Die Parteien starten in den Europawahlkampf. Wir haben uns die wichtigsten Slogans angesehen. Über schwarz-grünen Gleichklang, sozialdemokratische Alliterationen und eine heikle Anleihe bei Bertolt Brecht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein Großflächenplakat misst 3,6 mal 2,6 Meter. Ganz schön viel Platz also – aber so viel Platz nun auch wieder nicht. Schließlich sollen die Slogans auch aus einiger Entfernung klar zu erkennen sein. Wahlkampf ist also die Zeit der kurzen Botschaften: Programme, Ziele und Versprechen eingedampft in wenige Worte. Der gerade anbrechende Europawahlkampf macht da keine Ausnahme.

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Die Parteien haben inzwischen ihre Kampagnen für die Europawahl 2024 vorgestellt. Und es lässt sich feststellen: Jeder kämpft zwar für sich. Doch in der Kürze hört sich das manchmal auffallend ähnlich an.

CDU und Grüne: Machen, was schützt

Die Grünen zum Beispiel stellen ihre Kampagne unter das Motto "Machen, was zählt". Die Partei vermittelt damit auch einen Machtanspruch: In Deutschland regiert man bereits, auch auf europäischer Ebene wollen die Grünen in den nächsten fünf Jahren stärker mitmischen.

Interessant ist die Wortwahl aber auch, weil sie an die politische Konkurrenz erinnert: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat seinem eigenen Podcast den Titel "Einfach mal machen" gegeben.

Hat sich da etwa der eine beim anderen etwas abgeschaut? Grünen-Chef Omid Nouripour wollte sich bei der Kampagnenvorstellung seiner Partei nicht mit "Copyright-Fragen" beschäftigen, zeigte mit dem Finger dann aber doch auf die CDU: Der Grünen-Bundesparteitag im vergangenen Herbst etwa stand unter dem Motto "Was uns schützt". Das Europa-Wahlprogramm von CDU und CSU trägt der Untertitel "Ein Europa, das schützt und nützt". "Wir helfen gerne", sagte Nouripour.

Wer will, findet noch mehr Parallelen. Die Grünen stellen ihre Kampagne zum Beispiel rhetorisch auf drei Doppelsäulen: Sicherheit und Frieden, Wohlstand und Klimaschutz, Freiheit und Demokratie. Und die Unionsparteien? Die konzentrieren sich auf drei Schlagwörter: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand.

"Das sind alles Begriffe. Entscheidend ist, wie sie das mit Leben füllen", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei seiner eigenen Kampagnenpräsentation am Freitag. Sein Ziel: Die Union soll wieder unterscheidbarer von den anderen Parteien werden. Das heiße zum Beispiel: Klimaschutz ja – aber nicht mit einem Verbot des Verbrennungsmotors.

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Es bleibt aber dabei: Schwarze und Grüne betonen zwar gerne ihre Unterschiede, in den ganz groben Zügen sind sie sich aber offenbar einig. In Europa gibt es zwar keine festen Koalitionen. Falls die Parteien aber nach der Bundestagswahl 2025 doch zusammenarbeiten wollen, wäre das Motto eines schwarz-grünen Koalitionsvertrags leicht zu finden: Machen, was schützt.

SPD: Schlicht und mit Kanzler

Die SPD hat ihre Kampagne schon vor einiger Zeit vorgestellt – und ihre Liebe zu Alliterationen deutlich gemacht, also zu Wörtern, die mit demselben Buchstaben beginnen. Die Sozialdemokratie spricht sich auf ihren Wahlplakaten zum Beispiel "Gegen Hass und Hetze" und für "Maß, Mitte und Frieden" aus. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten sollen "starke Stimmen" für Europa sein.

Inhaltlich lässt sich hier eine Parallele zu CDU und Grünen erkennen: Ehrgeizige Zukunftspläne sind auf den Plakaten kaum zu finden. Angesichts von Krisen und beängstigenden Kriegen in Europa und im Nahen Osten will man den Wählerinnen und Wählern ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Neben Spitzenfrau Katarina Barley ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz auf den schlichten SPD-Plakaten zu sehen. Man fühlt sich an einen CDU-Wahlslogan aus der Adenauer-Zeit erinnert: Keine Experimente.

FDP: Ist Oma Courage wirklich ein Vorbild?

Etwas experimentierfreudiger war die FDP. Ihre Europa-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann füllt schwarz-weiße Großflächenplakate aus, blickt selbstbewusst in die Ferne und hat sich einen griffigen Titel verpassen lassen: "Oma Courage". Entschlossenheit und Unbeugsamkeit soll das vermitteln. Der Eindruck: Diese Frau würde auch Wladimir Putin zum Armdrücken herausfordern.

Trotzdem kam kurz nach der Vorstellung der Kampagne Kritik auf. Ob man in der FDP die Romanvorlage überhaupt kenne, fragte etwa eine Kolumnistin des "Spiegel" (Bezahlinhalt). Schließlich ist der Titel "Oma Courage" unübersehbar eine Anleihe beim linken Schriftsteller Bertolt Brecht. Dessen "Mutter Courage" war aber eher eine Anti-Heldin: Die Romanfigur macht Geschäfte mit dem Krieg und verliert dadurch ihre Kinder.

Strack-Zimmermann versteht ihren Titel auch als ironische Auseinandersetzung mit einer alten Politik-Weisheit: "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa", hieß es früher. Weil Parteien die Europawahl angeblich nicht ernst nahmen und ausgediente Schlachtrösser nach Brüssel schickten.

Immerhin: Diese Zeiten sind vorbei. Rein altersmäßig ist Strack-Zimmermann mit 66 Jahren in der Tat die Oma in der Runde der deutschen Spitzenkandidaten. Die anderen sind mit einem Alter von 55 (Katarina Barley, SPD), 51 (Manfred Weber, CSU), 48 (Martin Schirdewan, Linke), 47 (Maximilian Krah, AfD), 44 Fabio De Masi (BSW) und 36 (Terry Reintke, Grüne) noch verhältnismäßig jung. Zumindest für Politiker-Verhältnisse.

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