- Deutschland hat in der vergangenen Woche seine Außen- und Sicherheitspolitik neu aufgestellt.
- Beispielsweise hat die Bundesregierung zum ersten Mal seit Langem Waffen direkt in ein Kriegsgebiet exportiert.
- Auch beim Thema Energie und Klimaschutz hat die Politik einige neue Ankündigungen gemacht.
Bundeskanzler
Für Außenministerin
Dass das nicht nur Ankündigungen waren, zeigte sich sehr schnell. Dementsprechend sagte Bundespräsident
1. Waffenexporte: Bundesregierung erlaubt sie für Krisengebiete
Nachdem die Bundesregierung in den Wochen vor dem russischen Angriff Waffenexporte an die Ukraine noch ausgeschlossen hatte, genehmigte sie innerhalb weniger Tage die Lieferung von Panzerfäusten und Flugabwehrraketen. Und das, obwohl sie offiziell normalerweise nicht direkt in Krisengebiete exportiert. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sprach sich zudem dafür aus, sogenannte "Strela"-Raketen aus Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR zu liefern. In der Bundespressekonferenz am vergangenen Freitag (4.3.2022) wollte die Regierung nicht sagen, ob der aus Kanzler und mehreren Ministerien gebildete Bundessicherheitsrat hierüber schon abschließend entschieden habe. "Der Spiegel" berichtete, viele der NVA-Waffen seien wegen technischer Mängel nicht einsetzbar.
Eine weitere Kehrtwende: Deutschland erlaubte den Niederlanden und Estland, der Ukraine Waffen aus deutscher Produktion zukommen zu lassen. Das hatte es vor Ausbruch des Krieges noch abgelehnt. Das osteuropäische Land fordert indes weitere Güter von der Bundesregierung, konkret unter anderem Panzer, Drohnen sowie Hubschrauber.
2. Bundeswehr: Aufrüstung wegen Russland-Ukraine-Krieg geplant
Die Bundesrepublik will künftig nicht nur die NATO in Osteuropa stärker unterstützen, sondern auch das vom Militärbündnis ausgegebene Ziel, jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben, übererfüllen. Eine von Scholz’ Ankündigungen sorgte für besonders viel Aufsehen: Er will im Rahmen eines sogenannten Sondervermögens zusätzlich 100 Milliarden für die Bundeswehr einplanen. Das ist doppelt so viel wie deren bisheriges jährliches Budget, mehr als der Jahresetat des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslands NRW – und ein Bruch mit der als militärisch zurückhaltend geltenden politischen Tradition der Vergangenheit. Das Ziel: "(...) eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt", so der Kanzler.
Finanzminister
Die Entscheidung stößt innerhalb der Ampelkoalition nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Sven-Christian Kindler, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, sagte, "Investitionen in Sicherheit sind (...) nicht nur das Militär, sondern auch Ausgaben für humanitäre Herausforderungen und für Energiesouveränität weg von Öl, Gas, Kohle". Das Verteidigungsministerium habe "deutlich größere Probleme als fehlende finanzielle Mittel", weshalb der Fokus auf einer Strukturreform liegen müsse, die zu mehr Effizienz unter anderem im Beschaffungswesen führt.
Wirtschaftsminister und Vizekanzler
3. Energie und Klimaschutz: Wird eine Frage "von nationaler Sicherheit"
"Die Energieversorgung und die Souveränität der Energieversorgung ist ebenfalls eine Frage von nationaler Sicherheit geworden": Dieser von Wirtschaftsminister Habeck stammende Satz markiert neben dem vorübergehenden Aus für die kontroverse Pipeline Nord Stream 2 am deutlichsten die zumindest verbale Kehrtwende der Bundesregierung im genannten Bereich.
Obwohl Deutschland seit Beginn des Kriegs stellenweise sogar mehr Gas aus Russland als vorher importiert hat und vorerst auf das Land angewiesen bleibt, will es diese Abhängigkeit verringern. Als eine Übergangslösung sollen etwa Terminals für Flüssiggas (Liquified natural gas, LNG) in Norddeutschland gebaut werden, was laut Wirtschaftsministerium jedoch mehrere Jahre dauert. Als mögliche Herkunftsländer dafür nennt es neben den USA, Katar und Algerien auch Russland.
Besonders die USA haben ein großes wirtschaftliches Interesse am Export ihres Gases, das sie unter anderem mithilfe von sogenanntem Fracking gewinnen. Viele Fachleute sehen die Technik, bei der Erdgas aus tief liegenden Gesteinsschichten gefördert wird, wegen ihrer schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt kritisch. "Wir werden (...) den Ausstieg aus der Verbrennung von fossilen Energien deutlich beschleunigen müssen und an dieser Stelle nicht mehr über Jahrzehnte reden", so Habeck dennoch.
Gleichzeitig schloss er längere Laufzeiten für Atomkraftwerke prinzipiell genauso wenig aus wie die Möglichkeit, Kohlekraftwerke "in der Reserve zu halten". Außenministerin Baerbock hält einen späteren Kohleausstieg angesichts etwaiger Probleme bei der Energieversorgung theoretisch für möglich.
Darüber hinaus gab die Bundesrepublik in Absprache mit anderen Ländern zum erst vierten Mal in ihrer Geschichte einen Teil ihrer sogenannten strategischen Ölreserve frei. "Damit sollen die angespannten internationalen Ölmärkte entlastet und der Druck auf die Energiepreise gesenkt werden", lautete die offizielle Begründung.
Finanzminister Lindner betonte, das Stichwort Energiesicherheit erhalte angesichts der aktuellen Entwicklungen "neue Priorität", weshalb die politischen Planungen der kommenden Jahre daran angepasst werden müssten. Die Bundesregierung setze deshalb auf erneuerbare Energien, die er "Freiheitsenergien" nannte.
Am vergangenen Sonntag kündigte Lindner, der auf die Rückkehr zur umstrittenenen Schuldenbremse ab 2023 beharrt, in diesem Zusammenhang an, bis 2026 sollten rund 200 Milliarden Euro für Maßnahmen zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft investiert werden. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli bezeichnete die Aussagen des Ministers auf Twitter als "Taschenspielertrick", da er nur addiert habe, "was ohnehin im Finanzplan steht".
Schon länger gibt es zudem Kritik am Einsatz von Gas als angeblicher "Brückentechnologie". Die Deutsche Umwelthilfe beispielsweise kam 2021 zu dem Schluss, LNG-Terminals hierzulande seien "energiewirtschaftlich unnötig und klimapolitisch sowie ökonomisch nicht tragbar".
Verwendete Quellen:
- Bundesregierung.de: Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Sondersitzung zum Krieg gegen die Ukraine vor dem Deutschen Bundestag
- Bundesregierung.de: Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, in der Sondersitzung zum Krieg gegen die Ukraine vor dem Deutschen Bundestag
- Bundesregierung.de: Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, in der Sondersitzung zum Krieg gegen die Ukraine vor dem Deutschen Bundestag
- Bundesregierung.de: Rede des Bundesministers der Finanzen, Christian Lindner, in der Sondersitzung zum Krieg gegen die Ukraine vor dem Deutschen Bundestag
- Bundesregierung.de: Regierungspressekonferenz vom 4. März 2022
- Bundesregierung.de: Bundesregierung gibt Teil der Ölreserve frei
- Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: FAQ-Liste LNG-Terminal in Deutschland
- Bundeswehr.de: Bundespräsident besucht die Bundeswehr in Litauen
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Artikel 87a
- Bpb.de (Bundeszentrale für politische Bildung): Nord Stream 2 vorerst gestoppt
- Spiegel.de.: "Strela"-Raketen der Bundeswehr weisen erhebliche Mängel auf
- Handelsblatt.de: Drohende Gaslücke: Deutschland ist auch im kommenden Winter auf Russland angewiesen
- ZDF.de (Berlin Direkt): Habeck sorgt sich um Energieversorgung
- DW.com (Deutsche Welle): Faktencheck: Deutschland liefert doch Waffen in Krisengebiete
- Deutsche Umwelthilfe: LNG Terminals für Deutschland: Flüssigerdgas oder lass ich das?
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