• Thomas Kutschaty will für die NRW-SPD bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag das Amt des Ministerpräsidenten zurückerobern.
  • Dafür setzt er im Wahlkampf vor allem auf Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und bezahlbaren Wohnraum.
  • Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, wie er Nordrhein-Westfalen unabhängiger von russischen Rohstoffimporten machen will und warum er trotz fallender Zufriedenheitswerte im Wahlkampf auf Olaf Scholz setzt.
Ein Interview

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine überlagert dieser Tage alles und wirft natürlich seinen Schatten auch auf die Landtagswahl. Können Sie im Straßenwahlkampf überhaupt mit NRW-Themen durchdringen?

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Thomas Kutschaty: Ja, schon. Im ganzen Land bekomme ich den großen Unmut über die Landesregierung mit, beispielsweise über die Schulpolitik oder die Klagen über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Klar ist aber auch: Der Krieg in der Ukraine ist eines der Hauptthemen, die die Menschen derzeit beschäftigen. Das ist menschlich. Viele wollen einfach wissen, wann der Krieg endlich vorbei ist und wie wir ihn beenden können.

Und was antworten Sie darauf?

Zunächst ist das Wichtigste ein schneller Waffenstillstand, um weiteres Töten zu verhindern. Um das zu erreichen, müssen wir durch Druck Einfluss auf Wladimir Putin nehmen. Das geht über zwei Wege: Erstens Sanktionen, die sein Land nicht nur finanziell, sondern auch wirtschaftlich hart treffen. Hier werden wir den Druck weiter erhöhen, bis ihn das in die Knie zwingt. Und zweitens müssen wir natürlich den Ukrainern helfen, sich zu verteidigen, auch mit Waffen.

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Die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine wird seit Wochen heiß diskutiert. Aus Sicht vieler Menschen hat Deutschland nicht schnell genug gehandelt, Kanzler Olaf Scholz wurde als Bremser gesehen.

Ich nehme wahr, dass Olaf Scholz sehr bedacht handelt und stets die Folgen abschätzt: Wir müssen sehr sorgfältig prüfen, uns eng mit unseren Bündnispartnern abstimmen und bei all dem auch unsere eigene Verteidigungsfähigkeit aufrechterhalten. Wir müssen alles dafür tun, dass sich der Krieg räumlich nicht ausweitet. Wir dürfen keine Kriegspartei werden. Daher ist es einfach unklug und wenig vernünftig, abends in den Talkshows immer lautere Forderungen nach noch schwereren Waffen herauszuposaunen.

"Olaf Scholz macht einen guten Job in einer schwierigen Zeit"

Sie kleben im Landtagswahlkampf auch Scholz-Plakate. Allerdings hat der Kanzler aktuellen Umfragen zufolge deutlich an Zustimmung verloren, auch der Rückhalt für seine Ukraine-Politik ist merklich gesunken. Bereuen Sie es, auf ihn gesetzt zu haben?

Nein, auf keinen Fall. Ich bezweifle sehr, dass man sich bei diesem Thema nach Umfragen richten muss. Olaf Scholz macht einen guten Job in einer schwierigen Zeit, in der es eben nicht nur schwarz und weiß, sondern ganz viele Grautöne gibt. Es ist sehr überzeugend, wie er seine Entscheidungen und die der Bundesregierung begründet. Letztendlich ist er ja sogar so überzeugend, dass auch die Union im Bundestag für den gemeinsamen Antrag zur Unterstützung der Ukraine mit schweren Verteidigungswaffen zugestimmt hat. Und deswegen muss ich Olaf Scholz im Landtagswahlkampf überhaupt nicht verstecken. Es ist gut für Nordrhein-Westfalen, wenn der zukünftige Ministerpräsident einen guten Draht zum Bundeskanzler hat. Und den habe ich, wir sehen uns mindestens jede zweite Woche bei der SPD-Präsidiumssitzung in Berlin.

Aktuell gibt es in NRW ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU, in der Beliebtheit stehen sie allerdings hinter Hendrik Wüst. Was können Sie besser als der amtierende Ministerpräsident?

Es sollte für den amtierenden Ministerpräsidenten ein Alarmsignal sein, wenn er in den Direktwahl-Umfragen nur bei 40 Prozent landet. In den letzten Wochen hole ich kontinuierlich auf und liege jetzt, je nach Umfrage, nur knapp hinter ihm oder gleichauf. Das finde ich schon sehr erstaunlich! Ich kenne das nicht aus anderen Landtagswahlen, dass Amtsinhaber und Herausforderer so eng beieinander liegen.

Liegt das am Amtsinhaber oder am Herausforderer?

Das weiß ich nicht. Das Interesse für Landespolitik ist kurz vor einer Wahl am größten. Das merke auch ich. Meine Werte sind in den letzten Wochen vor der Wahl gestiegen. Es ist zudem klar, dass Hendrik Wüst als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz eine hohe mediale Aufmerksamkeit erhält. Insofern sind doch meine Werte extrem gut.

Und was können Sie nun besser als Hendrik Wüst?

Die Menschen in NRW haben einen Ministerpräsidenten verdient, der keine Angst vor Verantwortung hat. Ich jedenfalls habe keine. Wir erleben gerade einen Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen, der sehr viel mit dem Finger nach Berlin zeigt oder Aufgaben und Verantwortung auf die Kommunen abschiebt. Sei es bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, bei der Unterbringung von ukrainischen Geflüchteten oder in der Bildungspolitik. Gerade bei den Schulen ist ganz viel schiefgelaufen. Ich darf aber als Landeschef nicht die ganzen Verfehlungen allein bei der Bildungsministerin abladen, wie es aktuell passiert, sondern muss selbst Ideen entwickeln und mit Lösungen nach vorne gehen. Ich werde dafür sorgen, dass Schule wieder Hauptfach der Landesregierung wird.

Thomas Kutschaty: "Mein Ziel ist ganz klar, stärkste Kraft zu werden"

Was Ganztagsschulen in der Nähe und für alle angeht, hatte das Rot-Grün schon für ihre Regierungszeit 2012 bis 2017 zugesagt. Jetzt steht das wieder im aktuellen SPD-Wahlprogramm. Demnach soll die Ganztagsschule nun 2026 kommen, mehr als 10 Jahre später als versprochen. Warum dauert das so lange?

Wir haben das aufgenommen, was das Bundesgesetz hergibt und den Rechtsanspruch auf Ganztagsschulen auf 2026 festgelegt. Das ist die Zahl, an die wir uns jetzt halten müssen. Das Ziel ist ambitioniert, weil in den vergangenen fünf Jahren beim Ausbau der Ganztagsschulen in Nordrhein-Westfalen nichts getan wurde. Uns fehlen ungefähr 200.000 Plätze, dazu Erzieherinnen und Erzieher.

Es kann gut sein, dass die SPD am Sonntag hinter der Union landet. Beanspruchen Sie dann trotzdem das Ministerpräsidentenamt?

Mein Ziel ist ganz klar, stärkste Kraft zu werden. Daran arbeite ich mit fast 100.000 SPD-Mitgliedern in NRW nahezu Tag und Nacht. Aber letztendlich kommt es darauf an, wer eine Mehrheit im Parlament organisieren kann. Es wäre nichts Außergewöhnliches und völlig legitim, wenn eine Partei zweitstärkste Kraft wird und den Regierungschef stellt. Wir kennen das aus Bonner Zeiten, wo es jahrelang eine Bundesregierung aus SPD und FDP gegeben hat – und die CDU sogar teilweise kurz vor der absoluten Mehrheit stand.

"Das war dumm und unsensibel"

Die Mallorca-Urlaubsaffäre der CDU schien der SPD in die Hände zu spielen, doch zuletzt gerieten ihre Partei und auch Sie selbst kurz hintereinander gleich zweimal in Erklärungsnot. Was wurmt Sie mehr: der mittlerweile gelöschte Blogpost des früheren Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeisters Thomas Geisel oder das mutmaßliche Ausspähen der 15-jährigen Tochter von Ex-CDU-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser?

Die SPD und auch ich haben das sehr schnell deutlich gemacht, dass wir seine kruden Ansichten nicht teilen und ihn gebeten, seinen Beitrag aus dem Netz zu nehmen, was er dann auch getan hat. Die SPD steht klar an Seite des ukrainischen Volks. Ebenso hat das Olaf Scholz in seiner Fernsehansprache am Sonntag deutlich gemacht.

Aber es gab doch diese Freundschaftsanfragen auf Instagram von SPD-Mitarbeitern an die minderjährige Tochter der Ministerin?

Das war dumm und unsensibel, so habe ich das auch öffentlich deutlich gemacht. Es war ein Mitarbeiter einer Abgeordneten, also kein Mitarbeiter der Partei und auch kein Beschäftigter der SPD-Fraktion. Dem Mitarbeiter wurden arbeitsrechtliche Konsequenzen ausgesprochen und die Abgeordnete hat sich persönlich bei Frau Heinen-Esser entschuldigt.

Mit welchen Themen wollen Sie in den verbleibenden Tagen bis zum 15. Mai punkten?

Wir stellen die vier Themen in den Mittelpunkt, bei denen NRW einen Neustart braucht. Es geht erstens um gute Bildung. Wir brauchen mehr Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, gebührenfreie Kitas und gleiche Bildungschancen für alle Kinder. Zweitens sehen wir spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie, wie wichtig eine gute Gesundheitsversorgung und eine flächendeckende Versorgung durch Krankenhäuser ist. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat erst vor Kurzem einen Krankenhaus-Entwicklungsplan vorgelegt, wonach zahlreiche Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen geschlossen werden sollen. Dazu sagen wir eindeutig nein. Drittens ist für uns das Thema bezahlbares Wohnen ganz entscheidend. Und der vierte Punkt ist die Transformation unserer Arbeitswelt. Wir müssen vieles verändern, um auch zukünftig hier in Nordrhein-Westfalen produzieren zu können. Dazu brauchen wir mehr erneuerbare Energien.

"Gleichwohl weiß niemand, wann Putin uns möglicherweise das Gas abdreht"

Die Bundesregierung plant den Kohleausstieg für 2030. Dazu wird derzeit in der EU ein Ölembargo diskutiert, auch ein Ende der Gasversorgung aus Russland steht zur Debatte. Bei Polen und Bulgarien hat Moskau die Lieferung sogar schon gestoppt. Nordrhein-Westfalen ist besonders abhängig von russischen Gaslieferungen. Wie gehen Sie damit um?

Wir müssen schon jetzt alles tun, um unseren Gasverbrauch zu reduzieren und insbesondere unabhängiger von Importen zu werden – ohne auf eine Wiedergeburt der Atomkraft oder auf Fracking zu setzen. Auch der Kohleausstieg wird und muss kommen. Wir haben bislang in Deutschland rund 55 Prozent unseres Erdgases aus Russland bezogen und konnten unsere Abhängigkeit in den vergangenen Wochen bereits auf rund 35 Prozent reduzieren. Wir bemühen uns nun Ersatz in Form von LNG, also Flüssiggas, zu besorgen. Gleichwohl weiß niemand, wann Putin uns möglicherweise das Gas abdreht. Deswegen müssen wir darauf vorbereitet sein. Die Bundesnetzagentur hat bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen und einen Plan für den Fall der Fälle entwickelt, dass keine Gaslieferungen mehr aus Russland kommen. Falls Gas in Deutschland knapp wird, müssen wir genau abwägen, welche Betriebe möglicherweise stillgelegt werden müssen. Die Bundesregierung handelt sehr entschlossen. Wir stehen heute weitaus besser dar, als vor Wochen vermutet. Das ist gut, denn so sichern wir die Produktion in NRW.

Aus der Industrie kam zuletzt vermehrt die Forderung, im Notfall zuerst Privathaushalten das Gas abzudrehen und dann erst den Unternehmen. Was halten Sie davon?

Wir werden keine Menschen im Herbst oder Winter in ihren Wohnungen frieren lassen oder sie nicht mit warmem Wasser versorgen. Zudem tun wir alles, damit Energie bezahlbar bleibt und entlasten die Menschen. Hier handelt die Regierung sehr konkret. Es ist dennoch sinnvoll, zu schauen, in welchen Bereichen wir Gas sparen können. Und da können auch die Privathaushalte einen kleinen Beitrag leisten, indem sie vielleicht die Heizung ein wenig drosseln oder nicht in allen Räumen heizen. Ein Grad weniger Raumtemperatur bedeuten 6 Prozent weniger Gasverbrauch.

"Es braucht keiner Angst zu haben, dass Windräder bald in Vorgärten stehen"

Dennoch: Wo kommt die Energie her, wenn Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke abgeschaltet sind?

Das geht nur mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Eine meiner ersten Amtshandlungen wird sein, die in Nordrhein-Westfalen geltende Abstandsregelung für Windkraftanlagen von 1.000 Metern zu den nächsten Wohnhäusern zu streichen. Diese unsinnige Regelung hat in der Vergangenheit verhindert, dass wir weitere Flächen ausweisen konnten. Wir werden die bisherige Regelung durch die bundesgesetzliche Bauordnung ersetzen, die besagt, dass die dreifache Höhe eines Windrads der gültige Abstand ist. Es braucht also keiner Angst zu haben, dass Windräder bald in Vorgärten stehen.

Beim Thema Gas kommt die SPD nicht von Gerhard Schröder los. Ärgert sie, dass der Ex-Kanzler weiter Parteimitglied ist?

Entweder steht man auf der Seite der SPD oder auf der von Wladimir Putin. Beides geht nicht. Gerhard Schröder hat sich entschieden. Damit ist die Frage für mich beantwortet.

Zur Person: Thomas Kutschaty ist Vize-Bundesparteichef der SPD, Landespartei- und Fraktionschef der Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen und ihr Spitzenkandidat bei der Landtagswahl am 15. Mai. Der Rechtsanwalt war unter Rot-Grün von 2010 bis 2017 Landesjustizminister. Der 53-Jährige stammt aus einer Eisenbahnerfamilie aus Essen und hat drei Kinder.
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