Ist es angebracht, im Zusammenhang mit dem 1. FC Union Berlin noch mal mit Urs Fischer um die Ecke zu kommen?

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Immerhin ist der Schweizer bei den Eisernen doch Vergangenheit und Bo Svensson derjenige, der als neuer Cheftrainer offenbar sehr gute Arbeit macht. Ein erster Erfolg in der ersten DFB-Pokal-Runde in Greifswald, ein 1:1 zum Liga-Auftakt in Mainz, ein 1:0 gegen den Aufsteiger FC St. Pauli und nun ein 0:0 gegen die für die Champions League zusammengecastete Mannschaft von RB – das spricht für sich. Doch insbesondere in der Nachbetrachtung der Auswärtspartie in Leipzig kann man gar nicht anders, als Fischer noch mal ins Spiel zu bringen beziehungsweise auf Fischers Vokabular zurückzugreifen. Sorry, Bo Svensson! Dieses eine Mal noch.

Von den "Basics", auf die sich seine Spieler immer wieder konzentrieren müssten, sprach der Eidgenosse immer wieder und langweilte damit bestimmt den einen oder anderen Beobachter. "Eklig" müssten seine Spieler zudem auf dem Platz immer wieder sein, ergänzte er oft, soll heißen: den Gegner ständig unter Druck setzen, nerven, sodass auf Gegners Seite von der ersten Minute an gar keine Lust aufs Fußballspielen aufkommt. So schlicht das Rezept und so erfolgreich.

Nun ist es so, dass die Unioner dem Anschein nach wieder in der Lage sind, genau diese Qualitäten auf den Platz zu bringen. Die Leipziger, am zweiten Spieltag in einem spektakulären Schlagabtausch mit dem Meister Bayer Leverkusen noch siegreich, blieben bis weit in die zweite Hälfte hinein ohne eine klare Torchance. Ja, im aufmerksamen, bestens organisierten Miteinander bildeten die Köpenicker ein scheinbar unüberwindbares Bollwerk.

Xavi Simons? Erst wirkungslos, dann glücklos (Lattentreffer in der 74. Minute). Loïs Openda? Nicht ganz so wirkungslos wie Simons, aber letztlich nur einmal so richtig gefährlich, nämlich beim Einsatz von Kevin Vogt in der 73. Minute, der einen Strafstoß nach sich zog. Beim Strafstoß scheiterte er wiederum am glänzend parierenden Frederik Rönnow. Benjamin Šeško? Alsbald verzweifelt, weil ihm Diogo Leite, Unions bester Spieler an diesem Tag, immer einen Gedanken und damit auch einen Schritt voraus war.

Svensson weiß offensichtlich wie Fischer nur allzu gut, was seine Mannschaft kann und was sie nicht kann. Hält es erst einmal einfach, was im Fußball mit am kompliziertesten ist. Klare Vorgaben, keine Experimente. Wohl wissend, dass die Spieler letztendlich nur über Erfolge – und sei es auch nur ein Remis in Mainz oder ein Remis in Leipzig – Vertrauen in seine Arbeit gewinnen. Svensson hat, wenn der erste Eindruck nicht täuscht, die Qualitäten dieser Mannschaft, die durch die anhaltende Krise im Herbst vergangenen Jahres verschütt gegangen waren, wieder freigelegt.

In Leipzig fehlte der Däne aufgrund eines Infekts, weshalb sein Assistent Babak Keyhanfar vor, während und auch nach dem Spiel im Mittelpunkt stand. Also auch in der Pressekonferenz, in der der 39-Jährige folgendes Fazit zog: "Es war das erwartet schwere Spiel gegen sehr selbstbewusste Leipziger. Wir haben deshalb in der ersten Halbzeit sehr tief verteidigt und es im Verbund und in der Kompaktheit sehr gut gemacht. Im eigenen Ballbesitz hatten wir nicht so richtig den Mut, nach vorne zu spielen. Das haben wir in der Halbzeit angesprochen und sind dann phasenweise höher angelaufen, hatten mehr Standardsituationen und aus einigen Situationen sehr große Torchancen. Am Ende hat das Quäntchen Glück gefehlt, aber alles in allem können wir sehr zufrieden sein."

Wohl wahr.

Die Renaissance der eisernen Widerspenstigkeit wird dabei von Profis getragen, die mit dieser bisweilen destruktiven Spielweise (und das soll keineswegs abwertend klingen) bestens vertraut sind. Also von den Defensivkräften Danilho Doekhi und Diogo Leite, die mit Kevin Vogt einen verständigen und extrem erfahrenen Verbindungsspieler zu ihrer Linken beziehungsweise zu ihrer Rechten haben. Insbesondere Leite präsentiert sich in den ersten Wochen dieser Saison in herausragender Form, ist voller Elan, agiert dennoch hoch konzentriert.

Hinzu kommt ein Rani Khedira, der nach einer sorgen-, weil verletzungsfreien Sommervorbereitung wieder in bester körperlicher Verfassung ist. Und deshalb auch wieder das sein kann, was er mit Ausnahme der düsteren Saison 2023/24 im Trikot der Eisernen eigentlich immer war. Einerseits ein Ärgernis für den Gegner, andererseits ein Glücksfall für Trainer und Mitspieler. Für den Trainer, weil Khedira Theorie in die Praxis zu übertragen vermag. Für die Mitspieler, weil er sie nie im Stich lässt und ihnen immer eine Orientierung gibt.

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Sein Urteil nach dem Spiel in Leipzig: "Defensiv waren wir sehr kompakt und sehr aggressiv und haben das gemacht, was wir uns vor dem Spiel vorgenommen haben. Am Ende wäre vielleicht mehr drin gewesen, über 90 Minuten ist es ein gerechtes Ergebnis."  © Berliner Zeitung

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