

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Von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit kaum etwas zu hören oder zu sehen. Kritiker, unter anderem Markus Söder, hatten ihm mangelnde Führung vorgeworfen: "Die entscheidende K-Frage derzeit ist: Wo ist der Kanzler? Was macht Olaf Scholz", fragt der Chef der CSU auf Twitter. Natürlich bläst auch der CDU-Boss Friedrich Merz ins selbe Horn.

"Ein Bundeskanzler, der in der größten Krise Europas, einem Konflikt zweier europäischer Länder, der militärisch zu eskalieren droht – schweigt, darf sich nicht wundern, dass in der Welt Zweifel an der Zuverlässigkeit Deutschlands entstehen", so Merz auf Twitter und im Deutschlandfunk. Auf den sozialen Medien trendete passenderweise der Hashtag "WoIstScholz". Und die Berliner Zeitung kommentiert: "Olaf Scholz muss aufhören, wie Merkel Nr. 2 zu agieren."

Fehlender Führungsstil bei Olaf Scholz: Umfragen mit eindeutigem Trend

Dass sich ein Bundeskanzler in der Öffentlichkeit nicht allzu breit erklärt und auch einmal zurückhält, dürfte spätestens mit der Kanzlerschaft Angela Merkels jedem klar geworden sein. Und dennoch: Scholz‘ Arbeit kommt bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht gut an. Zu Beginn des Jahres war laut ARD-DeutschlandTrend noch eine deutliche Mehrheit mit der Arbeit des Bundeskanzlers zufrieden, Anfang Februar waren es nur noch 43 Prozent.

In einem Interview mit dem ZDF hat sich Scholz gegenüber dem besagten Vorwurf verteidigt: "Es geht schon darum, dass hier koordinierte Politik stattfindet, was die Europäische Union und die NATO betrifft. Aber es geht auch darum, dass wir gut vorbereitete Entscheidungen möglich machen. Und das geht eben nur mit harter Arbeit", so Scholz.

Experte Jäger kritisiert: Scholz ist zu zurückhaltend

In diese stürzt sich der Bundeskanzler in den nächsten Tagen und Wochen: Eine Woche nach dem Antrittsbesuch in Washington besucht er Kiew und Moskau, arbeitet sich also weiter am Russland-Ukraine-Konflikt ab und dazwischen empfängt er die Regierungschefs der baltischen Länder. Das sieht eigentlich nach vollem Einsatz aus, bei dem man kaum von Untätigkeit sprechen kann. Doch die Kritik an der fehlenden Kommunikation bleibt.

Thomas Jäger von der Universität zu Köln meint daher auch gegenüber unserer Redaktion, Scholz trete noch zurückhaltender auf, als ihm von seinen Kritikern vorgeworfen würde: "Sonst gäbe ja nicht die vielen Scherze über sein Abtauchen. Und wenn er auftritt, ist das wie gestanzt. Er hat gerade in der Krise mit Russland ein paar feste Sätze, die er stets wiederholt", erklärt der Experte.

Olaf Scholz im Russland-Ukraine-Konflikt: Schwieriges Terrain

Bei seinem Antrittsbesuch in den USA gab Scholz dem US-Sender CNN ein Interview. Hauptthema: die Ukraine-Krise. Dabei musste der Regierungschef Äußerungen des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder kommentieren und für Klarheit sorgen. Schröder hatte die Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen als "Säbelrasseln" bezeichnet und die Außenministern Annalena Baerbock (Grüne) kritisiert, dass sie vor ihrem Antrittsbesuch in Moskau in der Ukraine war.

Dazu stellte Scholz unmissverständlich klar: "Ich bin jetzt der Bundeskanzler. Und die politischen Strategien Deutschlands sind jene, die sie von mir hören. Ich mache die Politik für Deutschland." Darüber hinaus betonte er die Geschlossenheit der Europäischen Union und der Nato. "Wir werden gemeinsamen handeln", so Scholz in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Experte Jäger kritisiert: Scholz rennt öffentlicher Meinung hinterher

Jäger hat dennoch den Eindruck, dass sich Scholz zu wenige Gedanken über die Art seiner Kommunikation mache. Zwar könne es in turbulenten Zeiten ratsam sein, wie Scholz es tue, immer wieder dieselben Sätze zu wiederholen, um so Stabilität zu signalisieren:

"Auf der anderen Seite kann man doch hin und wieder den Eindruck gewinnen, Scholz hält alle anderen für nicht so ganz gescheit, wenn er Dinge behauptet, von denen alle sehen, dass sie nicht stimmen. Das vermittelt den Eindruck, Scholz als Absender von Nachrichten kümmert sich zu wenig darum, was bei den Adressaten ankommt."

Dabei bezieht sich Jäger auf Scholz‘ Aussagen, Nord Stream 2 sei ein privatwirtschaftliches Projekt. "Da konnte er seine Zuhörer nicht ernst genommen haben", sagt der Experte. Der Frage, ob die deutsch-russische Pipeline trotz der Drohungen aus Moskau in Betrieb genommen werde, weicht Scholz auch auf seiner USA-Reise aus. US-Präsident Biden hatte dagegen auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz klargestellt: Bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine werde es kein Nord Stream 2 mehr geben.

Scholz passt seinen Kurs an

In den letzten Tagen hat Scholz seinen Abtauchkurs also angepasst und vermehrt öffentliche Auftritte eingestreut. Dabei ist er seiner Vorgängerin bislang recht ähnlich. Dieses Verhalten kritisiert Thomas Jäger scharf: "Nur für nichts verantwortlich gemacht werden und von der öffentlichen Meinung die Richtung weisen lassen. Vorgenommen hat sich die Koalition etwas anderes." Merkel war in der Vergangenheit ebenfalls dafür kritisiert worden, der öffentlichen Meinung hinterherzulaufen.

Als Paradebeispiel gilt dabei das bis heute heiß diskutierte Thema des Atomausstiegs, den die Merkel-Regierung erst zurückgenommen, nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 dann aber aufgrund der sich drehenden öffentlichen Meinung doch wieder umgesetzt hatte. Merkel hat sich mit ihrem ruhigen Stil und ihrer Zurückhaltung 16 Jahre im Amt gehalten. Die Chancen, dass Scholz so lange im Amt bleibt, scheinen dagegen gering.

"Scholz Kommunikationsstil ist zu sehen und der ist, wie er stets war. Das reicht für den Bundeskanzler auf Dauer nicht, seine Vorgängerin Merkel im Nichtssagen zu kopieren. Denn die Zeiten haben sich geändert. Es stehen wirkliche Entscheidungen an und das hat sich die Koalition ja auch entsprechend vorgenommen", so der Experte.

Experte kritisiert auch Ministerinnen und Minister

Dabei sieht Thomas Jäger nicht nur Scholz in der Pflicht. Zwar sei noch kein Regierungsstil zu erkennen, doch auch eine Reihe von Ministerinnen und Ministern scheine nicht richtig auf ihr Amt vorbereitet zu sein. "Die Berufung von Herrn Özdemir (Grüne, Landwirtschaftsminister, Anm. d. Red.) löste selbst in der eigenen Partei ein Beben aus, a la: ‘Warum nehmen wir nicht den Kandidaten, der fachlich ausgewiesen ist‘", erklärt der Politikwissenschaftler. Bei den Grünen hatte Anton Hofreiter als passender Kandidat für das Landwirtschaftsministerium gegolten.

Auch die Ernennung von Christine Lamprecht (SPD) als Verteidigungsministerin sei kaum zu erwarten gewesen. "Regiert wurde nicht viel, Unruhe gestiftet und Durcheinander produziert schon", so Jäger.

Der Politikwissenschaftler nennt dabei das Krisenmanagement in der Pandemie, sowie öffentlichen Streit zwischen Bundesministern über die Legitimität von Protestformen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte die Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kritisiert, die bezüglich der Aktionen der Aktivisten "Aufstand der letzten Generation" Verständnis gezeigt hatte.

Scholz braucht eine Kommunikationsstrategie

Die Aktion von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), über Nacht die Regeln für KfW-Förderungen zu kippen, "nur um sie kurz darauf zurückzunehmen", sei genauso Teil des Durcheinanders wie die Forderung von Landwirtschaftsminister Özdemir nach höheren Fleischpreisen, "nur um schlagartig aus der Öffentlichkeit abzutauchen. Für eine Koalition, die sich gutes Handwerk und einvernehmliches Arbeiten vorgenommen hat, ist das suboptimal", kritisiert Jäger.

Deshalb empfiehlt der Politikwissenschaftler dem Bundeskanzler eine klare Vorgehensweise gegen das bisherige Durcheinander: "Scholz braucht eine Strategie, auch eine Kommunikationsstrategie. Beides hat er nicht, deshalb klammert er sich an Textbausteine."

Lars Haider, der Chefredakteur des Hamburger Abendblatts und Autor einer Scholz-Biographie, hatte der tagesschau.de zuletzt Scholz‘ Arbeitsstil erklärt und ähnlich empfohlen: "Olaf Scholz‘ Anspruch ist, dann Dinge zu erklären und zu verkünden, wenn sie entschieden sind. Das heißt, er arbeitet viel und spricht erst dann, wenn diese Arbeit fertig ist." Die fehlende Kommunikationsstrategie bleibt aber ein Problem: "Er muss seine Politik besser erklären. Das muss er auch noch mal lernen. Das ist eine absolute Schwäche von ihm."

Scholz bei CNN: Das ist absoluter Unsinn

Im CNN-Interview bei seinem Antrittsbesuch in Washington hörte man von Scholz jedenfalls eine klare Ansage. Moderator Jake Tapper konfrontierte den Bundeskanzler mit dem Vorwurf, Deutschland sei ein Verbündeter Russlands und nicht der Ukraine. Darauf reagierte Scholz bestimmt: "Das ist absoluter Unsinn und alle wissen es. Wir sind zusammen mit den Vereinigten Staaten die größten Unterstützer der Ukraine." Seit 2014 habe man mehr als zwei Milliarden Dollar in die Ukraine investiert. Thomas Jäger merkt auch hierzu kritisch an, dass Scholz seine Zuhörer nicht ernstgenommen habe. In den USA werde an der Verlässlichkeit Deutschland gezweifelt "und das konnte jeder lesen."

Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, bewertete Scholz‘ Auftritt dagegen positiv. Gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe und dem französischen Blatt "Ouest-France" sagte er: "Der Bundeskanzler hat sich in einer außerordentlich schwierigen Lage wacker geschlagen."

Ähnlich deutlich wie im CNN-Interview war Scholz zuletzt auch gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) geworden. Dieser hatte angekündigt, die Impfpflicht in Pflegeeinrichtungen, die für Mitte März angedacht war, nicht wie geplant umzusetzen.

Experte erwartet klares Auftreten – Scholz mit Ansage in Richtung Söder

Der CSU-Chef begründete diese Positionierung mit ungeklärten Fragen. Ein mehr als ungewöhnlicher Vorgang, hatten doch Bundestag und Bundesrat und damit auch Bayern dem Gesetz zugestimmt. Nach Angaben von Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner, die der Spiegel zitiert, hatte Scholz im Kabinett reagiert: "Wir gehen davon aus, dass Gesetze eingehalten werden. Das ist einer der Vorzüge des Rechtssystems."

Klarer Ansichten sind aufgrund der schlechten Umfragen allerdings auch bitter nötig. Thomas Jäger ergänzt dazu, dass Scholz auch kein Neuling in der Politik sei. Normalerweise lasse man einer Regierung die berühmten 100 Tage Zeit, bevor man ein erstes Urteil fälle. "Aber weder die eigenen Ansprüche an die Modernisierung Deutschlands noch die Herausforderungen von Pandemie und Sicherheit lassen diese Zeit. Deswegen wäre vom Bundeskanzler ein kraftvolleres Auftreten zu erwarten gewesen."

Über den Experten:
Prof. Dr Thomas Jäger ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist unter anderem ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, sowie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung.

Verwendete Quellen:

  • Schriftliches Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Jäger
  • berliner-zeitung.de: Olaf Scholz muss aufhören, wie Merkel Nr. zu agieren
  • deutschlandfunk.de: Scholz-Visite in Washington / Merz: "Es gibt Risse im deutsch-amerikanischen Verhältnis"
  • spiegel.de: Scholz macht Ansage Richtung Söder
  • tagesschau.de: Union erstmals seit Monaten vor der SPD
  • tagesschau.de: Zu passiv?
  • youtube.com: German chancellor Olaf Scholz on CNN’s with Jake Tapper on Russia and Ukraine
  • youtube.com: CNN Interview Part 2 with Olaf Scholz on Schröders lobbying and Beijing Winter Olympics
  • zdf.de: "Kaum eine Sache beschäftigt uns mehr"
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